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NAHOST/690: Israelis riskieren Gefängnis, wenn sie Palästinenser schmuggeln (Jonathan Cook)


Israelis riskieren Gefängnis, wenn sie Palästinenser schmuggeln

Von Jonathan Cook, August 2010


Fast 600 Israelis haben eine Kampagne des zivilen Ungehorsams unterzeichnet, indem sie ein Gelöbnis ablegten, Gefängnisstrafe zu riskieren, um palästinensische Frauen und Kinder nach Israel zu schmuggeln, um einen kurzen Blick auf das Leben außerhalb der besetzten Westbank zu werfen.

Die Israelis sagen, sie seien von dem Beispiel von Ilana Hammerman inspiriert worden. Sie ist Schriftstellerin, die nun von einer strafrechtlichen Verfolgung bedroht ist, nachdem sie einen Artikel veröffentlicht hat, in dem sie zugegeben hat, das Gesetz gebrochen zu haben, als sie drei junge Palästinenserinnen für einen Tag nach Israel gebracht hatte.

Frau Hammerman sagte, sie wolle den jungen Frauen, die niemals die Westbank verlassen hatten, eine Freude machen und ihnen die Chance geben, das erste Mal das Mittelmeer zu sehen.

Ihre Geschichte hat viele Israelis geschockt und zu einer polizeilichen Untersuchung geführt, nachdem Gruppen vom rechten Lager dazu aufgerufen haben, sie aus Sicherheitsgründen zu verurteilen.

Es ist illegal, Palästinenser ohne Passierschein (den nur wenige erhalten) durch die Kontrollpunkte zu transportieren. Wenn Frau Hammerman vor Gericht gebracht und für schuldig befunden wird, könnte ihr eine Geldstrafe auferlegt und sie bis zu 2 Jahren Haft verurteilt werden.

Aber Israelis, die sich der Kampagne anschließen, sagen, sie würden sich nicht von der Drohung mit Gefängnisstrafe abhalten lassen.

Im letzten Monat schloss sich eine Gruppe von 11 israelischen Frauen Fr. Hammerman an und wiederholte den Akt zivilen Ungehorsams und fuhr mit einem Dutzend palästinensischer Frauen und vier Kindern, auch einem Baby, durch einen Checkpoint nach Israel.

Die israelischen Frauen sagten, sie planten während der nächsten Wochen einen Massen-Schmuggel von Palästinensern nach Israel.

Die Palästinenser, die sich uns anschließen, wollen vor allem eine gute Zeit erleben, nachdem sie jahrelang unter Besatzung eingesperrt waren. Doch für uns ist es am wichtigsten, einen Akt des Widerstands zu leisten, sagt Ofra Lyth, die half, nach einer Rede von Fr. Hammerman ein Online Forum von Unterstützern zu errichten.

"Wir wollen dieses unmoralische Gesetz überwinden, das den Juden das Recht gibt, sich frei zu bewegen, während die Palästinenser in ihren Städten und Dörfern gefangen gehalten werden," sagte sie und bezieht sich dabei auf Regeln, die die meisten Palästinenser in die besetzten Gebiete sperren und daran hindern, Israel zu betreten und Israelis hindern, ihnen zu helfen. Ausnahmen werden bei Palästinensern mit Passierschein gemacht, wenn es ein medizinischer Notfall ist oder bei einigen Arbeitern nach einer Sicherheitskontrolle.

Für die palästinensischen Frauen geht es nicht um ein Statement oder dass sie sich einem ungerechten Gesetz widersetzen, nach Fr. Lyth.

Die palästinensischen Frauen erzählen uns: "Führt es durch und bringt euer politisches Argument vor. Was uns betrifft, wir haben das Gesetz gebrochen, damit wir uns freuen und daran erinnern, wie das Leben ohne Checkpoints und ohne Mauer aussieht. Eine Frau sagte mir: "Ich wollte nur einmal wieder durchatmen."

Für Palästinenser in der Westbank ist es sehr selten, einmal durchzuatmen. Das Gebiet ist nun auch das Zuhause von einer wachsenden jüdischen Bevölkerung: 300.000 in mehr als 100 Siedlungen. Die Siedler sind in der Lage, auf Straßen nach Israel zu fahren, die von der Armee von Checkpoints aus übersehen werden.

Fr. Hammerman nahm die drei palästinensischen Teenager dieses Jahr durch solch einen Siedlerübergang nahe Beitar Illit, südlich von Jerusalem mit. Um sie zu schützen, identifizierte sie weder die jungen Frauen noch die Orte, in denen sie leben. Sie sprach von den Frauen nur als von Aya, Lin und Yasmin; denn auch sie könnten sich sonst einer Gefängnisstrafe gegenüber sehen, weil auch sie das Gesetz gebrochen haben.

Fr. Hammerman gab in dem Artikel, den sie im März in Haaretz veröffentlichte, zu, dass sie sich bewusst war, dass ihre Handlung illegal war.

Sie sagte den Frauen, die 18 und 19 Jahre alt waren, sie sollten ihr Kopftuch abnehmen und sich möglichst im westlichen Stil kleiden, um nicht die Aufmerksamkeit der Soldaten am Checkpoint auf sich zu ziehen. Sie brachte ihnen auch einen einfachen hebräischen Satz bei - Hakull beseder (alles OK) - falls sie von Soldaten angesprochen werden würden.

Dann nahm sie sie mit auf die Fahrt nach Tel Aviv, und sie besuchten zusammen die Universität, ein Museum, eine Einkaufspassage und den Strand, den bis jetzt keiner von ihnen gesehen hatte, obwohl er nur 40 km von ihrem Dorf entfernt liegt.

Fr. Hammerman schrieb, dass es nur einen gefährlichen Augenblick während des Ausflugs gegeben hätte, als ein in zivil gekleideter Polizist sie anhielt und die Frauen nach ihrem Ausweis fragte. Fr. Hammerman log den Polizisten an: es seien Palästinenserinnen aus Ost-Jerusalem und deshalb sei es ihnen erlaubt, Israel zu betreten.

Im Juni wurde berichtet, dass der Justizminister Yehuda Weinstein eine polizeiliche Untersuchung gegen Fr. Hammerman empfohlen habe, nachdem eine Siedler-Organisation - the Legal Forum for the Land of Israel, sich beklagt habe.

Die Reihen von Fr. Hammermans Unterstützer sind größer geworden, nachdem die Gruppe in diesem Monat in Haaretz das Inserat veröffentlichte "Wir weigern uns zu gehorchen". Das Inserat besagt, dass sie im Geiste Martin Luther Kings handelten, dem US-Bürgerrechtsführer und forderten, dass die Palästinenser als "menschliche Wesen und nicht als Terroristen" behandelt werden sollten.

Während der letzten Woche hat das Online-Forum mehr als 590 Israelis dazu gebracht, zu unterschreiben, Frau Hammerman möge den Akt des zivilen Ungehorsams wiederholen.

"Dies hat mich wirklich überrascht und ermutigt", sagte sie, " es war mir nicht klar, dass es noch so viele andere Israelis gibt, die von diesem unmöglichen Gesetz genug haben.

Die Berichterstattung über Fr. Hammerman und ihre Unterstützer war in den israelischen Medien weithin feindselig. Während eines Fernsehinterviews in der letzten Woche wurde sie angeklagt, mit ihren Trips Israelis zu gefährden. Yaron London, der Gast der Talkshow, fragte, ob sie die Unterwäsche der palästinensischen Frauen, bevor sie in den Wagen stiegen, auf Sprengstoff untersucht hätte.

Doch will sie sich nicht abschrecken lassen. Sie sagte, sie hätte über zukünftige Trips mit Palästinensern mit der Gruppe diskutiert, auch über einen Trip zur Al-Aqsa, damit sie dort beten könnten, da diese Moschee in Jerusalem für die meisten Muslime seit mindestens zehn Jahren nicht zugänglich ist; auch über Besuche bei Verwandten in Jerusalem und Israel.

Wir müssen noch mehr Treffen zwischen Israelis und Palästinensern haben, um mit einander Spaß zu haben, damit sie sehen, dass sie Menschen sind mit denselben Rechten wie wir.

Sie sagte, es sei ihr Ziel, unter Israelis eine Diskussion über die Legalität und Moral von Israels Gesetzen zu starten und den allgemeinen "blinden Gehorsam" gegenüber den Behörden herauszufordern.

Fr. Lyth fügte noch hinzu, dass die palästinensischen Frauen, die mit auf unsern Trips waren, in ihren Dörfern wie Helden sind. Sie und ihre Familien wissen, dass sie ein großes Risiko auf sich genommen haben, als sie das Gesetz brachen, aber Schikanen gehören zu ihrem Alltag.


Übersetzung aus dem Englischen von Ellen Rohlfs

Der englische Originaltext ist zu finden unter:
Israelis risk jail to smuggle Palestinians
Jonathan Cook, Nazareth, The National, 24. August 2010
http://thenational.ae/apps/pbcs.dll/article?AID=/20100824/FOREIGN/708239920&SearchID=73402116453608
sowie auf der Internet-Seite von Jonathan Cook:
Israelis risk jail to smuggle Palestinians
http://www.jkcook.net/Articles3/0519.htm#Top

Weitere Texte von Jonathan Cook sowie Informationen über die von ihm verfaßten Bücher findet man auf seiner Website:
http://www.jkcook.net/



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Quelle:
© Jonathan Cook, 24. August 2010
Internet: www.jkcook.net
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. September 2010