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NAHOST/770: Hungrige Palästinenser ernähren ägyptische Soldaten (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 9. Februar 2011

Nahost: Hungrige Palästinenser ernähren ägyptische Soldaten

Von Mohammed Omer


Rafah, 9. Februar (IPS) - Mustapha Suleiman aus Block J in Rafah im südlichen Gazastreifen schlüpft durch eines der vielen Löcher der ehemaligen israelischen Sperranlage. Der 27-Jährige hat Brot, Wasser, Büchsenfleisch und Gemüse mitgebracht, die er den ägyptischen Soldaten jenseits der Grenze bringen will. "Was du samstags gibst, bekommst du sonntags zurück", zitiert er ein altes Sprichwort. "Ich möchte sie (die Ägypter) für all das belohnen, was sie für uns tun."

Den ägyptischen Truppen auf dem Sinai, wo sich seit Ende Januar protestierende Beduinen und die Polizei heftige Kämpfe liefern, gehen die Vorräte aus. Da der Nachschub nicht bis zu ihnen durchkommt, haben sie sich an die Einwohner der ägyptischen Stadt El-Arish mit der Bitte um Hilfe gewandt. Die an der Grenze zum Gazastreifen stationierten Soldaten werden hingegen von Palästinensern versorgt, denen es aufgrund der israelischen Blockade des von der radikal-islamischen Hamas regierten Gazastreifens oft selbst am Nötigsten fehlt.

"Wir haben erfahren, dass die ägyptischen Soldaten Nachschubprobleme haben und um Hilfe bitten", meint ein Polizist im Gazastreifen. "Die Menschen im Gazastreifen sind bereit, ihre begrenzt vorhandenen Nahrungsmittel mit den ägyptischen Soldaten zu teilen."

Derzeit überqueren viele Palästinenser den sogenannten 'Philadelphia-Korridor', der Ägypten vom Gazastreifen trennt, um den Menschen jenseits der Grenze die Waren zu bringen, die sie so dringend benötigen. Lücken gibt es inzwischen zuhauf in der Sperranlage, die Israel vor seinem Abzug aus dem Gazastreifen 2005 gebaut hatte.


Tunneltransport in die andere Richtung

Einige der Waren, die nun die ägyptische Seite erreichen, hatten zuvor ihren Weg in die andere Richtung in den Gazastreifen genommen. "Wir überwinden die Hürden in Richtung Gazastreifen unterirdisch, in Richtung Ägypten auch oberirdisch", kommentiert der Tunnelbesitzer Wael Al-Nasri.

Die meisten Tunnel befinden sich im gemeinsamen Besitz eines Palästinensers und eines Ägypters. Neuerdings würden sie für den Warentransport in die andere Richtung genutzt, berichtet Al-Nasri. Er selbst hat seinem ägyptischen Partner am Ende des Tunnels vier Sack Mehl zurückgeliefert. Denn seit den gewaltsamen Zusammenstößen auf dem Sinai hat nicht nur die ägyptische Armee ein Versorgungsproblem.

Al-Nasri beschaffte sich die Mehlsäcke aus dem Laden von Mohammed Qishta, dem er sie zuvor verkauft hatte. Qishta hat sich bereitwillig von ihnen getrennt. Schließlich hat er Verwandte auf der ägyptischen Seite. Dort herrsche aufgrund neuer Straßenblockaden, die gewaltbereite Gangster und bewaffnete Gruppen errichtet hätten, ebenfalls Mangel, sagt er. "Viele von uns schicken nun Lebensmittel durch die Tunnel auf die andere Seite."

Was nach Ansicht der Palästinenser absolut richtig ist. "Schließlich haben uns die Menschen auf der anderen Seite in den vergangenen fünf Jahren der israelischen Blockade immer geholfen", meint Al-Nasri. "Eine Hand wäscht die andere."

Die palästinensische Regierung versucht den Rückfluss wichtiger Güter des täglichen Bedarfs wie Öl und Mehl zu unterbinden, weiß der Händler. "Doch sollte der Nachschub über den Sinai in Richtung Gazastreifens zum Erliegen kommen, hätte dies auch negative Folgen für uns."


Ruf nach Waffen

Wie einige Tunnelbetreiber berichten, wird angesichts der zunehmenden Unsicherheit auf dem Sinai der Ruf nach Kleinwaffenlieferungen aus dem Gazastreifen laut. Ob es tatsächlich zu solchen Transporten gekommen ist, darüber verliert hier niemand ein Wort. Bekannt ist nur, dass der Marktpreis für Waffen ansteigt. "Eine gebrauchte Kalaschnikow kostete vor Ausbruch der Unruhen zwischen 400 und 500 jordanische Dinar (560 bis 700 US-Dollar)", berichtet Al-Nasri. "Der Preis hat sich inzwischen verdoppelt."

Die Zusammenstöße zwischen Beduinen und der Polizei gehen inzwischen weiter. Immer wieder sind Schüsse aus der Ferne zu hören. Berichten zufolge ist es auch zu Bombenangriffen und dem Versuch gekommen, eine Gaspipeline zu sprengen. Verlässliche Informationen sind rar, da Journalisten der Weg zum Sinai abgeschnitten ist. (Ende/IPS/kb/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Februar 2011