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NAHOST/484: Irak - Besatzung abgewählt (jW)


junge Welt - Die Tageszeitung - Ausgabe vom 27. Februar 2009

Besatzung abgewählt

Irak: In Provinzparlamente ziehen überwiegend nationalistische, nichtreligiöse Kräfte.
Präsenz der US-Truppen bleibt zentrales Problem

Von Joachim Guilliard


Im besetzten Bagdad geben sich dieser Tage Spitzenpolitiker aus EU-Staaten die Klinke in die Hand. Nach Frankreichs Staatschef Nicolas Sarkozy und Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier reiste am Donnerstag der britische Außenamtschef David Miliband in die irakische Hauptstadt. Zusammen mit der irakischen Regierung versuchen sie, Normalität im Okkupationsgebiet zu suggerieren und für eine Rückkehr ausländischer Unternehmen ins Zweistromland zu werben - gerade so, als wären Krieg und Besatzung Geschichte.

Tatsächlich haben im vergangenen Monat die Iraker über ihre Provinzparlamente abgestimmt - umgeben von Stacheldrahtzäunen, Panzern und schwerbewaffneten Soldaten. Washington feierte anschließend den erfolgreichen Urnengang als Beweis dafür, daß die US-amerikanische Besatzungspolitik nun doch Erfolg zeigt. Manche Medien priesen die Wahlen gar als »späten Triumph des George W. Bush«. Tatsächlich erteilten die irakischen Wähler der US-Politik aber eine klare Absage. Auch wenn man die Ergebnisse von Wahlen unter Bedingungen wie im Irak nicht überbewerten sollte, so zeigen sie doch eines deutlich: das von den USA installierte, sektiererische, auf Volks- und Konfessionszugehörigkeit basierende Regime hat in der irakischen Bevölkerung keinerlei Basis. Die Wähler gaben ihre Stimmen überwiegend nationalistischen, nichtreligiösen Kräften, die einen einheitlichen Irak mit starkem Zentralstaat anstreben sowie natürlich ein rasches Ende der Besatzung und die vollständige Wiederherstellung der irakischen Souveränität.

An diesem Ergebnis ändern auch die verhältnismäßig hohen Stimmengewinne der »Koalition für Rechtsstaatlichkeit« des Ministerpräsidenten Nuri Al-Maliki nichts, in denen viele Medien einen »überragenden Sieg« des Regierungschefs sahen. Diese erhielt er nicht wegen, sondern trotz des islamistischen Charakters seiner kleinen, mehrfach gespaltenen Partei Al-Dawa. Außer den vielfältigen Möglichkeiten als Regierungschef, die Al-Maliki exzessiv nutzte, verdankte er den Stimmenzuwachs vor allem der neuen Ausrichtung seiner Politik. Indem er sich nun als irakisch-nationalistischer Führer präsentiert und sich aktiv für einen zentralisierten Staat und gegen separatistische Bestrebungen einsetzt, kam er der allgemeinen Stimmung im Land entgegen.

Viele Iraker hoffen darauf, daß Al-Maliki als potentiell »starker Mann« das politische Chaos in den Griff bekommen kann. In der Wahl seiner Partei wurde ein möglicher Weg gesehen, die Besatzung zu beenden. Da sich die Stimmen auf eine sehr große Zahl von Listen verteilten und das Wahlsystem die größeren Parteien begünstigt, errang seine Koalition in den meisten Provinzen des Südens eine beachtliche Zahl der Parlamentssitze. Prozentual blieb sie landesweit jedoch unter 20 Prozent aller Stimmen - ein »überragender Sieg« sieht anders aus.

In Kerbala, der einzigen Provinz, in der Al-Malikis Partei bisher regierte, kam sie nur noch auf 8,5 Prozent. Obwohl die Stadt neben Nadschaf das zweite Zentrum des schiitischen Islams im Irak ist, gewann hier der unabhängige, säkulare Kandidat Yousef Majid Al-Habboubi mit Abstand vor den religiösen Parteien. Das ehemalige Baath- Mitglied war bis zur US-Invasion 2003 Bürgermeister Kerbalas gewesen und hatte sich in dieser Zeit große Anerkennung erworben.

Die anderen Regierungsparteien - der schiitische »Oberste Islamische Rat im Irak« (SIIC), die beiden kurdischen Organisationen PUK und KDP und die sunnitische »Islamische Partei« - verloren massiv. Hatte der proiranische, klerikal ausgerichtete SIIC bei den letzten, äußerst fragwürdigen Wahlen noch in vielen Provinzen die Mehrheit errungen, erhielt er selbst in seinen einstigen Hochburgen gerade noch zehn Prozent, landesweit landete er bei unter fünf Prozent. Die magere Wahlbeteiligung von 51 Prozent reduziert die Bedeutung der Stimmanteile der US-Verbündeten noch weiter. Obwohl es keine formellen Boykottaufrufe gab, blieben mehr Wahlberechtigte zu Hause als vor vier Jahren.

Das Gros der Organisationen, die dem Widerstand nahestehen, lehnt ein Votum unter Okkupationsbedingungen grundsätzlich ab. »Aus unserer Sicht sind die Wahlen zu den Provinzräten, wie auch alle anderen Arten von Wahlen, die unter Besatzung stattfinden, nutzlos und rechtfertigen nur die Besatzung«, erklärte beispielsweise Scheich Harith Al-Dhari, der Führer der Assoziation muslimischer Schriftgelehrter im Irak (AMSI). Auch während des Wahlkampfes gingen Razzien und die willkürliche Gefangennahme von Oppositionellen weiter. Für radikale Gegner der Besatzung war daher an eine aktive Beteiligung an den Wahlen ohnehin nicht zu denken.


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Quelle:
junge Welt vom 27.02.2009
mit freundlicher Genehmigung des Autorin und der Redaktion
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. März 2009