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LATEINAMERIKA/1463: Chile - Umverteilung durch Steuerreform, Reiche sollen höher besteuert werden (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 28. April 2014

Chile: Umverteilung durch Steuerreform - Reiche sollen höher besteuert werden

von Marianela Jarroud


Bild: © Claudio Esparza/IPS

Chilenen haben auf Großdemos das Recht auf freie Bildung eingefordert
Bild: © Claudio Esparza/IPS

Santiago de Chile, 28. April (IPS) - Die sozialistische Staatspräsidentin Michelle Bachelet will Besserverdienende steuerlich stärker belasten, um Bildungs- und Gesundheitsreformen finanzieren zu können und eine gerechtere Verteilung der Steuerlast zu ermöglichen.

Das Parlament, in dem die regierende Mitte-Links-Koalition die Mehrheit hat, wird den Entwurf voraussichtlich Mitte des Jahres verabschieden. Bachelet will die Steuereinnahmen auf diese Weise um jährlich rund 8,2 Milliarden US-Dollar erhöhen.

Diese zusätzlichen Gelder sollen den Zugang zu kostenfreier Bildung, eine bessere Gesundheitsversorgung und andere Sozialleistungen ermöglichen. Zudem soll das von der Vorgängerregierung übernommene Haushaltsdefizit abgebaut werden.

Die erwarteten Mehreinnahmen entsprechen drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) des südamerikanischen Landes mit etwa 17 Millionen Einwohnern. 2013 betrug das Wirtschaftswachstum 4,1 Prozent, in den vorangegangenen Jahren durchschnittlich 5,8 Prozent. Steuern machen etwa 80 Prozent der Staatseinnahmen Chiles aus.


Kampagne für mehr Gleichheit

Bachelet, die am 11. März für eine zweite Amtszeit vereidigt wurde, bewirbt die Steuerreform als den richtigen Weg zu einer "geeinten, demokratischen und gerechten Gesellschaft". Das Land werde sich durch eine bessere Einkommensverteilung weiter in Richtung Gleichheit bewegen, sagte sie. Voraussetzung dafür sei allerdings, dass diejenigen, die mehr verdienten, auch höhere Beiträge zahlten.

Den Plänen zufolge soll sich die Steuerreform in einem 2,5 Prozent höheren BIP niederschlagen. Zu diesem Zweck soll etwa der 1984 während der Diktatur von General Augusto Pinochet (1973 - 1990) gegründete 'Fondo de Utilidades Tributarias' (FUT) abgeschafft werden. Das Instrument, das Unternehmen erlaubt, die Zahlung der Einkommensteuer im Fall einer Reinvestition zu verzögern, begünstigt die Steuerflucht. Eine Reihe weiterer Maßnahmen soll ebenfalls dazu beitragen, dass nicht länger 46 Prozent der Einkommensteuer am Fiskus vorbeigehen.

In den vergangenen 30 Jahren wurden dem chilenischen Fiskus durch den FUT fast 270 Milliarden Dollar an potenziellen Steuereinnahmen vorenthalten, so der Ökonom Gonzalo Durán von der Denkfabrik 'Fundación Sol'. Der Fonds soll 2018 abgeschafft werden. Unternehmer und Aktionäre müssen dann auf alle Einnahmen Steuern zahlen.

Das Gesetz ist ein wesentlicher Bestandteil von Bachelets Regierungsprogramm, das sie am 31. März vorgestellt hatte. Vorgesehen sind mehr als 30 Änderungen an dem bisherigen Steuersystem. Einer der bedeutendsten Schritte ist die schrittweise Anhebung der Körperschaftssteuer von 20 auf 25 Prozent.

Nach Ansicht von Durán weist das neue Modell aber auch Lücken auf. So bleibt bei der Mehrwertsteuer, der größten Steuereinnahmequelle in Chile, alles wie gehabt. Diese Steuer trägt zu 48,6 Prozent zum gesamten Steueraufkommen bei. Sie macht keinen Unterschied zwischen gewerblichen Aktivitäten und der Bereitstellung von Grundrechten wie Bildung und Gesundheit.


Proteste aus dem rechten Lager

Kritik an der Steuerreform kommt vor allem aus dem konservativen Lager. Am lautesten wird sie von der ultrarechten Unabhängigen Demokratischen Union vorgebracht, die mit der Warnung, die Reform werde sich nachhaltig auf die Mittelschicht auswirken, Ängste in der Bevölkerung schürt.

Auch das 'Instituto Libertad' (Institut Freiheit), das der rechtsgerichteten Partei der Nationalen Erneuerung nahesteht, führt eine Kampagne gegen die Steuerreform und kritisiert unter anderem die Anhebung des Mehrwertsteuersatzes auf Alkohol, Erfrischungsgetränke und neue Immobilien.

Der parteilose Parlamentarier Giorgio Jackson, der im Kongress die Studentenschaft vertritt, meint hingegen, die Steuerreform sei geeignet, "seit langem bestehende Probleme zu lösen". Ziel sei es, die Barrieren niederzureißen, die den Staat daran hinderten, die notwendigen Mittel aufzubringen, um die Bevölkerung angemessen sozial abzusichern.

Zwei Drittel aller Familien in Chile müssen derzeit mit weniger als 1.200 Dollar monatlich auskommen. Die Hälfte aller Erwerbsfähigen verdient weniger als 500 Dollar pro Monat, während die 4.500 reichsten Familien des Landes über ein Durchschnittsmonatseinkommen von mehr als 40.000 Dollar verfügen.

Eine Studie, an der Steuerexperte und Regierungsberater Michel Jorratt mitgewirkt hat, fand heraus, dass das eine Prozent der reichsten Chilenen in den Genuss von 15 bis 33 Prozent der Einnahmen kommt, aber nur höchstens 17 Prozent Steuern zahlt.

Die Dividenden einer kostenlosen Bildung werden sich langfristig zeigen, ist Durán überzeugt. Den Reichen im Lande 8,2 Milliarden Dollar an Steuern aufzubürden, sei auf jeden Fall ein wichtiger Beitrag zu einer faireren Einkommensverteilung. (Ende/IPS/ck/2014)


Links:

http://www.ipsnews.net/2014/04/chilean-tax-reform-shifts-toward-income-redistribution/
http://www.ipsnoticias.net/2014/04/reforma-tributaria-chilena-se-queda-medias/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 28. April 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. April 2014