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NAHOST/687: Ägypten - Brisante Arbeitsplätze, Fabriken des Militärs dulden keine Proteste (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 1. September 2010

ÄGYPTEN:
Brisante Arbeitsplätze - Fabriken des Militärs dulden keine Proteste

Von Cam McGrath


Kairo, 1. September (IPS) - Ein ägyptisches Militärgericht hat acht Arbeitern den Prozess gemacht. Die Beschäftigte des militäreigenen Unternehmens 'Helwan Engineering Industries' hatten Anfang August mit einem Sitzstreik gegen die mangelhafte Sicherheit an ihren Arbeitsplätzen protestiert. Menschenrechtsaktivisten bestreiten, dass ein militärisches Sondergericht überhaupt für Zivilisten zuständig ist.

"Dieser Prozess war von Anfang an unfair", kritisierte Adel Zakaria vom 'Centre for Trade Union and Worker's Services' (CTUWS). "Zivile Arbeiter sollten nicht dem Militärrecht unterstellt werden, denn seine Gesetze verletzen legale und verfassungsmäßige Garantien, die zivilen Angeklagten zustehen", fügte er hinzu.

Die Anklage warf den Arbeitern vor, sie hätten die Produktion absichtlich gestoppt, Firmeneigentum zerstört und bei einem Sitzstreik den Betriebsleiter, einen Staatsbeamten, angegriffen. Hintergrund des Protestes in der Fabrik südlich von Kairo war die Explosion eines mit Stickstoff gefüllten Zylinders. Bei dem Unfall kam ein Arbeiter ums Leben, sechs weitere wurden verletzt.

"Die Arbeitnehmer protestierten gegen die Schlamperei des Unternehmens, die einen ihrer Kollegen das Leben kostete", stellte Hafez Abu Seada, ein Verteidiger der Angeklagten, fest. "Es handelte sich hier um eine zivilrechtliche Angelegenheit, für die ein Zivilgericht zuständig ist", so der Jurist.

Militärgerichte befassen sich normalerweise mit Fällen, in denen es um die nationale Sicherheit oder um Terrorismus geht. Gegen ihre meist harten, zügig gefällten Urteile ist kein Einspruch möglich.

Menschenrechtsaktivisten werfen den Militärgerichten vor, sich abzuschotten und die Arbeit der Verteidigung einzuschränken. Im Fall der angeklagten Fabrikarbeiter wurden den Verteidigern Kopien der Prozessakten mit der Begründung verweigert, sie könnten Militärgeheimnisse enthalten. Zakaria berichtete, man habe den Anwälten lediglich erlaubt, in nicht öffentlichen Sitzungen Auszüge aus den Akten zu lesen.

Am Ende des rund einwöchigen Prozesses verurteilte das Militärgericht fünf der angeklagten Zivilisten wegen Beschädigung von Fabrikanlagen zu Gefängnisstrafen zwischen sechs Monaten und einem Jahr sowie zu einer Geldstrafe von jeweils 175 US-Dollar. Drei Arbeiter wurden freigesprochen. Die Anklagepunkte Produktionsstopp und Angriff auf den Betriebsleiter wurden ganz fallen gelassen.

Auch von dem Vorwurf, die Arbeiter hätten Militärgeheimnisse verraten, als sie auf einen oppositionellen Internetportal über die mangelnde Sicherheit in der Fabrik berichteten, war am Ende des Verfahrens ebenfalls keine Rede mehr.


Militärprozess soll Arbeiter einschüchtern

Das Urteil sei unerwartet milde ausgefallen, sagte Verteidiger Abu Seada. "Doch die Botschaft, die mit diesem Prozess verbunden war, ist unmissverständlich: In militärischen Fabriken werden Arbeiterproteste nicht toleriert."

Auch wenn in Ägypten Arbeiter nur selten vor ein Militärgericht gestellt werden, haben Menschenrechtsaktivisten nicht vergessen, dass 1952 im nördlichen Kafr el-Dawar ein Militärgericht zwei Arbeiter zum Tode verurteilt hatte, die sich an einem Streik für höhere Löhne beteiligt hatten. Die Männer hätten versucht, die Regierung zu stürzen, urteilte das Gericht und ließ sie hinrichten.

Heute befürchten Menschenrechtsaktivisten, die Regierung drohe mit dem Militärgericht, um die Arbeiter einzuschüchtern und der wachsenden Gewerkschaftsbewegung den Boden zu entziehen.

In einer Erklärung stellte die Menschenrechtsorganisation 'Amnesty International' (AI) fest: "Ägyptische Arbeiter haben mit tausenden Streiks und Sit-ins gegen steigende Lebenshaltungskosten protestiert und höhere Löhne und mehr Sicherheit am Arbeitsplatz gefordert. Es ist beunruhigend, dass Arbeiter jetzt sogar vor ein Militärgericht gestellt werden."


Um Arbeiterrechte besonders schlecht bestellt

Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) zählt Ägypten zu den 25 Staaten mit den schlimmsten Verstößen gegen Arbeiterrechte. Sie klagt über die miserablen Arbeitsbedingungen im Land und wirft der Regierung in Kairo vor, die Freiheit der Gewerkschaften zu verletzen und mit Sicherheitskräften gegen Protestaktionen in Industriebetrieben vorzugehen.

Das Ägyptischen Zentrums für wirtschaftliche und soziale Rechte (ECESR) registrierte 2009 insgesamt 478 Arbeiterproteste, darunter 184 Sitzstreiks, 123 Streiks sowie 106 Protestversammlungen und Demonstrationen. Die meisten richteten sich gegen ungerechte Löhne und unerträgliche Arbeitsbedingungen.

Auch die Betriebsleitung der Helwan Company for Engineering Industries habe die wiederholt von Kollegen vorgebrachten Klagen über schlechte Sicherheitsbedingungen in der Fabrik ignoriert, berichten Arbeiter.

Anstatt die Beschäftigten wegen ihrer berechtigten Forderungen nach sicheren Arbeitsplätzen anzuklagen und vor Gericht zu bringen, sollten die ägyptischen Behörden alles tun, um für bessere Arbeitsbedingungen und sichere Arbeitsplätze zu sorgen", fordert Amnesty International. (Ende/IPS/mp/2010)


Links:
http://www.solidaritycenter.org/
http://www.cesr.org/
http://www.amnesty.org/
http://www.ilo.org/
http://ipsnews.net/news.asp?idnews=52669

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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. September 2010