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NAHOST/1082: Das Scheitern der Umsturzpolitik - Annäherung zwischen Saudi-Arabien und Syrien (german-foreign-policy.com)


Informationen zur Deutschen Außenpolitik - 30. März 2023
german-foreign-policy.com

Das Scheitern der Umsturzpolitik

Annäherung zwischen Saudi-Arabien und Syrien besiegelt das Scheitern der westlichen, auch deutschen Umsturzpolitik in Nah- und Mittelost. Westliche Dominanz in der Region schwindet.


DAMASKUS/BERLIN - Saudi-Arabien und Syrien nähern sich einander nach jahrelangem Konflikt wieder an und besiegeln damit das Scheitern der westlichen, auch deutschen Umsturzpolitik im Nahen und Mittleren Osten. Vor zwölf Jahren hatten die USA und die Mächte Europas den Aufstand gegen Präsident Bashar al Assad zu nutzen versucht, um in Damaskus einen prowestlichen Statthalter zu installieren. In Berlin wurden vor elf Jahren Konzepte für eine Neuordnung Syriens nach Assads erhofftem Sturz erstellt; damals ließ sich ein Mitarbeiter des deutschen Auslandsgeheimdiensts mit der Aussage zitieren, man könne "stolz darauf sein, welchen wichtigen Beitrag wir zum Sturz des Assad-Regimes leisten". Brachte der Beginn des russischen Militäreinsatzes in Syrien im September 2015 die Wende, so haben nun auch die Staaten der Arabischen Halbinsel - einst loyale Parteigänger des Westens und an dessen Seite für Assads Sturz kämpfend - angefangen, ihre Beziehungen zu Syrien zu normalisieren, parallel zur Annäherung zwischen Saudi-Arabien und Iran. Die Politik des Ausgleichs in Nah- und Mittelost vollzieht sich unter Vermittlung Chinas und läutet das Ende der westlichen Dominanz in der Region ein.

The Day After

In Syrien hatten die westlichen Mächte, darunter Deutschland, schon bald nach dem Beginn des Aufstands gegen Präsident Bashar al Assad (März 2011) angefangen, die Aufständischen zu unterstützen. Ziel war es, Assad durch einen prowestlichen Statthalter zu ersetzen. Im August 2012 schien der Westen seinem Ziel nahe zu sein: "Es gibt viele Anhaltspunkte dafür, dass die Endphase des Regimes begonnen hat", wurde Gerhard Schindler, der Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND), damals zitiert.[1] Zu jener Zeit konnte die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin ein sich über mehrere Monate erstreckendes Projekt abschließen, bei dem unter dem Titel "The Day After" knapp vier Dutzend Vertreter der syrischen Exilopposition in Absprache mit deutschen Regierungsstellen Pläne für eine Neuordnung Syriens nach Assads erhofftem Sturz entwickelten.[2] Gleichzeitig befasste sich das Auswärtige Amt im Rahmen eines lockeren Staatenverbundes ("Friends of Syria") - und in Kooperation mit den Vereinigten Arabischen Emiraten - mit der Erstellung von Planungen für den "wirtschaftlichen Wiederaufbau" und die "Entwicklung" Syriens ebenfalls nach Assads Sturz.[3] Damals prahlte ein BND-Mitarbeiter völlig offen: "Wir können stolz darauf sein, welchen wichtigen Beitrag wir zum Sturz des Assad-Regimes leisten".[4]

Kein Umsturz

Anders als vom BND prognostiziert, stürzte Assad im Sommer 2012 nicht und konnte sich weiterhin in Damaskus an der Macht halten. Eine Wende brachte der Beginn des russischen Militäreinsatzes in Syrien Ende September 2015; Moskaus Streitkräfte trugen von nun an maßgeblich dazu bei, Assads Sturz durch insbesondere jihadistische Milizen zu verhindern. Nach einer kurzen, heftigen Konfrontation mit der Türkei - ein türkischer Kampfjet schoss am 24. November 2015 über Syrien ein russisches Militärflugzeug ab - und nach der Rückeroberung von Aleppo durch syrische Truppen mit russischer Unterstützung gelang es Moskau, in enger Abstimmung mit Ankara den Gang der Dinge in Syrien zu bestimmen, unter Ausschluss der bis dahin im Nahen Osten stets dominanten westlichen Mächte, insbesondere auch der USA.[5] Während Russland Assad weiterhin den Rücken stärkt und die Türkei große Territorien in Nordsyrien okkupiert hat [6], sind die Vereinigten Staaten heute auf eine Militärpräsenz in Nordostsyrien beschränkt. Dort haben sie eigenmächtig, gegen den Willen der syrischen Regierung und damit illegal gut 900 Soldaten stationiert; zusätzlich operieren US-Spezialeinheiten in der Region. Offizielles Ziel ist es, den IS zu bekämpfen. In Wirklichkeit gehen die US-Truppen gegen proiranische Kräfte vor und hindern Damaskus am Zugriff auf ein bedeutendes Erdölfeld, aus dem sie sich Berichten zufolge selbst bedienen.[7]

Syriens Rückkehr

Inzwischen beginnen zudem die Staaten der Arabischen Halbinsel ihren Kurs gegenüber Syrien zu ändern. Hatten sie zunächst ab 2011 an der Seite des Westens den Sturz Assads entschlossen vorangetrieben und dazu nicht zuletzt auch jihadistische Milizen gefördert, so schwenken sie jetzt um. Die Vereinigten Arabischen Emirate hatten erste Schritte in diese Richtung schon Ende 2018 getätigt und ihre diplomatischen Beziehungen zu Damaskus zu normalisieren begonnen - gegen massiven Druck vor allem aus den Vereinigten Staaten. Während EU und USA mit einer brutalen Verschärfung ihrer Sanktionen gegen Syrien den nächsten Versuch starteten, Assad zu stürzen [8], hielten die Emirate an ihrem Kurs fest. Im November 2021 besuchte der emiratische Außenminister erstmals seit Beginn des syrischen Bürgerkriegs Damaskus. Im März 2022 besuchte Assad erstmals wieder die Vereinigten Arabischen Emirate. Washington protestierte und erklärte, man sei "zutiefst enttäuscht", konnte Abu Dhabi aber nicht von seinem Kurs einer zunehmenden Kooperation mit Syrien abbringen.[9] Am 19. März hat der emiratische Machthaber Scheich Mohammed bin Zayed al Nahyan nun Assad mit großem Zeremoniell in Abu Dhabi empfangen. "Syrien war zu lange nicht bei seinen Brüdern", äußerte er, "und es ist an der Zeit, dass es zu ihnen und in sein arabisches Umfeld zurückkehrt".[10]

"Neue geopolitische Charakteristika"

Nach den Vereinigten Arabischen Emiraten schwenkt nun auch Saudi-Arabien auf eine Politik der Zusammenarbeit mit Syrien ein. Riad hat etwas später als Abu Dhabi begonnen, sich Damaskus anzunähern. Nach ersten halboffiziellen Besuchskontakten Ende 2019 hieß es im Mai 2021, der Leiter des saudischen Geheimdienstes GID (General Intelligence Directorate) sei nach Damaskus gereist, um dort seinen syrischen Amtskollegen zu treffen; in den Gesprächen gehe es auch um einen Abbau der Spannungen zwischen beiden Staaten.[11] Ein syrischer Regierungsgegner mit besten Kontakten zum GID wurde im Juni 2021 mit der Einschätzung zitiert, in Riad sei man der Auffassung, die Zeiten hätten sich geändert, und die Region bewege sich "auf eine neue Zukunft" zu, "mit neuen geopolitischen Charakteristika". Aus dem syrischen Außenministerium wiederum hieß es, Riad wolle seinen Konflikt mit Teheran dämpfen und durch eine Entspannung im Verhältnis zu Damaskus signalisieren, es lege es nicht mehr darauf an, die von Iran unterstützte Regierung in Syrien zu stürzen.[12] Zu jener Zeit war Saudi-Arabien tatsächlich um einen Ausgleich mit Iran bemüht und steckte dazu bereits - unter irakischer und omanischer Vermittlung - in Verhandlungen mit seinem traditionellen Rivalen. Nachdem die Verhandlungen im Frühjahr 2022 steckengeblieben waren, stieg China als Vermittler ein.

Das Ende der westlichen Dominanz

Der Volksrepublik ist es gelungen, Saudi-Arabien und Iran am 10. März zu der Einigung zu begleiten, ihre diplomatischen Beziehungen wieder aufzunehmen sowie eine weiterreichende Zusammenarbeit einzuleiten, die auch intensivere Wirtschaftsbeziehungen umfasst (german-foreign-policy.com berichtete [13]). Zu Wochenbeginn wurde bekannt, dass sich die Außenminister beider Staaten in Kürze treffen wollen - noch vor dem Ende des islamischen Fastenmonats Ramadan (21. April).[14] Darüber hinaus bereiten Saudi-Arabien und Syrien nun eine Wiedereröffnung ihrer Botschaften und einen Neustart ihrer konsularischen Dienste vor; dies solle bald nach dem Ende des Ramadan geschehen.[15] Beijing hat sich zufrieden über die Annäherungstendenzen im Nahen und Mittleren Osten geäußert, die nicht zuletzt dank seiner Vermittlung zustandekommen und eine neue Ära in der Region einläuten - eine, in der die westliche Dominanz, die sich vor nur zehn Jahren noch an Umstürzen versuchte, aber bereits daran scheiterte, schwindet.


Mehr zum Thema:
Das Ende der US-Dominanz am Persischen Golf (III).
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9204


Anmerkungen:

[1] Syrische Armee feuert nach Jordanien. zeit.de 11.08.2012.

[2] S. dazu The Day After
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/5663
und The Day After (IV).
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/5693

[3] S. dazu Im Rebellengebiet.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/5705

[4] Deutsches Spionageschiff kreuzt vor Syrien. www.bild.de 19.08.2012.

[5] S. dazu Aleppo, Mossul und die Hegemonie
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7173
und Keine Ordnungsmacht
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7189

[6] S. dazu Die "Türkisierung" Nordsyriens
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8069
und Die Invasionsmacht als Partner
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8947

[7] Lolita C. Baldor: A look at the US military mission in Syria and its dangers. apnews.com 24.03.2023.

[8] S. dazu Politik der verbrannten Erde
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7866

[9] Assad: Syria's leader makes historic visit to UAE. bbc.co.uk 19.03.2022.

[10] Präsident der Vereinigten Arabischen Emirate fordert Ende der Isolation Syriens. spiegel.de 20.03.2023.

[11], [12] Matthew Ayton: 'Times have changed': Saudi Arabia-Syria in rapprochement talks. aljazeera.com 08.06.2021.

[13] S. dazu Das Ende der US-Dominanz am Persischen Golf (III)
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9204

[14] Saudi, Iran foreign ministers to meet during Ramadan. aljazeera.com 27.03.2023.

[15] Saudi Arabia and Syria 'in talks to restore ties'. aljazeera.com 24.03.2023.

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Quelle:
www.german-foreign-policy.com
Informationen zur Deutschen Außenpolitik
E-Mail: info@german-foreign-policy.com

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 31. März 2023

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