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LATEINAMERIKA/1748: Rechtsruck unvermeidlich? - Costa Rica vor den Wahlen (poonal)


poonal - Pressedienst lateinamerikanischer Nachrichtenagenturen

Rechtsruck unvermeidlich? - Costa Rica vor den Wahlen

Von Markus Plate


(San José, 30. Januar 2018, npl) - Am 4. Februar wählt Costa Rica. Mindestens fünf Präsidentschaftskandidaten können sich Hoffnungen machen, es zumindest in eine Stichwahl zu schaffen - Ausdruck eines zunehmend zersplitterten politischen Spektrums in einem der historisch stabilsten Länder Lateinamerikas. Bislang dominieren Hardliner den Wahlkampf.


Die aktuelle Situation in Costa Rica

Das Leben in Costa Rica ist härter geworden. Die zweifache Mutter Marta, eine weltoffene Mitvierzigerin, putzt im universitären Osten von San José und bringt damit ihre Familie durch. Wohlhabend wird man davon nicht, die Arbeitstage sind lang, der Anreiseweg von einem günstigen Wohnviertel im Westen San Josés ans andere Ende der Stadt ebenfalls. Aber Marta ist nicht unzufrieden. Sie weiß, dass die Situation in Costa Rica alles andere als rosig ist und sagt: "Die Schweiz Zentralamerikas hat sich in den letzten Jahren ziemlich zerlegt!"

Ein Fünftel der Bevölkerung lebt immer noch unter der Armutsgrenze. Die Situation auf dem Arbeitsmarkt ist nach wie vor äußerst angespannt. Gewalt und Mordraten liegen zwar immer noch deutlich unter den Werten von Honduras oder Guatemala, aber ein Gefühl von Sicherheit ist vielen Ticos in den letzten zwei Jahrzehnten immer mehr abhanden gekommen. Hinzu kommt die Korruption, die - zumindest gefühlt - auch die amtierende Regierung von Präsident Luis Guillermo Solís nicht in den Griff bekommen hat.


Aufsplitterung des politischen Spektrums

Einen Garanten für politische Stabilität gibt es mittlerweile nicht mehr. Die Partei der Nationalen Befreiung PLN (Partido Liberación Nacional) und die Christsozialen PUSC (Partido Unidad Social Cristiana) hatten sich seit den 1950er Jahren die Macht geteilt, bis vor vier Jahren erstmalig Luis Guillermo Solís für die Partei der Bürgeraktion PAC (Partido Acción Ciudadana) die Präsidentschaftswahlen gewann. Die PAC war direkt nach der Jahrtausendwende als politischer Ausdruck der damals massiven Proteste gegen das CAFTA-Freihandelsabkommen zu einer ernstzunehmenden Kraft geworden. Seitdem bröckelt die Macht der "Volksparteien" weiter.

Die Christsozialen treten dieses Jahr mit zwei Kandidaten an. Aber auch das PLN-Lager, theoretisch immer noch gut für 40 Prozent der Stimmen, hat sich im letzten Jahr in zwei Listen gespalten. Aus den Vorwahlen im April 2017 ging der Großgrundbesitzer und Unternehmer Antonio Álvarez Desanti als Sieger hervor, den auch der zweimalige Ex-Präsident Oscar Árias Sánchez (1986-90 und 2006-10) favorisierte. Doch Desanti gilt als blass und wankelmütig und verliert seit Monaten an Zustimmung.

Die bei den PLN-Vorwahlen unterlegene Strömung um den damaligen Parteivorsitzenden und Ex-Präsidenten José María Figueres Olsen (1994-98) stellte mit dem polarisierenden Rechtspopulisten Juan Diego Castro einen eigenen Kandidaten auf. Dem auch wegen seiner aggressiven Umgangsformen als "Trump von Costa Rica" titulierten Castro konnten bislang weder Ermittlungen wegen häuslicher Gewalt, Attacken auf missliebige Journalisten, noch die Beschimpfung der starken Umweltbewegung als "Ökoterroristen" viel anhaben. Für seine Verbindungen mit der Anwaltskanzlei Mossack Fonseca - bekannt geworden durch die Panama Papers - gilt das gleiche. Castro kann sich durchaus Hoffnungen machen, als Gewinner aus der Stichwahl hervorzugehen.


Zementskandal bringt PAC in Bedrängnis

Die PAC von Präsident Luis Guillermo Solís hat in ihren ersten vier Regierungsjahren zwar mit negativer Presse, einem von den Altparteien kontrolliertem Parlament und zumindest in der Anfangszeit mit der eigenen Unerfahrenheit zu kämpfen gehabt, war aber nicht vollkommen unbeliebt. Bis Mitte 2017 ein Skandal um aus China importierten Zement das Land erschütterte. Ein Unternehmer hatte sich dank bester Beziehungen zu Parlamentarier*innen verschiedener Parteien und zu Vorständen der staatlichen Bank von Costa Rica (BCR) Importlizenzen und kaum abgesicherte Millionenkredite gesichert. Der als Antikorruptionspartei angetretene PAC bescherte dieser Skandal einen massiven Vertrauensverlust. Diverse Rücktritte waren die Folge.

Das zweite Aufregerthema: Am 9. Januar 2018 hatte der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte ein Rechtsgutachten veröffentlicht, nach dem homosexuelle Paare mit heterosexuellen gleichzustellen sind. Für die LGBTI-Bewegung und für Vizepräsidentin Ana Helena Chacón, eine entschiedene Befürworterin der Gleichstellung, ist die Entscheidung ein großer Erfolg. Der Zeitpunkt des Richterspruches mitten in der heißen Phase des Wahlkampfes ist jedoch heikel. Die PAC darf dennoch hoffen, mit ihrem Kandidaten Carlos Alvarado wie vor vier Jahren einen größeren Teil des mehrheitlich noch unentschlossenen, liberalen Costa Ricas für sich mobilisieren zu können.


Polarisierung zwischen liberal und konservativ

Gleiches gilt aber auch für die moralkonservative und religiöse Wahlbevölkerung. Laut Fabiola Pomareda, Journalistin und Chefredakteurin beim Alternativen Kommunikationszentrum Voces, fährt vor allem die religiöse Rechte schon seit Monaten eine bislang beispiellose Kampagne gegen progressive Kräfte. In eigenen Fernseh-, Radio- und Internetkanälen hat sie gegen Genderthemen, Rechte der LGBT-Community, gegen Sexualkundeunterricht und künstliche Befruchtung polemisiert. Offensichtlich mit Erfolg: Wahlumfragen kurz nach der Gerichtsentscheidung sehen vor allem den homophoben, evangelikalen Kandidaten Fabricio Alvarado im Aufwind, dem nun sogar Chancen eingeräumt werden, die Stichwahl zu erreichen.

Chancenlos scheint der Kandidat der linken Frente Amplio, Edgardo Araya. Seine zwei Prozent sind kein Vergleich zu den 17 Prozent, die der weitaus charismatischere, visionäre und in den sozialen Bewegungen gut vernetzte junge Familienvater José María Villalta vor vier Jahren einfuhr. Zumal die aggressiven Kampagnen der religiösen und populistischen Rechten soziale Themen in den Hintergrund gedrängt haben - sehr zum Gefallen der costa-ricanischen Oligarchie und transnationaler Unternehmen, der es nur Recht ist, dass nicht über die ökologisch-sozialen Verwerfungen diskutiert wird, die das neoliberale, exportorientierte Wirtschaftsmodell Costa Ricas hervorgerufen hat.

Wenige Tage vor der Wahl ist nur klar, dass es erneut einen zweiten Wahlgang, diesmal am Ostersonntag, dem 1. April geben wird. Dem liberalen und linken Lager bleibt die Hoffnung, dass ob des Schreckgespenstes einer Stichwahl zwischen Rechtspopulistisch (Castro) und Evangelikal (Fabricio Alvarado) noch viele Unentschlossene und Nichtwähler am Ende ihr Kreuzchen doch noch bei ihnen machen. Marta jedenfalls wird zu Wahl gehen, just, weil ihr vor beiden Kandidaten graut.


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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Februar 2018

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