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NAHOST/623: Jerusalems Bürgermeister - 200 palästinensische Häuser müssen weg (EI)


The Electronic Intifada, 9. Februar 2010

Jerusalems Bürgermeister: 200 palästinensische Häuser müssen weg.

Von Jonathan Cook, Auslandskorrespondent


Jerusalems Bürgermeister drohte letzte Woche damit, im palästinensischen Stadtteil 200 Häuser in einem Akt zu zerstören, bei dem er selbst sogar zugibt, dass es daraufhin wahrscheinlich zu langen schweren Spannungen in Ost-Jerusalem kommen wird.

Seine Einstellung ist das letzte Stadium einer langwierigen juristischen Schlacht wegen eines einzigen Gebäudes, das über dem Durcheinander bescheidener Häuser von Silwan herausragt, über einer benachteiligten und überbevölkerten palästinensischen Gemeinde, die direkt außerhalb der Altstadtmauern im Schatten der silbernen Kuppel der Al-Aqsa-Moschee liegt.

Beit Yehonatan oder Jonathans Haus ist unverwechselbar nicht nur wegen seiner Höhe - sieben Stockwerke hoch, also drei Stockwerke höher als seine Nachbarn - sondern auch wegen der Israelflagge, die vom Dach bis zur Straße an der Fassade hängt.

Der "Siedlungsaußenposten", der nach Jonathan Pollard heißt, (der eine lebenslange Gefängnisstrafe in den USA absitzt, weil er in den 80er Jahren für Israel spioniert hat,) ist seit 2004 das Heim für acht extremistische jüdische Familien. Es wurde ohne Genehmigung von der extremistischen Siedlerorganisation Ateret Cohanin gebaut.

Beit Yohanatan ist eines von Dutzenden von Siedlern besetzen Häusern im palästinensischen Areal Ost-Jerusalems - die meisten von ihnen sind den Palästinensern weggenommene Häuser.

Kritiker sagen, die Absicht, die hinter diesen "Außenposten" und den großen vom Staat gebauten Siedlungen in Ost-Jerusalem stecke, in denen beinahe 200 000 Juden leben, sei, ein Friedensabkommen zu vereiteln, das eines Tages den Palästinensern einen bedeutsamen Staat mit Jerusalem als Hauptstadt gewährt.

Aber ungewöhnlich ist es für die Siedler, die gewohnt sind - halb offen, halb verdeckt - Unterstützung von Offiziellen zu bekommen, dieses Mal riskieren sie, aus ihrem Haus hinausgeschmissen zu werden, zwei Jahre nach einer "dringenden Zwangssorder", die vom israelischen Obersten Gerichtshof veröffentlicht wurde.

Letzte Woche stimmte Jerusalems Bürgermeister Nir Barkat schließlich unter Protest nach steigendem Druck zu, Beit Yehonatan zu schließen. Barakat hatte hart gegen die Ausführung der Gerichtsorder gekämpft, wobei ihm ranghohe Mitglieder des Parlaments, der Polizei und sogar Benyamin Netanyahu, der israelische Ministerpräsident, gegen den Rat des eigenen Generalanwalts geholfen haben, der erklärte, die Zukunft von Beit Yehonatan sei eine "reine Gemeindeangelegenheit".

Aber der Bürgermeister hat nicht einfach kapituliert. Er machte darauf aufmerksam, dass Beit Yehonatan nur unter einer Bedingung evakuiert werde, wenn mehr als 200 Abrissbefehle für palästinensische Häuser, vor allem in Silwan genau zu selben Zeit ausgeführt werden. Er behauptete, den Eindruck vermeiden zu müssen, dass das Gesetz in diskriminierender Weise gegen Juden ausgeführt würde.

Jeff Halper, Chef des ICAHD sagte, H. Barakats Idee der Fairness wäre "lächerlich".

"In den letzten 15. Jahren sind mehr als 1000 palästinensischen Häuser in Ost-Jerusalem zerstört worden, dagegen aber kein einziges Siedlerhaus," sagte er. "Tatsächlich haben keine Siedler je ihr Haus in Ost-Jerusalem verloren."

Während Barakat seine Ankündigung macht, gibt er zu, dass die 200 Hauszerstörungen sehr wahrscheinlich einen Konflikt auslösen werden. Die Palästinenser in Ost-Jerusalem kochen wegen Planungsbeschränkungen schon seit Jahrzehnten (vor Wut). Diese Beschränkungen zwangen viele von ihnen, illegal zu bauen oder illegal anzubauen. Denn es ist fast unmöglich für sie, von den israelischen Behörden Baugenehmigungen zu erhalten.

Herr Halper sagte, die Gemeindeverwaltung hätte 22 000 palästinensische Häuser in Ost-Jerusalem als illegal bezeichnet, und sogar einen Mangel an 25 000 Häusern für die 250 000 starke palästinensische Bevölkerung der Stadt taxiert.

Die Häuser, die für den Abriss bestimmt sind, schließen palästinensische Häuser rund um Beit Yehonatan ein, da sie die Planungsbeschränkungen verletzen, die Familien nur zwei Stockwerke zu bauen erlauben; trotz der Beschränkung haben viele Häuser vier Stockwerke und die Besitzer müssen deshalb Geldstrafen zahlen.

Außerdem wünscht der Stadtrat, 88 Häuser in dem kleinen Bustan-Gebiet zu zerstören, da dieses - wie die Gemeindeverwaltung behauptet - in der Gefahr stände, überflutet zu werden.

Zeinab Jaber lebt direkt neben Beit Yehonatan in einem Haus, in dem sie 1961 geboren wurde. Das Gebäude wurde vor 20 Jahren für illegal erklärt, als es wegen der wachsenden Familie um zwei Stockwerke erhöht wurde. Heute zahlt sie und ihre sechs erwachsenen Söhne monatlich mehr als $1000 in der Hoffnung, die Zerstörung abzuwenden.

Ihr Sohn Amjad, 32, verheiratet mit zwei kleinen Söhnen, sagte, er wage nicht, die Zahlung auszusetzen. "Es ist einfach: wenn man nicht zahlst, endet man im Gefängnis."

"Warum sind die Siedler hier?", fragt Frau Jaber, "Sie sind nur deshalb hier, weil sie uns diesen Ort hier wegnehmen wollen. Bevor wir nicht weg sind, sind sie nicht glücklich."

Am gegenüberliegenden Hang, also auf der andern Seite des Tales von Beit Yehonatan wohnt Mohammed Jalajil, 48. Er sagt, er zweifle nicht daran, dass die Gemeindeverwaltung die 200 Häuser zerstören wird. Er, seine Frau und die fünf Kinder leben zusammengedrängt in einem Raum in der Wohnung von Verwandten, seitdem ihr eigenes Haus vor sieben Jahren zerstört wurde.

H. Jalajil, 48, sagte: "Nur wenige Monate, nachdem sie unser Haus nahmen, sah ich, wie die Siedler ihres daneben bauten. Mein Anwalt erzählt mir, daß ich die Geldstrafe wohl weitere zehn Jahre zahlen muß, obwohl mein Haus nicht mehr da ist."

Wenn Herr Barakat mit seiner Drohung durchkommt, werden die Hauszerstörungen von der internationalen Gemeinschaft prompt getadelt werden. Im letzten Monat schlossen sich Frankreich und die USA den UN an und denunzierten mehr als 100 Zerstörungen innerhalb der letzten drei Monate in Ost-Jerusalem.

Die Entscheidung des Bürgermeisters ist vergleichbar mit der "Price-tag-Rache"-Politik der Siedler auf der Westbank", warnte Meir Margalit, ein Ratsmitglied von Jerusalem: Die Siedler griffen palästinensische Dörfer aus Rache dafür an, wenn es offizielle Versuche gibt, einige Siedleraußenposten im palästinensischem Gebiet abzubauen.

Der Unterschied hier ist nur der, dass der "Price tag" diesmal nicht von den Siedlern selbst erhoben wird, sondern von der Gemeindeverwaltung und der Regierung - in ihrem Namen," sagte er.

Gestern war die Gemeindeverwaltung dabei, an die Bewohner des Beit Yehonatan eine Notiz herauszugeben, dass sie innerhalb von sieben Tagen das Haus evakuieren müssten; aber die Operation wurde in letzter Minute gestrichen, als die Polizei sich weigerte, hier mit zu arbeiten.

In Silwan haben sich die Spannungen seit mehreren Jahren wegen der Tätigkeit einer anderen Siedlerorganisation (Elad) verstärkt, die mit offizieller Unterstützung mitten in einem palästinensischen Stadtteil einen archäologischen Park, Davidsstadt genannt, gebaut hat. Nachdem die Palästinenser vertrieben worden waren, sind mindestens 80 jüdische Familien in die Häuser in der Nähe eingezogen.

Als sich Elad selbst in Silwan festgesetzt hatte, ist es für Beit Yehonatan noch schwieriger geworden, sich abzusichern. "Gewöhnlich stellen die Siedler mit dem, was sie tun, eine Fassade der Legalität dar," sagt J. Halper. Das Problem ist hier, dass sie in einer offen illegalen Weise gebaut haben, ohne Genehmigung und die Gebäudehöhe um drei Stockwerke überschritten.

Auf Barakats Widerstand, die Bewohner von Beit Yehonatan zu vertreiben, wurde im letzten Monat ein Schlaglicht geworfen, als er versuchte, juristischen Druck abzuwenden, indem er eine neue Planungspolitik vorschlug, um illegale Gebäude in Silwan zu legalisieren. Der Bürgermeister schlug vor, dass die Regel, die Gebäude auf zwei Stockwerke zu beschränken, auf vier revidiert wird.

Die Reform wurde zuerst für Beit Yehonatan angewandt und die drei weiteren Stockwerke versiegelt. Man erlaubte den jüdischen Familien in den übrigen, den unteren vier Stockwerken wohnen zu bleiben.

Obwohl H. Barakat versprach, dass illegale palästinensische Gebäude auch gerettet werden würden, hat Ir Amin, eine israelische Menschenrechtsgruppe die Forderung des Bürgermeisters abgewiesen.

Die überwältigende Mehrheit der palästinensischen Häuser würde keinen Erfolg haben, sich zu qualifizieren, weil die Landerfassungsdokumente für dieses Gebiet fehlen und eine Reihe von Parkplatzforderungen, Zufahrtsstraßen und Abwässerverbindungsrohre unmöglich zu berücksichtigen sind. So schrieb Orly Noy, eine Sprecherin letzten Monat an Haaretz.

Sie fügte noch hinzu, dass in den palästinensischen Gebieten von Ost-Jerusalem 70 km Abwässerrohre fehlen und dass seit Israels Besatzung 1967 keine einzige neue Straße in diesem Stadtteil gepflastert wurde.

Eine Planungskarte von Ost-Jerusalem, die kürzlich von der Jerusalemer Gemeindeverwaltung gezeichnet wurde, kam letzten Monat zum Vorschein, als H. Barakat versprochen hatte, Gebäude zu legalisieren: sie zeigte, dass mehr als 300 Häuser - die meisten in Silwan - kurz vor dem Abriss stehen.



Übersetzung aus dem Englischen:
Ellen Rohlfs

Englischer Originaltext:
Jerusalem mayor to raze 200 Palestinian homes
http://electronicintifada.net/v2/article11061.shtml
Jonathan Cook, The Electronic Intifada, 9 February 2010

Weitere Texte von Jonathan Cook sowie Informationen über die von ihm verfaßten Bücher findet man auf seiner Website:
http://www.jkcook.net/


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Quelle:
The Electronic Intifada, 09.02.2010
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. März 2010