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NAHOST/681: Ramadan mit Stromsperre und Wasserknappheit - In Gaza fällt das Fasten schwer (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 25. August 2010

Nahost: Ramadan mit Stromsperre und Wasserknappheit - In Gaza fällt das Fasten schwer

Von Eva Bartlett


Deir Al-Balah, Gazastreifen, 25. August (IPS) - Entbehrungen und Versorgungsschwierigkeiten gehören für die 1,5 Millionen Menschen im abgeschotteten Gazastreifen längst zum Alltag. Doch im Fastenmonat Ramadan bekommen sie bei der derzeit herrschenden Hitze von bis zu 40 Grad Celsius die immer längeren und häufigeren Stromsperren und Wasserversorgungsengpässe besonders zu spüren. Oft reicht das Wasser nicht einmal für die Waschungen vor den täglichen Gebeten.

Hauptursache für den Stromausfall ist die mangelhafte Versorgung des Kraftwerks mit Erdöl. Für die Beschaffung und den Transfer des Brennstoffs in den Gazastreifen ist die palästinensische Autonomiebehörde in Ramallah seit November 2009 verantwortlich.

"Seit Tagen gibt es bei uns weder Strom noch Wasser, und es ist unerträglich heiß", klagt der 83-jährige Palästinenser Abu Fouad. In dem sechsstöckigen Betongebäude, in dem er in Deir Al Balah, 15, Kilometer von der Mittelmeerküste entfernt wohnt, leben 53 Menschen.

Seine 64-jährige Frau Umm Fouad, die 15 Kinder großgezogen hat, kränkelt. Auch sie leidet unter der feuchten Hitze. "Ich bin erschöpft und bekomme tagsüber kaum Luft", stöhnt sie. "Selbst wenn wir Strom haben, bringt unser Deckenventilator keine Abkühlung. Doch bei einem so langen Stromausfall wird das Leben im Fastenmonat noch schwieriger. Wir können kein Fladenbrot backen, und Gas zum Kochen fehlt uns auch", stellt sie fest.

Dabei ist der Ramadan für Muslime nicht nur eine Zeit des Fastens, sondern sollte, beim Fastenbrechen nach Sonnenuntergang, auch eine Zeit der Freude sein.

Im Gazastreifen sind die Menschen seit Jahren daran gewöhnt, dass die Elektrizitätsversorgung für Stunden versagt. Wenn aber wie derzeit der Strom für mehrere Tage ausfällt, stehen auch die Pumpen still, die das Wasser aus der städtischen Wasserleitung in die Container auf den Hausdächern pumpen.

Im gesamten Gazastreifen ist die Wasserversorgung problematisch. Nach Angaben der UN versickern 43 Prozent des Wassers durch Lecks in den maroden Leitungen. Das Versorgungsnetz müsste längst überholt werden, doch seit der Abschottung des Gazastreifens ist die Beschaffung des dazu benötigten Baumaterials und neuer Rohre unmöglich.


Nächtelang aufs Wasser warten

"Seit drei Tagen haben wir kein Wasser", berichtet Abu Jaber, einer der vielen Söhne Abu Fouads, der im gleichen Haus wohnt. "In unserem Haus leben 53 Personen in sechs Wohnungen. Jede Wohnung braucht fürs Kochen, Wäschewaschen, Baden und Putzen täglich rund 1.500 Liter Wasser, Trinkwasser nicht eingerechnet."

In dem Haus, das nicht an die städtische Wasserleitung angeschlossen ist, kümmert sich sein betagter Vater um die Wasserversorgung. "Fünf Pumpen transportieren das Wasser über Schläuche zu den sechs 1.500-Liter-Behältern auf dem Dach", erklärt der 45-Jährige Abu Jaber.

Sein Vater berichtet: "Weil niemand weiß, wann es in unserer Gegend endlich wieder Strom und Wasser gibt, bleibe ich die ganze Nacht wach, um den richtigen Zeitpunkt nicht zu verpassen. Es dauert mindestens eineinhalb Stunden, bis ein Behälters gefüllt ist. Ich bekomme wenig Schlaf, und das macht mir in meinem Alter sehr zu schaffen", klagt er.

"Ich mache mir große Sorgen", erklärt das Familienoberhaupt. "Alle brauchen doch Wasser, um sich bei dieser Hitze nach der Arbeit oder nach Schulschluss zu erfrischen und sich vor den Gebeten zu waschen."

Für den gläubigen Muslim ist die rituelle Reinigung vor dem Beten sehr wichtig. "Jetzt im Ramadan hat sie für mich eine ganz besondere Bedeutung. Ich bin nicht anspruchsvoll, aber vor den Gebeten, die ich fünfmal täglich spreche, muss ich Hände, Gesicht und Körper waschen."


Kein Studium, kein Eisladen

Die ganze Großfamilie habe Probleme mit der prekären Strom- und Wasserversorgung, erklärt Abu Jaber. "Meine Tochter braucht für ihr Fernstudium einen funktionierenden Computer und einen Internetzugang", berichtet er. Seinem achtjährigen Sohn Ahmed, der im vergangenen Jahr im Ramadan erstmals gefastet hatte, falle es wegen der Hitze diesmal sehr schwer, das Fastengebot einzuhalten.

Seinen Bruder Abu Oday hätten die häufigen, mehrtägigen Stromausfälle in den geschäftlichen Ruin getrieben, klagt Abu Jaber. "Nach jahrelanger Arbeitslosigkeit hat er vor einigen Monaten einen Eisladen eröffnet. Er sollte seiner fünfköpfigen Familie den Lebensunterhalt sichern. Doch als die ersten Kunden kamen und das erste Geld einging kam es immer häufiger zu Blackouts", berichtet er.

"Das Geschäft deckt nicht einmal meine Unkosten", kritisiert der 31-Jährige Abu Oday. "Wenn mein Generator bei Stromausfall sechs Stunden lang läuft, kostet mich das 30 Schekel (umgerechnet sieben US-Dollar), mehr, als ich in dieser Zeit einnehme. Deshalb mache ich den Laden dicht."

Stromausfälle und Wassermangel stellen in diesem heißen Fastenmonat viele Familien im Gazastreifen vor ähnlich große Probleme. "Trotzdem werden wir weiter fasten, auch wenn dies der schwierigste Ramadan ist, den ich je erlebt habe", versichert Umm Fouad. (Ende/IPS/mp/2010)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. August 2010