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NAHOST/1045: Beduinen im Westjordanland droht Massenvertreibung (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 21. Oktober 2014

Nahost: Beduinen im Westjordanland droht Massenvertreibung

von Mel Frykberg


Bild: © Mel Frykberg/IPS

Provisorische Beduinenhütte in einer Siedlung östlich
von Jerusalem
Bild: © Mel Frykberg/IPS

Ramallah, Westjordanland, 21. Oktober (IPS) - Auf einem Hang längs der Hauptstraße, die Jerusalem mit dem Toten Meer und der alten Stadt Jericho verbindet, befindet sich eine Ansammlung aus Baracken und Zelten. Strom gibt es nicht, und auch der Zugang zu Leitungswasser fehlt, ebenso der Anschluss an die Kanalisation. Hier leben 50 Beduinen seit vielen Jahren von der Hand in den Mund.

Im Winter kriechen Wind und Regen durch die Ritzen ihrer primitiven Behausungen. Die Wege verschlammen, und um die erbärmlichen Hütten bilden sich Pfützen. "Hier sind wir seit vielen Jahren zuhause", sagt Naifa Youssef, eine der Beduinen. "Wir wüssten nicht, wo wir sonst hin könnten."

Das Wasser beschafft sich die Gemeinschaft aus dem fünf Kilometer entfernten Anata, dem nächsten Dorf. Die 15-minütige Taxifahrt kostet etwa zwei US-Dollar pro Kopf. Die Männer der Beduinengemeinschaft verdingen sich als Tagelöhner. Die wichtigsten Einnahmequellen der Familien sind jedoch Ziegen und Schafe, deren Weideland allerdings aufgrund der vorrückenden israelischen Siedlungen immer mehr zusammenschrumpft.


27.000 Beduinen bedroht

Die Beduinen hatten bis zur Gründung des Staates Israel 1948 in der Wüste Negev gesiedelt. Diejenigen, die heute im Westjordanland leben, wurden im gleichen Jahr vertrieben - eine Erfahrung, die sich nach den Vorstellungen Israels wiederholen dürfte. Denn nach den Plänen Israels sollen 27.000 palästinensische Beduinen aus Gebiet C der West Bank weichen, um israelischen Siedlungen Platz zu machen.

Im August hatte die israelische Regierung angekündigt, im Westjordanland eine Fläche von mehr als 400 Hektar zu konfiszieren. Macht sie ihre Ankündigung wahr, wäre dies der größte Landraub des jüdischen Staates seit 30 Jahren.

Das Palästinensergebiet ist in drei Zonen unterteilt: Gebiet A steht unter palästinensischer, Gebiet B unter israelisch-palästinensischer und Gebiet C, das beinahe 60 Prozent des Westjordanlandes umfasst, unter israelischer Kontrolle. Die Israelis argumentieren, dass den Palästinensern das Gebiet nach den Osloer Abkommen von 1993 nicht gehört und dass die meisten Infrastrukturen ohne Genehmigung gebaut wurden.

Doch für die Palästinenser ist es schwierig, in Ostjerusalem und in den meisten Teilen des Westjordanlandes an solche Genehmigungen zu kommen. In Gebiet C ist das nahezu unmöglich. Den Kritikern zufolge versuchen die israelischen Behörden mit allem Mitteln, sich das besetzte Gebiet als Teil Israels zu erhalten.

Youssefs Gemeinschaft hat nur noch zwei Monate Zeit, um zu verschwinden. Tut sie es nicht, wird sie von den israelischen Sicherheitskräften dazu gezwungen. "Wir wissen nicht, wohin wir gehen sollen", meint die 30-Jährige. "'Für eine Wohnung in einem palästinensischen Dorf fehlen uns die Mittel."

Es gibt viele Beduinen im Westjordanland, die in einer ähnlichen Lage sind. In Vorbereitung dessen, was viele Stimmen als ethnische Säuberung bezeichnen, ist Israels Zivilverwaltung, die das Westjordanland verwaltet, bereits dazu übergegangen, palästinensische Infrastrukturen wie Baracken, Zelte und Scheunen einzureißen, die angeblich illegal gebaut worden sind.

Mehr als 12.000 Beduinen sollen in eine neue Siedlung in der Nähe der Stadt Jericho verbracht werden, die von einer Pufferzone, israelischen Siedlungen und einem israelischen Kontrollpunkt umgeben ist. Dadurch wird die Möglichkeit für die Beduinen, ihre Tiere zu weiden, erheblich eingeschränkt. Dabei sind die Herden die wichtigste Einnahmequelle der Hirtennomaden.

Bereits in den 1990er Jahren hatte die Zivilbehörde etliche Beduinengemeinschaften von einem Areal in der Nähe von Ostjerusalem in die unmittelbare Nachbarschaft einer Müllhalde in Gebiet B umgesiedelt Die Vertreibung diente in erster Linie dazu, die israelische Maale-Adumim-Siedlung zu erweitern, eine der größten im Westjordanland.


Geteiltes Westjordanland

Um Maale Adumim noch weiter zu vergrößern, zielt ein Teil des israelischen Plans darauf ab, durch den Bau weiterer Siedlungen einen als 'E1 Korridor' bekannten Gebietsstreifen zu erhalten, der die Siedlungen mit Ostjerusalem verbindet, wodurch jedoch das Westjordanland faktisch in zwei Teile zerfällt.

Darüber hinaus würde dieser Schritt Ostjerusalem noch mehr vom Westjordanland entfernen. Aufgrund kultureller, familiärer, wirtschaftlicher und religiöser Beziehungen ist Ostjerusalem jedoch für die Palästinenser von besonderer Bedeutung. Außerdem hoffen sie auf einen eigenen Staat mit Ostjerusalem als Hauptstadt.

"Der Plan der Zivilbehörde verstößt gegen internationales humanitäres Recht, das die Zwangsumsiedlung geschützter Personen wie dieser Beduinengemeinschaften untersagt, es sei denn, der Schritt ist zeitlich begrenzt, dient der Sicherheit der Betroffenen oder erfolgt aus einer militärischen Notwendigkeit heraus", meint die israelische Menschenrechtsorganisation B'tselem.

"Der Vertreibungsplan der Zivilbehörde erfüllt keine dieser Voraussetzungen. Israel ist als Besatzungsmacht völkerrechtlich dazu verpflichtet, zum Wohl der Menschen in den besetzten Gebieten zu handeln. Das lässt sich von einem Schritt, der auf die Ausweitung israelischer Siedlungen zielt, sicher nicht sagen." (Ende/IPS/kb/2014)


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http://www.ipsnews.net/2014/10/israel-planning-mass-expulsion-of-bedouins-from-west-bank/

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IPS-Tagesdienst vom 21. Oktober 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Oktober 2014