Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → AUSLAND

LATEINAMERIKA/1453: Mexiko - Regierung will Selbstverteidigungsgruppen zu Polizeiaufgaben heranziehen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 20. Februar 2014

Mexiko: Gefährliches Experiment - Selbstverteidigungsgruppen sollen reguläre Einsatzkräfte werden

von Daniela Pastrana


Bild: © Félix Márquez /IPS

Eine Selbstverteidigungsgruppe in Tierra Caliente in Michoacán, die seit 2013 gegen ein lokales Drogenkartell kämpft und nun von der Regierung zu Polizeiaufgaben herangezogen werden soll
Bild: © Félix Márquez /IPS

Mexiko-Stadt, 20. Februar (IPS) - "Was soll uns auf lange Sicht die Regulierung der 'Autodefensas' bringen?", fragt Juan Carlos Trujillo. "Sehe ich etwa so aus, als fühlte ich mich zur Polizeiarbeit berufen?" Damit bezieht sich der mexikanische Friedensaktivist auf die neue Strategie der Regierung von Staatspräsident Enrique Peña Nieto, sämtliche zivile Selbstverteidigungsgruppen in Michoacán zu einer Art Hilfssheriffs im Kampf gegen die Drogenmafia in dem südwestlichen Bundesstaat zu machen.

Trujillo stammt aus der Ortschaft Pajacuarán, aus der er vor der mörderischen Gewalt im Zuge der blutigen Auseinandersetzungen zwischen den sogenannten Tempelrittern, dem größten Rauschgiftkartell in der Region, und den 'Autodefensas de Michoacán' geflohen ist. Er hat vier Geschwister verloren. Sie wurden verschleppt und aller Wahrscheinlichkeit ermordet.

Die Selbstverteidigungskräfte bestehen aus Zivilisten, die sich im April 2013 illegal bewaffnet hatten. Damit reagierten sie auf das Versagen des mexikanischen Staates, sie vor der Gewalt der Drogenmafia zu schützen. Nach monatelangen bewaffneten Übergriffen, die ihren bisherigen Höhepunkt im Januar erreichten, schlossen sich die Selbstverteidigungskräfte Anfang des Monats der Polizei und der Armee an, um Apatzngán, eine Hochburg der Tempelritter, zurückzuerobern.

Das Vorhaben am 9. Februar gelang, ohne dass ein einziger Schuss abgefeuert oder einer der Drogenchefs festgenommen wurde. Rund 100 unbewaffnete Mitglieder der Autodefensas organisierten einen Friedensmarsch durch die Ortschaft und kündigten an, dass sie nicht eher verschwinden würden, bis Apatzngán gesäubert sei.


Regulierungsabkommen

Der Operation der Selbstverteidigungsgruppen war Ende Januar ein Abkommen vorangegangen, dass die mexikanische Regierung, der Gouverneur von Michoacán, Fausto Vallejo, und die Anführer der Autodefensas geschlossen hatten. Die Übereinkunft ging auf die Entscheidung von Peña Nieto zurück, die etwa 10.000 illegal bewaffneten Zivilisten in Michoacán in die örtlichen Polizeieinheiten zu integrieren.

Punkt eins des Acht-Punkte-Katalogs hält fest, dass "die Autodefensas institutionalisiert und in die ländlichen Verteidigungskräfte aufgenommen werden". In diesem Sinne haben sich die zivilen Verbände dazu verpflichtet, eine Liste mit den Namen ihrer Mitglieder einzureichen. Dieses Namensregister wird von der mexikanischen Armee überprüft. Sie erklärten sich ferner bereit, die in ihrem Besitz befindlichen Waffen anzumelden. Die regulären Sicherheitskräfte wiederum müssen den Autodefensas die Instrumentarien zur Verfügung stellen, die sie für ihre Kommunikation, ihre Transporte und Einsätze brauchen.

Angesichts der komplizierten und verfahrenen Lage in Michoacán überzeugt das Abkommen niemanden. Sicherheitsexperten warnen vielmehr vor den Gefahren, die mit der Legitimierung des paramilitärischen Modells einhergehen. Erubiel Tirado, Wissenschaftler an der Iberoamerikanischen Universität, warnte in der Zeitschrift 'Proceso' davor, "Illegalität mit Illegalität" zu bekämpfen.

Ein weiterer Einwand, der vor allem von den Menschenrechtsorganisationen vorgebracht wird, richtet sich gegen den Beschluss, dass die neuen Regeln auch für alle anderen paramilitärischen Verbände Gültigkeit besitzen sollen, die in den letzten Jahren in Mexiko gegründet worden sind.

"Man kann nicht eine Regelung treffen, die für alle Autodefensas Gültigkeit besitzt", meint Karla Michelle Salas von der Nationalen Vereinigung der demokratischen Anwälte. Ihrer Ansicht nach muss zwischen den Gruppen in Cherán oder der Kommunalpolizei im Bundesstaat Guerrero unterschieden werden, in dem die historischen Organisationsformen der Dörfer deren Bräuchen und Traditionen angepasst sind.

"Ebenso wenig dürfen wir nicht alle zu Polizisten werden, nur weil der Staat seiner Aufgabe nicht nachkommt, für Sicherheit zu sorgen. Es gibt in den Selbstverteidigungsgruppen viele, die gar kein Interesse daran haben, immerzu bewaffnet herumzulaufen. Sie würden ihre Waffen sofort niederlegen, wenn der Staat seinen Schutzverpflichtungen nachkäme", so Salas.


Indigene misstrauisch

Der Oberste Rat des 13.000 Einwohner zählenden indigenen Dorfes Cherán steht dem Abkommen ebenfalls misstrauisch gegenüber. "Wir mussten richtig aufpassen, dass sie nicht unsere Namen registriert haben", berichtet Trinidad Ramírez, ein Mitglied des Rats. "Man schlägt uns vor, dass wir für die Integration unserer Leute in die Polizei stimmen. Doch da die Polizei schon häufiger in Verbrechen verwickelt war, können wir dies nicht gutheißen."

Cherán, ein Dorf von Purépecha-Indigenen, machte im April 2011 von sich reden, als es sich gegen kriminelle Banden erhob, die ihre Territorien plünderten. Außerdem setzten sie ihre Stadtregierung ab und ersetzten sie durch Vertreter, die mit ihren Traditionen vertraut sind. Seit damals wird die Ortschaft durch Barrikaden und Dorfbewohner geschützt.

Für die Chiefs der Purépechas kommt eine Entwaffnung der Dorfbewohner auf keinen Fall in Frage. "Wir werden niemals unsere Waffen niederlegen", versichert Ramírez. "Wir haben unsere Lektion gelernt, nämlich die, dass es niemanden gibt, der bereit wäre, mit der Kriminalität in Michoacán aufzuräumen." Dem Purépecha-Führer zufolge reicht es nicht aus, der Schlange der Mafia den Kopf abzuschlagen. "Denn sobald ein Führer fällt, rückt der nächste nach", meint Ramírez.

Die Situation ist komplex, und das Abkommen zwischen Regierung und Autodefensas wirft vor allem Fragen auf. Zudem wird es von vielen Analysten als Versuch von Peña Nieto gesehen, die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

Niemand sieht Chancen einer raschen Lösung des Konflikts, in dem die mexikanische Regierung selbst eine ambivalente Haltung einnimmt. Die Autodefensas versorgen die Streitkräfte häufig mit Informationen. Es kommt auch vor, dass sie die Sicherheitskräfte begleiten, um ein von den Tempelrittern kontrolliertes Dorf zu befreien.

Doch dann werden sie wie am 13. Januar von der Regierung im Stich gelassen. Damals hatte Peña Nieto einen Militäreinsatz zur Entwaffnung der Autodefensas angeordnet, der drei Zivilisten das Leben kostete.


"Zuckerbrot und Peitsche-Strategie"

Doch zu der Entwaffnung kam es dann nicht, und am 21. Januar lieferten sich die Tempelritter und die Selbstverteidigungsgruppen dreistündige Kämpfe in den Gemeindebezirken Parácuaro und Apatzingán, während ein Hubschrauber der Armee das Gebiet überflog. Die Soldaten hatten den Auftrag, sich aus den Kämpfen herauszuhalten, wie ein lokaler Chronist berichtet. "Das ist die Zuckerbrot und Peitsche-Strategie", meint Arturo Cano, Reporter der überregionalen Tageszeitung 'La Jornada'.

Für die Menschen in Michoacán zeichnet sich keine Normalisierung ihrer Lebensumstände ab. "Ich würde gern in mein Dorf zurückkehren und eine Organisation gründen, die den Regierenden auf die Finger schaut", meint der Aktivist Trujillo. "Und meiner Meinung nach sollten die Autodefensas das Gleiche tun, anstatt sich vom Staat instrumentalisieren zu lassen."

Trujillo ist nur eines von vielen Opfern des mexikanischen Krieges gegen die Drogenkriminalität, der von dem ehemaligen Präsidenten Felipe Calderón (2006-2012) begonnen wurde und mehr als 80.000 Menschen den Tod brachte. 20.000 Menschen sind verschwunden. (Ende/IPS/kb/2014)


Links:

http://www.ipsnoticias.net/2014/02/las-autodefensas-de-michoacan-siguen-en-su-laberinto/
http://www.ipsnews.net/2014/02/mexicos-vigilante-experiment/

© IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 20. Februar 2014
IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 / 54 81 45 31, Fax: 030 / 54 82 26 25
E-Mail: contact@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Februar 2014