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LATEINAMERIKA/1512: Venezuela - Frauenquote für die kommenden Parlamentswahlen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 13. Juli 2015

Venezuela: Frauenquote für die kommenden Parlamentswahlen

von Humberto Márquez



Bild: © Raúl Límaco/IPS

In einem Wahllokal in Caracas anlässlich der Präsidentschaftswahlen vom 14. April 2013
Bild: © Raúl Límaco/IPS

CARACAS (IPS) - Bei den kommenden Parlamentswahlen im Dezember können sich die Wähler zwischen ebenso vielen Frauen wie Männern entscheiden. Doch die vom Nationalen Wahlrat (CNE) beschlossene Regelung ist in dem südamerikanischen Land selbst umstritten.

Was die Befürworter als wichtigen Schritt in Richtung Gleichberechtigung begrüßen, halten die Gegner für einen politischen Trick, um die Opposition zu schwächen, die in den Meinungsumfragen derzeit vorne liegt.

"Die parlamentarische Frauenquote ist seit langem überfällig. Sie ist das Ergebnis eines jahrzehntelangen Kampfes hunderter venezolanischer Frauen", meinte die CNE-Präsidentin Tibisay Lucena bei Bekanntgabe des CNE-Beschlusses. "Wir kommen mit unseren Bemühungen um eine Demokratisierung des Landes voran."

Nach Jahren politischer Polarisierung wird am 6. Dezember das neue Ein-Kammer-Parlament für den Zeitraum 2016 bis 2020 gewählt. Das von Präsident Nicolás Maduro, dem politischen Erben des 2013 verstorbenen Staatschefs Hugo Chávez, geführte Land leidet zurzeit unter dem Niedergang der internationalen Erdölpreise, einer Abwertung der Währung, Inflation und unter Engpässen bei der Versorgung mit Grundgütern.

Viele Frauen beider Seiten des politischen Spektrums begrüßen indes die neue Regelung. Endlich sei Venezuela in den Klub der lateinamerikanischen Länder aufgerückt, die eine Frauenquote für die Wahl der Abgeordneten verlangten, sagte Marelis Pérez Marcan von der Vereinigten Sozialistenpartei Venezuelas (PSUV) und Abgeordnete des Lateinamerika-Parlaments.

Das erdölreiche Land hatte erstmals 1997 eine Frauenquote für die Parlamentswahlen beschlossen. Vorgesehen war, dass mindestens 30 Prozent der Kandidaten weiblich sein sollten. Der Beschluss wurde jedoch durch das Wahlgesetz 2000 rückgängig gemacht. Seither arbeitete der CNE an einer 50-50-Quote.

In Abwesenheit einer Quote sind derzeit 137 der 165 venezolanischen Parlamentarier männlich, und nur 28 der Sitze oder 17 Prozent werden von Frauen gehalten. Aufgrund dieses geringen Frauenanteils führt die Interparlamentarische Union (IPU) Venezuela auf der Liste der lateinamerikanischen und karibischen Staaten mit frauenfreundlichen Parlamenten auf dem 18. Platz. IPU-Zahlen zufolge sind 24,5 Prozent der lateinamerikanischen Parlamentarier Frauen. Global sind es 20 Prozent.


Quotenvorreiter Bolivien

An oberster Stelle steht Bolivien, wo Frauen 53 Prozent der Sitze des Unter- und 47 Prozent der Sitze des Oberhauses innehaben. Mindestens zehn weitere Länder der Region haben parlamentarische Frauenquoten eingeführt. Eines von ihnen - Argentinien - war sogar das weltweit erste Land mit einer solchen Quotenregelung. In Kolumbien besteht eine 30-prozentige Frauenquote für hochrangige öffentliche Ämter.

Venezuelas neue Regelung sieht vor, dass die politischen Parteien genauso viele Männer wie Frauen auf ihren Kandidatenlisten alternierend führen müssen. Lässt sich in einem oder mehr der insgesamt 24 Wahlkreise keine 50-50-Parität erreichen, müssen mindestens 40 Prozent der Kandidaten Frauen sein.


Bild: © Mit freundlicher Genehmigung von Raúl Límaco

Anhänger der regierenden Vereinigten Sozialistischen Partei vor dem Parlament in Caracas
Bild: © Mit freundlicher Genehmigung von Raúl Límaco

Elsa Solórzano vom Runden Tisch der demokratischen Einheit (MUD), der Allianz der 27 Oppositionsgruppen und -parteien, kritisierte das Timing der neuen Regelung. Ihrer Meinung nach verstößt die Norm gleich gegen mehrere Verfassungsklauseln wie Artikel 298, demzufolge das Wahlrecht in den sechs Monaten vor Wahlen "unter keinen Umständen" verändert werden darf. Wie sie weiter erläuterte, erfolgte die Neuregelung vom 29. Juni einen Monat nach den vom CNE überprüften MUD-Vorwahlen und zwingt die Koalition nur zur Aufstellung einer neuen Kandidatenliste.

Die Geschichts- und Politikwissenschaftlerin Margarita López Maya hält die "unerwartete Einführung der Frauenquote" für einen Versuch der Regierungspartei, ein Klima der Unsicherheit im Vorfeld der für das Land "wichtigen Wahlen" am 6. Dezember zu schaffen. Wie sie betonte, setzt sich der fünfköpfige CNE-Rat aus vier weiblichen Mitgliedern zusammen, die allesamt der Regierung nahe stünden und folglich für die Quote gestimmt hätten. Das einzige männliche Mitglied stünde der Opposition nahe.

Auch die Aktivistin Evangelina García Prince, die in den 1990er Jahren ihrem Land als Frauenministerin diente und der Venezolanischen Beobachtungsstelle für die Menschenrechte von Frauen angehört, ist mit dem Zeitpunkt des Beschlusses nicht zufrieden. "Wir Frauen hatten die Einführung des Gesetzes rechtzeitig gefordert", meinte sie.

Lucena hingegen verteidigte die Einführung der Frauenquote mit dem Hinweis, dass sie seit Februar mit den Parlamentarierinnen der Opposition über die Einführung gesprochen habe. Formell sei die MUD jedoch nie über die Pläne informiert worden, erklärte Vicente Bello, ein Experte für Wahlangelegenheiten der Allianz der Oppositionsparteien. Am Ende würden die Wähler entscheiden, versicherte Lucena.

Die Oppositionsführerin Isabel Carmona, Vorsitzende der Demokratischen Aktion, die das Land im 20. Jahrhundert etliche Male regiert hatte, begrüßte die neue Quotenregelung. "Diese Maßnahme rüttelt an den kulturellen Festen der vom Machismus geprägten Machtverhältnisse. Wer privilegiert ist, denkt nicht daran, die Macht abzugeben. Wir sind dabei, dieses System zu demontieren." (Ende/IPS/kb/13.07.2015)


Links:

http://www.ipsnoticias.net/2015/07/eleccion-parlamentaria-sera-con-paridad-de-genero-en-venezuela/
http://www.ipsnews.net/2015/07/parliamentary-elections-with-gender-parity-in-venezuela/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 13. Juli 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Juli 2015

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