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LATEINAMERIKA/1519: Brasilien - Verbot von Firmenspenden für Wahlkampagnen soll Korruption bremsen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 28. September 2015

Brasilien: Verbot von Firmenspenden für Wahlkampagnen soll Korruption bremsen

von Mario Osava


RIO DE JANEIRO (IPS) - In Brasilien ist die Finanzierung von Wahlkampagnen durch die Privatwirtschaft künftig verboten. Dies hat der Oberste Gerichtshof (SFT) des Landes in diesem Monat mit acht gegen drei Stimmen beschlossen.

Das Urteil vom 17. September folgte damit der brasilianischen Anwaltsvereinigung (OAB), der zufolge diejenigen Gesetze, die solche Zuwendungen gestatten, gegen die Verfassung von 1988 verstoßen.

Laut OAB widerspricht die Parteienfinanzierung dem in der Verfassung verankerten Grundsatz, nach dem die gewählten Volksvertreter die private und die öffentliche Sphäre voneinander trennen müssen.

Durch die finanziellen Zuwendungen der Firmen werde jedoch die Ungleichheit, die das Wirtschaftsleben charakterisiere, auf die politische Sphäre übertragen. Anstelle der Demokratie entstehe eine Plutokratie, eine Regierung der Reichen, erklärte der Anwaltsverband.

Die Kandidaten, deren Wahlkampf von Parteien finanziert werde, verwandelten sich in 'Schuldner', deren Aufgabe darin bestehe, "die ökonomischen Interessen ihrer Gläubiger bei Gesetzgebung, Budgetplanung, Ausschreibungen und öffentlicher Auftragsvergabe" zu verteidigen. Dadurch werde auch der Korruption Vorschub geleistet, die in der Politik fast immer mit der Wahlkampffinanzierung in Zusammenhang stehe.


Firmen und Politiker in Bestechungsskandale verstrickt

Der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes ging ein Skandal voraus, in den der staatliche Erdölkonzern 'Petrobras' verstrickt ist. Ersten Schätzungen zufolge wurden umgerechnet etwa sechs Milliarden US-Dollar für Schmiergelder abgezweigt. Insgesamt werden mehr als 30 brasilianische Politiker beschuldigt, von Firmen, die an öffentlichen Aufträgen interessiert waren, Bestechungsgelder entgegengenommen zu haben. Mit einem Teil dieser Beträge sollen Parteien und ihre Kandidaten während Wahlkämpfen bedacht worden sein.

Nach Ansicht von Clara Araujo, Soziologin an der Universität des Bundesstaates Rio de Janeiro, wird das Verbot der Parteispenden von Unternehmen auch der Gleichberechtigung von Frauen und Männern in der Politik zugutekommen. Kandidatinnen erhalten im Vergleich zu ihren männlichen Konkurrenten bisher deutlich weniger finanzielle Unterstützung von den Parteien. Wie aus der 2014 veröffentlichten Studie 'Frauen bei den Wahlen 2010' hervorgeht, an der Araujo als Ko-Autorin beteiligt war, werden Politikerinnen eher von Einzelpersonen als von Firmen gesponsert.

Auch die Tatsache, dass eine Frau, Präsidentin Dilma Rousseff, seit 2011 in Brasilien regiert, hat kaum etwas an der Benachteiligung von Frauen geändert. Da Kandidatinnen geringere Geldbeträge zur Verfügung stehen und sie in der Wahlwerbung, insbesondere im Fernsehen, weniger stark präsent sind, sitzen weit mehr Männer als Frauen im brasilianischen Parlament. Im Abgeordnetenhaus machen sie lediglich zehn Prozent und im Senat 13,6 Prozent der Mandatsträger aus, obgleich 52 Prozent der Wahlberechtigten in dem größten südamerikanischen Land weiblich sind.

"Das Urteil des Obersten Gerichts ist eine gute Nachricht inmitten des politischen Chaos, das Brasilien durchlebt", meint Guacira de Oliveira, eine der Leiterinnen des Feministischen Studien- und Beratungszentrums. Allerdings blieben die Regeln, die die Ungleichheit innerhalb der Parteien aufrecht erhielten, bestehen. "Auch künftig werden öffentliche Mittel, etwas aus dem Parteienfonds, und die Festlegung der Zeitfenster für die Wahlwerbung in Radio und Fernsehen vor allem den großen Parteien nutzen", kritisiert sie.

Nur tiefgreifende politische Reformen, wie sie von der Zivilgesellschaft vorgeschlagen werden, könnte den Wahlprozess tatsächlich demokratischer gestalten. Experten bezweifeln jedoch, dass das Parlament, in dem die Konservativen derzeit die Mehrheit haben, eine solche Reform verabschieden wird.


Soziale Netzwerke werden immer wichtiger

Fest stehe bereits, dass die Parteien ohne die Unterstützung durch Unternehmen bei ihren Wahlkampagnen große Abstriche machen müssten, sagt Fernando Lattman-Weltman, Politologe an der Universität von Rio de Janeiro. "Kandidaten und Parteien werden sparen müssen. Dies wird dazu führen, dass soziale Netzwerke im Internet bei Wahlkämpfen eine immer wichtigere Rolle spielen werden."

Lattman-Weltman ist überzeugt, dass die Wirtschaft nach dem Gerichtsurteil neue Wege finden wird, um Einfluss auf die Politik zu nehmen. "Nachdem die Tür für legale Parteispenden geschlossen worden ist, werden sie Gesetzeslücken suchen."

In den vergangenen zwei Jahrzehnten sind Wahlkämpfe in Brasilien aufgrund verstärkter Werbeaktivitäten immer teurer geworden. Erfolgreiche PR-Strategen wurden auch in anderen lateinamerikanischen Staaten und Ländern Afrikas angeheuert und schlossen millionenschwere Verträge ab.

Massenmedien haben Wahlkämpfe in Brasilien in einen Werbekrieg nach US-amerikanischem Muster verwandelt. Ständig geführte Umfragen beeinflussen öffentliche Debatten und die TV-Berichterstattung. Lattman-Weltman plädiert für eine Rückkehr zur Wahlwerbung auf den Straßen unter Beteiligung freiwilliger Helfer.

Die Kommunalwahlen in 5.570 brasilianischen Städten und Gemeinden werden 2016 zum Prüfstein dafür werden, ob der Wahlkampf ohne Zuwendungen großer Unternehmen transparenter und demokratischer ablaufen wird. Dies wird sich insbesondere in Metropolen wie São Paulo und Rio de Janeiro zeigen, in denen Millionen von Wählern leben. (Ende/IPS/ck/28.09.2015)


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http://www.ipsnoticias.net/2015/09/revolucion-electoral-en-brasil-busca-neutralizar-poder-economico/

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IPS-Tagesdienst vom 28. September 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Oktober 2015

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