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LATEINAMERIKA/1478: Kuba - Zurück aufs Land (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 11. August 2014

Kuba: Zurück aufs Land

von Ivet González


Bild: © Jorge Luis Baños/IPS

Von der Maschinenbauingenieurin zur Bäuerin: Hortensia Martínez auf ihrer Farm in einem Vorort der kubanischen Hauptstadt Havanna
Bild: © Jorge Luis Baños/IPS

Havanna, 11. August (IPS) - Häuser inmitten kleiner Gemüsegärten säumen die Straße zur La-China-Farm am Rande der kubanischen Hauptstadt Havanna. Hier befindet sich das Reich von Hortensia Martínez, einer ehemaligen Maschinenbauingenieurin, und ihrem Mann. Freunde und Kollegen hatten die 48-Jährige für verrückt erklärt, als sie ihren Job aufgab, um Kleinbäuerin zu werden.

"Unsere Geschichte ist wirklich ungewöhnlich", meint Martínez am Eingang ihres sechs Hektar großen Farmlands in Punta Brava in der Gemeinde La Lisa, einem halbstädtischen Vorort von Havanna. Es war ihrem Mann im Mai 2009 zum Nießbrauch überlassen worden.

Seit der Einführung der Wirtschaftsreformen auf Kuba 2008 stellt die Regierung den Menschen Agrarflächen zur Bewirtschaftung bereit. Ziel ist die Förderung der Landwirtschaft des karibischen Inselstaates.

An einer Seite von La China schließt sich Brachland an, das sich bis zum Horizont erstreckt. 2013 waren nach Regierungsangaben gut 1,05 Millionen der 6,3 Millionen Hektar ungenutzt gewesen. Es fehlten die Menschen, die sich für die Landwirtschaft interessierten beziehungsweise die erforderlichen Fähigkeiten und Ressourcen mitbrachten. Als Teil einer breiter angelegten Wirtschaftsreform hatte man dem Agrarsektor Priorität eingeräumt, um die dringend notwendige Produktionssteigerung und eine Verringerung der Nahrungspreise zu erreichen.


Knapp ein Fünftel der Bevölkerung lebt auf den Land

Es gibt zahlreiche Hürden, die der Verbesserung im Agrarbereich im Weg stehen und über die nur ungern gesprochen wird. Dazu gehört auch die Landflucht vor einigen Jahrzehnten, die die ohnehin schon verwaisten Agrargebiete noch öder machte. Von den 11,2 Millionen Kubanern leben 2,5 Millionen Menschen derzeit in den ländlichen Gebieten, wie Zahlen des Nationalen Statistikamts ONEI zeigen.

Obwohl die Hälfte der ländlichen Bevölkerung weiblich ist, haben Sexismus und Machismo verhindert, dass Frauen eigene Farmen betreiben. Um das zu ändern, sind die Behörden dazu übergegangen, Strategien zugunsten der landwirtschaftlichen Aktivitäten von Frauen zu entwickeln. Doch Fortschritte in diese Richtung lassen auf sich warten. Bis April waren insgesamt 65.993 Frauen bei den Farmgenossenschaften des Landes gemeldet, als unwesentlich mehr als 2011 mit 64.063 Registrierungen.

Ein weiteres Problem ist der rasant voranschreitende Alterungsprozess der kubanischen Gesellschaft. So geht man davon aus, dass bis 2025 Menschen über 60 Jahren 25,9 Prozent der Bevölkerung ausmachen werden.

"Die Farm war praktisch die Rückkehr zu unseren Wurzeln", meint Martínez, die wir ihr Mann aus einer Bauernfamilie in Granma 730 Kilometer östlich von Havanna entstammt.

Jahrzehntelang hatten Kubas Bauern stolz die Universitätsdiplome ihrer Kinder an die Wand gehängt. Sie hatten nach der Kubanischen Revolution von 1959 von einer kostenfreien Bildung profitiert. Doch die Berufe dieser neuen Bildungselite zogen die Betroffenen in die Städte.

Das schien zunächst auch in Ordnung zu sein. Denn in den 1980er Jahren erwies sich der Import von Nahrungsmitteln dank der Subventionen des inzwischen zusammengebrochenen Bündnispartners Sowjetunion als preiswerter als die Entwicklung der Landwirtschaft. Doch auf den Kollaps des Ostblocks folgte eine schwere Wirtschaftskrise, die bis heute nicht überwunden wurde.

Ein Ergebnis der Krise war, dass ausgebildete Fachkräfte plötzlich weniger verdienten, als diejenigen, die Waren herstellten. "Wir sind zur Landwirtschaft zurückgekehrt, um unsere Familie ernähren zu können", meint Martínez und fügt hinzu, dass ihre Nichten und Neffen und die ihres Mannes auf der Farm mitarbeiteten. "Jetzt können wir gesünder essen und mehr verdienen."

Die Familie züchtet Kaninchen, Schafe, Schweine und 18 Vogelarten. Außerdem bauen sie Obst und Gemüse an. Auf La China gibt es einen großen Kaninchenstall, etliche Gehege und einen 'Ranchón', wie auf Kuba die offenen Unterstände aus Holz mit Palmblätterdächern genannt werden, unter denen das soziale Leben stattfindet. "Doch noch haben wir hier kein Haus. Ich wünsche mir so sehr, dass es bewilligt wird", meint die Bäuerin. Bis zur Farm und zurück muss sie jeden Tag eine Strecke von insgesamt fünf Kilometer zurücklegen und einen Nachtwächter bezahlen.

Der Erlass 259, der 2008 verabschiedet wurde, sieht vor, dass Menschen die Bewirtschaftung einer brachliegenden Fläche über einen Zeitraum von zehn Jahren beantragen können. Den Erlass 300, der den Menschen erlaubt, auf dem Grundstück ein Haus zu bauen, gibt es jedoch erst seit 2012.


Bürokratie als Bremse

Bürokratie ist eine weitere Schwierigkeit, die den kubanischen Landwirtschaftssektor abbremst. Bisher wird er strikt vom Staat kontrolliert. Allerdings wurde auf einer Parlamentssitzung am 5. Juli entschieden, dass die Zahl der Mitarbeiter des Agrarministeriums und der Provinz- und Gemeindedelegationen als Teil der wirtschaftlichen Anpassung um 41 Prozent zusammengestrichen wird.

Von den auf Kuba bewirtschafteten Böden befinden sich heute 26,6 Prozent in privater Hand, 21,7 Prozent werden nach dem Nießbrauchrecht bewirtschaftet. Der Rest gehört dem Staat oder aber befindet sich im Besitz von Kooperativen.

"Es ist wirklich hart, aufs Land zurückzukehren, wenn einem das erforderliche Wissen, die Fähigkeiten und wirtschaftlichen Mittel fehlen", meint die 44-jährige Mireya Ramírez, die ihren Job als Computerexpertin aufgegeben hatte, um auf der Farm ihres Schwiegervaters mitzuhelfen, nachdem sich dieser an der Hand verletzt hatte.

Bis vor fünf Jahren hatte sie keine Ahnung von der Landwirtschaft gehabt, obwohl sie seit ihrer Heirat auf der Los-Solos-Farm in Campo Florida, einem weiteren Gebiet am Rande von Havanna lebt. "Ist das Land zu weit weg, brauchst du ein Transportmittel, um dorthin zu kommen", berichtet sie. "Um in einem größeren Umfang produzieren zu können, bedarf es einer Kapitalspritze. Für mich war es sehr schwierig, mit den Geldern so zu jonglieren, dass wir diversifizieren konnten. Dafür bin ich jetzt liquide wie nie zuvor", sagt sie und lächelt.


Anreize

Die Behörden haben den Bauern den Zugang zu Krediten erleichtert und Geschäfte geöffnet, in denen landwirtschaftliches Werkzeug und Saatgut zu haben sind. Außerdem wurden die staatlichen Abnahmepreise erhöht. In Kuba müssen Bauern den Großteil ihrer Ernten an den Staat verkaufen. Ferner ist es Tourismusunternehmen wie Restaurants und Hotels erlaubt, bei den Farmern direkt einzukaufen.

Doch Bauern und Experten sind der Meinung, dass die Maßnahmen nicht weit genug gehen. Die Kredite sollten höher ausfallen, um den Bauern zu ermöglichen, mehr Saatgut, Jungtiere und Agrarmaschinen kaufen sowie Häuser, Ställe und Zufahrtsstraßen bauen zu können, meint der Journalist Roberto Molina.

Die Lage der Bauern hängt im Großen und Ganzen von der Entfernung zu den Städten und vom Stand der wirtschaftlichen Entwicklung der jeweiligen Provinzen ab. In den Außenbezirken der Hauptstadt und in den Westprovinzen wie Mayabeque, Artemisa und Matanzas finden sich durchaus wohlhabende Familien mit Autos und komfortablen Wohngebäuden. Doch in den Bergen und anderen entlegeneren Teilen des Landes leben die Menschen in primitiven Strohhütten mit Lehmböden, Grubenlatrinen und ohne Strom und fließendes Wasser.

"Meiner Erfahrung nach, die ich bei meinen Reisen durch die ländlichen Gebiete gemacht habe, ist, dass dort nur wenige soziale Aktivitäten stattfinden und es an vielem mangelt. Mit dem, was die Bauern dort verdienen, können sie ihre grundlegenden Bedürfnisse nicht decken", meint der Agroökologe Fernando Funes-Monzote, der mit seiner Familie eine Farm in Artemisa, einer Nachbarprovinz von Havanna, betreibt. (Ende/IPS/kb/2014)


Links:

http://www.ipsnews.net/2014/08/going-back-to-the-farm-in-cuba/

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IPS-Tagesdienst vom 11. August 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. August 2014