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NAHOST/844: Der NATO-Einsatz in Libyen ist (Öl-)interessengeleitet (inamo)


inamo Heft 65 - Berichte & Analysen - Frühjahr 2011
Informationsprojekt Naher und Mittlerer Osten

Der NATO-Einsatz in Libyen ist (Öl-)interessengeleitet

Von Andreas Buro und Clemens Ronnefeldt


Die beiden Autoren sehen die Resolution des UN-SR 1973 vor dem Hintergrund der jahrelangen Diskussionen über die internationale Verantwortung zum Schutz akut bedrohter Zivilbevölkerungen durch Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Eine wesentliche Rolle spielte bei den Diskussionen der NATO-Einsatz im Kosovo/Jugoslawienkrieg, der weithin als gescheitert angesehen wird. Von dem damaligen UN-Generalsekretär wurde eine Kommission eingerichtet, die machtpolitische Instrumentalisierungen des Begriffs "humanitäre Intervention" verhindern sollten. Das Ergebnis war der neue Leitbegriff "Responsibility to Protect". Aber auch jetzt wird eine humanitäre Krise konstatiert, bei der die NATO interveniert. Der Völkerrechtler Reinhard Merkel stützt sich auf die Genfer Konvention (1977) und die Entscheidung des IGH von 1986 und meint: "Diese Normen statuieren ein striktes Verbot des militärischen Eingreifens in Bürgerkriege auf fremdem Territorium".


Am 15. April 1999 erschienen im Zusammenhang mit dem Kosovo/Jugoslawienkrieg in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung folgende Kommentarsätze: "Bei den deutschen Stellungnahmen zum Kosovokrieg fällt die mutwillige Naivität auf, mit der viele, die sich früher für 'links' gehalten hätten, sich die regierungsamtliche Rhetorik zu eigen machen, die Nato sei ein gewissermaßen interesseloses Medium der Moral, eine Art Menschenrechtsorganisation mit anderen Mitteln. Bei den Intellektuellen ebenso wie bei den Politikern konzentriert sich die Rechtfertigung der Militäraktion ausschließlich auf deren 'humanitäre' Aspekte. Man schreckt vor Formulierungen zurück, die auch nur entfernt an ein nationales oder westliches 'Interesse' denken lassen - so, als wäre es unanständig, dass es einem militärischen Apparat auch um Einflusssphären gehen könnte".


1. Vorgeschichte der Resolution 1973: Der Kosovo/Jugoslawienkrieg

Die Parlamentarische Versammlung der Nato - ein von der Nato unabhängiges Gremium, das als Bindeglied zwischen dem Bündnis und den nationalen Parlamenten fungiert - verabschiedete im Dezember 2000 einen "Generalbericht" über "Die Folgen des Kosovo-Konfliktes und seine Auswirkungen auf Konfliktprävention und Krisenmanagement". Darin heißt es: "So nahmen die Angriffe der UCK auf serbische Sicherheitskräfte und Zivilisten ab Dezember 1998 stark zu. Der Konflikt eskalierte neuerlich, um eine humanitäre Krise zu erzeugen, welche die NATO zur Intervention bewegen würde" (1).

Als Folge des auch in Militärkreisen als gescheitert eingestuften NATO-Einsatzes im Kovoso/Jugoslawienkrieg 1999 richtete UN-Generalsekretär Kofi Annan eine Kommission ein, deren Nachdenken künftige machtpolitische Instrumentalisierungen des Begriffs "humanitäre Intervention" verhindern sollte. Das Ergebnis der Überlegungen dieser Kommission führte zum neuen Leitbegriff "Responsibility to Protect", der von der UN-Generalversammlung in einer Resolution im Jahre 2005 mit Mehrheit angenommen wurde.

Die UN-Libyen-Resolution 1973 zur Einrichtung einer Flugverbotszone und zum Schutz der von Qaddhafis Truppen bedrohten Rebellenhochburg Bengasi ist vor dem Hintergrund der jahrelangen Diskussionen über die internationale Verantwortung zum Schutz akut bedrohter Zivilbevölkerungen durch Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu sehen.

Professor Reinhard Merkel, der an der Universität Hamburg Strafrecht und Rechtsphilosophie lehrt, hat in der F.A.Z. vom 22. März 2011 die UN-Resolution 1973 scharf kritisiert: "Die Resolution 1973 des UN-Sicherheitsrats vom 17. März, die den Weg zur militärischen Intervention in Libyen freigab, und Maß und Ziel dieser Intervention überschreiten die Grenzen des Rechts. Nicht einfach nur die Grenzen positiver Normen - das gehört zum Motor seiner Entwicklung. Sondern die seiner Fundamente: der Prinzipien, auf denen jedes Recht zwischen den Staaten beruht. Die Entscheidung der Bundesregierung, der Resolution nicht zuzustimmen, war richtig. Die empörte Kritik daran ist so kurzsichtig und fahrlässig wie die Entscheidung des Sicherheitsrats und die Intervention selbst: kurzsichtig im Ausblenden wesentlicher Voraussetzungen der Situation in Libyen, fahrlässig im Hinblick auf die Folgen dieses Kriegs für die Normenordnung der Welt".

Mit Verweis auf die Genfer Konvention von 1977 und eine Entscheidung des Internationalen Gerichtshofes von 1986 folgert Reinhard Merkel: "Diese Normen statuieren ein striktes Verbot des militärischen Eingreifens in Bürgerkriege auf fremdem Territorium".

Wenn die völkerrechtliche Ausgangslage so klar zu sein scheint - wie konnte es dennoch zum NATO-Militäreinsatz in Libyen kommen - und aus welchen Gründen wird er geführt?


2. In Libyen herrscht Bürgerkrieg - mit Tätern und Opfern auf beiden Seiten

Dass in Libyen ein Bürgerkrieg im Gange ist, bei dem beide Seiten - Regierungstruppen und Rebellen - kriegerische Gewalt einsetzen, dürfte unumstritten sein. Auffällig ist, dass in der westlichen Medienlandschaft fast ausschließlich die Gefahr eines Massakers an Zivilisten in der Rebellenhochburg Bengasi als Rechtfertigung für den internationalen Kriegseinsatz genannt wird. Massaker der Rebellen wurden und werden kaum thematisiert.

Gunnar Heinsohn, Autor des "Lexikons der Völkermorde" lässt in der F.A.Z. vom 22. März 2011 den Journalist und Filmemacher Farai Sevenzo zu Wort kommen, der bereits im Februar 2011 berichtet habe: "Weil vermutlich Söldner aus dem Tschad und Mali für ihn (Qaddhafi, Anm.: C.R.) kämpfen, sind eine Million afrikanischer Flüchtlinge und Tausende afrikanischer Wanderarbeiter in Gefahr, ermordet zu werden. Ein türkischer Bauarbeiter sagte zu BBC: 'Wir hatten siebzig bis achtzig Leute aus dem Tschad in unserer Firma. Sie wurden mit Baumscheren und Äxten niedergemetzelt und von den Angreifern beschuldigt, für Qaddhafi Truppen zu stellen. Auch die Sudanesen wurden massakriert. Wir haben es selbst gesehen'".

Gunnar Heinsohn weist auf einen bisher wenig beachteten Aspekt des Bürgerkrieges hin: "Gegen die blutig ihre Macht Verteidigenden werden alle Register des internationalen Strafrechts gezogen. Die einzuziehenden Vermögen werden penibel aufgelistet. Doch weder im Resolutionstext noch in den Reden der amerikanischen Außenministerin Clinton oder des französischen Präsidenten Sarkozy gibt es Mahnungen und Gerichtsdrohungen an die Aufständischen. Ausdrücklich wird der Einsatz 'von Söldnern durch die libysche Führung' verurteilt. Doch womöglich unter solchem Vorwand erfolgte Völkermordakte bleiben unerwähnt" (F.A.Z., 22. März 2011).

Nach UN-Schätzungen sind derzeit etwa 200 000 afrikanische Flüchtlinge an der libysch-ägyptischen und noch einmal 100 000 Flüchtlinge an der libysch-tunesischen Grenze gestrandet (2). Wer fühlt sich für ihr Schicksal verantwortlich?

Wie kann die NATO in einer solch unübersichtlichen Lage, in der es auf beiden Seiten schwerste Menschenrechtsverletzungen gibt, sich auf eine Seite stellen? Gab es den Wunschgedanken, bei den Rebellen handele es sich um eine demokratische Massenbewegung wie in Ägypten?

Wie viele am Bürgerkrieg unbeteiligte Zivilisten sind bereits den Bombardierungen der NATO zum Opfer gefallen, um - so die NATO-Begründung - andere unbeteiligte Zivilisten vor Übergriffen der Qaddhafi-Truppen zu schützen?

Am 31. März 2011 erklärte Bischof Giovanni Martellini aus Tripolis gegenüber der vatikanischen Nachrichtenagentur "Fides", die sogenannten humanitären Angriffe hätten Dutzende zivile Opfer in einigen Vierteln von Tripolis getötet.

Westliche Regierungschefs wollen Qaddhafi wegen schwerster Menschenrechtsverletzungen - amnesty international-Berichte sprechen eine eindeutige Sprache - gestürzt sehen. Ihre Vorgänger sahen z.B. 1996 zu, als rund 1200 Häftlinge in Abu Salim ermordet wurden und belieferten Qaddhafi wenige Jahre später sogar noch mit Waffen.

Sie schauten auch viele Jahre darüber hinweg, dass Qaddhafi mit europäischer Unterstützung Lager für afrikanische Flüchtlinge bauen ließ, die dort teilweise brutal misshandelt wurden. Zuvor waren viele dieser Flüchtenden von der europäischen Grenzschutzorganisation Frontex aufgegriffen und abgeschoben worden, damit sie nicht nach Europa gelangen.


3. Wer gehört zur libyschen Opposition?

Wolfram Lacher von der "Stiftung Wissenschaft und Politik" (SWP) in Berlin, welche die Bundesregierung berät, schreibt in seiner Studie "Libyen nach Qaddafi. Staatszerfall oder Staatsbildung?": "Der entscheidende Impuls für den Aufstand ging jedoch von den weitgehend unorganisierten Kräften aus: In der Mehrzahl waren es arbeitslose oder unterbeschäftigte junge Männer, die in den Städten des Nordostens und den Nafusa-Bergen im Nordwesten Polizeistationen und Amtsstuben in Brand steckten und damit für die Eskalation der Unruhen sorgten" (3). Was hätten die "Sicherheitskräfte" von Qaddhafi angesichts dieser Situation machen sollen? Wie hätten andere Staaten darauf reagiert?

Zwischen den Jahren 2004 und 2010 haben westliche Staaten für mehr als eine Milliarde US-Dollar Waffen an das Qaddhafi-Regime geliefert. Nun erwägt US-Präsident Barack Obama, die libysche Opposition trotz UN-Waffenembargos mit Rüstungsexporten zu versorgen, um so das Qaddhafi-Regime zu stürzen.

Zur libyschen Opposition schreibt Wolfram Lacher von der SWP: "Unter den oppositionellen Gruppen verfügen allein die Muslimbrüder über eine beständige Organisation und eine nennenswerte Basis, vor allem in den Städten des Nordostens" (4).

In Ägypten fürchtet auch nach dem Sturz von Hosni Mubarak die westliche Wertegemeinschaft die Muslimbrüder. In Libyen, wo die Muslimbrüder einen "gemäßigten politischen Islam" (Wolfram Lacher) vertreten, hat sich die NATO zu ihrer Luftwaffe gemacht.

Als weitere tragende Kräfte der Opposition gelten ganze Stämme sowie ehemalige hohe Militärs und Politiker aus dem Qaddhafi-Lager, die übergelaufen sind.

Wolfram Lacher bilanziert: "Für die Mehrheit der politischen Akteure wird es aber weniger um die Grundlagen des libyschen Staates, sondern vielmehr um die Neuverteilung der Ressourcen gehen" (5).

Sieht so eine wirkliche Demokratiebewegung aus, welche die Bombardierungen der NATO mit erheblichen Opferzahlen und Verwüstungen der Infrastruktur zum Sturz Qaddhafis rechtfertigen könnten?


4. Die Gegenregierung: prowestliche Marionnetten an der Spitze?

Obwohl Qaddhafi noch nicht gestürzt ist, hat sich die NATO bereits auf zwei führende Politiker für eine Gegenregierung festgelegt: Mahmud Dschibril und Ali Tarhuni. Mit welcher Legitimation vertreten diese beiden Männer nun gegenüber dem Westen den östlichen Teil Libyens mit den wichtigsten Erdöl-Förderanlagen? Mit welchem Recht werden sie vermutlich in Kürze neue Erdöl-Lieferverträge abschließen?

Zu Mahmud Dschibril schreibt das Hamburger Abendblatt: "Für Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy und US-Außenministerin Hillary Clinton repräsentiert er das neue Libyen: Der Ökonom Mahmud Dschibril ist zum Chef einer provisorischen Gegenregierung in Bengasi ernannt worden. Nach Studium und Lehrtätigkeit in den USA hatte sich der 1952 geborene Dschibril viele Jahre daran abgemüht, das Libyen von Staatschef Muammar al-Qaddhafi wirtschaftlich zu reformieren. Unter dem Schutzschirm des damals mit Veränderungsambitionen hervorgetretenen Qaddhafi-Sohnes Saif al-Islam leitete Dschibril den Nationalen Ausschuss für Wirtschaftliche Entwicklung." (...)

"Depeschen der US-Botschaft, die das Internet-Portal WikiLeaks veröffentlichte, beschreiben Dschibril als 'ernsthaften Gesprächspartner', der die USA ermunterte, sich in Libyen stärker zu engagieren. Die Weltmacht kritisiert er dafür, dass sie nach dem Ende des Kalten Krieges ihre 'sanfte Macht' - ihre alltagskulturellen Trümpfe von McDonald's bis Hollywood - im Nahen Osten nicht bewusster ausgespielt habe" (6).

Wird Mahmud Dschibril mit dieser Grundeinstellung zukünftig die Interessen der libyschen Bevölkerung vertreten können?

Zu Ali Tarhuni schreibt die F.A.Z. am 30. März 2011: "Er war Wirtschaftsprofessor in Amerika. Nun ist Ali Tarhuni 'Superminister' für die Rebellenregierung und stellt die Weichen für die Marktwirtschaft".

Soll möglicherweise mit diesen Personalentscheidungen ein nicht offiziell genanntes Ziel der NATO-Intervention - die Einführung einer neoliberalen Wirtschaftsordnung - erreicht werden?

Der Streit innerhalb der westlichen Mächte, wer welche Stücke vom Erdöl-Kuchen Libyens abbekommt, dürfte in den nächsten Wochen und Monaten an Schärfe gewinnen. Frankreich war bisher nur sehr bescheiden bei der Ausbeutung von Erdölfeldern mit eigenen Unternehmen vertreten. Dies könnte sich nach dem Engagement Sarkozys für diesen Krieg, der den Rebellen zugute kommt, ändern.

Libyen verfügt über die größten Erdöl-Reserven Afrikas. 70 Prozent seiner Öl- und Gasexporte gehen in die EU, davon ca. 40 % nach Italien, 13 % nach Deutschland, 8 % nach Frankreich und 7 % nach Spanien. Damit ist Libyen für die Energieversorgung Europas "systemrelevant".

Am 16. Februar 2011 gründeten Libyen, Italien (vertreten durch das Unternehmen ENI) und Russland (vertreten durch Gazprom) ein Joint Venture, dem ein Drittel des Fördervolumens des rund 800 km südlich von Tripolis gelegenen riesigen Ölvorkommens "Elefantenfeld" vertraglich zugesprochen wurde.

Am 13. März 2011 traf sich Qaddhafi in Tripolis mit den Botschaftern Chinas, Indiens und Russlands. Dabei habe er diesen drei Staaten den Vorschlag gemacht, die bereits zu diesem Zeitpunkt wegen der Unruhen geflüchteten westlichen Ölunternehmen mit jeweils eigenen Konzernen zu ersetzen. Vier Tage nach diesem Treffen konnten sich die UN-Botschafter Russlands und Chinas nicht zu einem Veto durchringen, sondern ließen die Resolution 1973 passieren.

Jürgen Wagner, Mitarbeiter der Informationsstelle Militarisierung in Tübingen, hat in seiner Studie "Libyen: Intervention im Namen des Volkes?" (7) einen wesentlichen Grund genannt, warum westliche Investoren Qaddhafi als "Unsicherheitsrisiko" angesichts ihrer Milliarden-Investitionen in Libyen ansahen.

Als Qaddhafi 2009 Eigentum der in Libyen operierenden kanadischen Ölfirma Verenex verstaatlichte (8), war der Unmut groß, wie ein Branchenreport aus demselben Jahr zeigt: "Wenn Libyen die Nationalisierung von Privatbesitz androhen kann; wenn es bereits verhandelte Verträge neu aufmacht, um sein Einkommen zu vergrößern oder 'Tribut' von Firmen zu extrahieren, die hier arbeiten und investieren wollen; (...) dann wird den Unternehmen die Sicherheit verweigert, die sie für langfristige Investitionen benötigen. (...) Libyen hat es versäumt, eine stabile Plattform bereitzustellen" (9).

Als Gewinner des derzeitigen Libyenkrieges dürfen sich die Rüstungsmanager der großen westlichen Konzerne fühlen. Für den "Eurofighter" ist es der erste Kampfeinsatz.

Unter dem Titel "Das Bombengeschäft" veröffentlichte der Spiegel bereits in den ersten Kriegstagen Zahlen über die Aufwendungen: "Diejenigen, die den Libyen-Konflikt als Werbefeldzug begreifen, dürfen die Kosten freilich nicht aus dem Ruder laufen lassen. Zack Cooper, Analyst beim Center for Strategic and Budgetary Assessments (CSBA) in Washington, taxierte schon den Preis für die Zerstörung der libyschen Flugabwehr auf 400 bis 800 Millionen US-Dollar. Die Aufrechterhaltung der Flugverbotszone koste allein die USA weitere 30 bis 100 Millionen Dollar pro Woche - und das unter der Annahme, dass die Zone nicht ganz Libyen erfasst, sondern sich auf das Gebiet nördlich des 29. Breitengrades beschränkt" (10).

Libyen wird zukünftig auch für die Elektrizitätsversorgung Europas von Bedeutung werden. Das geplante Desertec-Projekt zur solaren Stromerzeugung in der Sahara in Höhe von mehreren hundert Milliarden Euro braucht ein sicheres und stabiles Libyen.


5. Westliche Geheimdienste im Libyen-Einsatz

Am 31. März 2011 veröffentlichte das Handelblatt folgende Meldung: "Bei den CIA-Mitarbeitern handelt es sich laut 'New York Times' um eine unbekannte Zahl von US-Geheimdienstoffizieren, die entweder bereits in Tripolis arbeiteten oder neu hinzukamen. Nach Angaben britischer Regierungsbeamter arbeiteten 'Dutzende' Agenten des Geheimdienstes MI6 und Mitglieder von Spezialkommandos in Libyen. Die versorgten die britischen Streitkräfte mit Informationen über Ziele für Luftschläge, Stellungen und Bewegungen von Qaddhafis Militär" (11).

US-Bodenspezialtruppen sind auch im High-Tech-Zeitalter nach wie vor notwendig, um Lasermarken für die Bombardierungen aus der Luft zu setzen.

Bereits am 8. März 2011 hatte das Hamburger Abendblatt berichtet: "Der britische 'Special Air Service' (SAS) gilt als die 'Mutter aller Spezialeinheiten' nach deren Muster weltweit Elitetruppen vom deutschen KSK bis zur amerikanischen Delta Force operieren. Und der Londoner Auslandsgeheimdienst MI6, Heimat des fiktiven Agenten James Bond, hat ebenfalls einen Ruf wie Donnerhall. Ausgerechnet diese beiden Dienste sind derzeit Zielscheibe bitteren Spotts. Sechs schwarz vermummte SAS-Krieger waren am frühen Freitagmorgen zusammen mit zwei MI6-Agenten von einem Chinook-Hubschrauber unweit der libyschen Rebellenhochburg Bengasi gelandet. Sie sollten Kontakt mit den Aufständischen aufnehmen.

Doch das taten die schon von sich aus - sie hatten den auf offenem Feld gelandeten Helikopter längst gehört und setzten die britischen Spezialisten fest. Die Briten beteuerten nach Informationen des 'Daily Telegraph' zunächst, ganz harmlos zu sein, doch dann kamen in ihrem Gepäck Waffen, Aufklärungsmittel und falsche Pässe zum Vorschein. Die Libyer reagierten 'not amused', ließen die Schattenkrieger aber am Sonntag wieder frei. An Bord eines britischen Marineschiffes kehrten sie wenig ruhmbedeckt zurück.

Die britische Presse fragte, warum ihre Regierung nicht offen den Kontakt mit der libyschen Opposition gesucht hat. Außenminister William Hague hatte den Einsatz abgesegnet. Nun musste er einräumen, sein Team sei 'auf Schwierigkeiten gestoßen'. Diese seien aber 'zufriedenstellend gelöst' worden.

Nicht ganz so diplomatisch drückte es der frühere britische Botschafter in Tripolis, Oliver Miles, aus - der Einsatz sei eine 'Farce' gewesen. Der liberale 'Guardian' sprach gar von den 'Deppen in der Wüste'. Einziger Trost für den SAS: Vergangene Woche waren drei niederländische Elitesoldaten bei einer Geheimoperation von Qaddhafis Truppen festgenommen worden" (12).

Sollten sich die britischen SAS-Soldaten als wirkliche "Befreier" und "Unterstützer" der Aufständischen gefühlt haben - warum wurden sie von den Rebellen zunächst einmal verhaftet? Wie lässt sich völkerrechtlich überhaupt der Einsatz von westlichen Spezial-Bodentruppen rechtfertigen, wo diese doch durch die UN-Resolution 1973 ausdrücklich verhindert werden sollten?


6. Machtkampf in Europa - Durchsetzung doppelter Standards

Der französische Präsident Sarkozy gilt als der Mann, der den Kriegseinsatz am stärksten forciert hat. Unter großem Druck wegen katastrophaler Umfragewerte im Wahlkampf stehend, brachte ihm das diplomatische Kunststück, die UN-Resolution 1973 ohne Veto durchgesetzt zu haben und sich als Verteidiger der Menschenrechte zu gerieren, bei den jüngsten Wahlen vermutlich noch einige Sympathie-Punkte. Große Teile der französischen Bevölkerung unterstütz(t)en die militärischen Aktionen Frankreichs in Libyen. Vergessen war die Tatsache, dass Sarkozy noch wenige Wochen zuvor in den letzten Tagen des tunesischen Diktators Ben Ali diesem Waffenhilfe anbot, um die dortigen Aufständischen zu bekämpfen.

Innerhalb Europas wurden Risse sichtbar: Eine neue französisch-britische Achse, die in Zukunft u.a. einen gemeinsamen Flugzeugträger betreiben möchte, stellte sich der als dominant empfundenen deutschen Regierung entgegen und setzte sich in einer wichtigen außenpolitischen Frage an der Seite der US-Regierung durch.

Auf die Frage, warum in Bahrain die dortige schiitische Bevölkerungsmehrheit bei ihrem Aufstand gegen die vom Westen unterstützten sunnitischen Despoten trotz vieler Toter bei Demonstrationen keine Hilfe erfährt, hat einer der wichtigsten europäischen Spitzenpolitiker, Robert Cooper, schon vor einigen Jahren - ohne den konkreten Bahrain-Hintergrund - weitreichende Aussagen gemacht.

Robert Cooper war einer der Chefberater des früheren "EU-Außenministers" Javier Solana, der von 1999 bis Ende November 2009 Generalsekretär des Rates der Europäischen Union und Hoher Vertreter für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik war. Cooper gilt als Hauptautor der Europäischen Sicherheitsstrategie. In seinem 2002 erschienenen Buch über den postmodernen Staat schrieb er, was heute Realität geworden zu sein scheint: "Die Herausforderung der postmodernen Welt ist es, mit der Idee doppelter Standards klarzukommen. Unter uns gehen wir auf der Basis von Gesetzen und offener kooperativer Sicherheit um. Aber wenn es um traditionellere Staaten außerhalb des postmodernen Kontinents Europa geht, müssen wir auf die raueren Methoden einer vergangenen Ära zurückgreifen - Gewalt, präventive Angriffe, Irreführung, was auch immer nötig ist, um mit denen klarzukommen, die immer noch im 19. Jahrhundert leben, in dem jeder Staat für sich selber stand. Unter uns halten wir uns an das Gesetz, aber wenn wir im Dschungel operieren, müssen wir ebenfalls das Gesetz des Dschungels anwenden" (13).

In einem Essay für "Die Zeit" schrieb Robert Cooper bereits 2004: "Weder Dynamit noch der Sturz von Tyrannen machen den Menschen frei, sondern 'gute Gesetze und ein gutes Heer', um Machiavelli zu zitieren" (14).


7. Zukunftsgedanken der Bundeswehr zur Ressourcensicherung

Das Zentrum für Transformation der Bundeswehr hat im Sommer 2010 eine Studie zum Thema Peak Oil verfasst, die im Februar 2011 überarbeitet und offiziell freigegeben wurde: "Peak Oil - Sicherheitspolitische Implikationen knapper Ressourcen" lautet der Titel dieser ersten Teilstudie der Gesamtstudie "Streitkräfte, Fähigkeiten und Technologien im 21. Jahrhundert" (15).

Die darin gemachten Aussagen sprechen für sich: "Der Anteil des auf dem globalen, frei zugänglichen Ölmarkt gehandelten Erdöls wird zugunsten des über binationale Kontrakte gehandelten Öls abnehmen. Wirtschaftskraft, militärische Stärke oder der Besitz von Nuklearwaffen werden zu einem vorrangigen Instrument der Machtprojektion und zu einem bestimmenden Faktor neuer Abhängigkeitsverhältnisse in den internationalen Beziehungen" (S. 14).

"Je nach Art der Verbindung zwischen Importstaat und bietendem Unternehmen ist dabei auch der Einsatz staatlicher, zum Beispiel geheimdienstlicher Mittel zur Erlangung der Lizenz zu erwarten. Im Extremfall ist eine Fortsetzung dieser verschärften Konkurrenz auch nach der Erteilung von Lizenzen plausibel, die in dem Versuch gipfeln würde, Unternehmen zur Rückgabe ihrer Lizenz zu bringen. Vorstellbar ist zu diesem Zweck eine Instrumentalisierung der einheimischen Bevölkerung - besonders in Gebieten ethnischer oder religiöser Minderheiten - zur gezielten Erschwerung der Arbeitsbedingungen der entsprechenden Ölfirmen" (S. 33).

"Das Spektrum denkbarer Aufgaben schlösse schließlich auch die Ausübung oder direkte Beauftragung und Beaufsichtigung eigentlich hoheitlicher Aufgaben staatlicher Gewaltausübung mit ein. Dies würde jedoch in eine rechtliche Grauzone führen und eine weitere Aushöhlung der staatlichen Souveränität und Institutionen bedeuten" (S. 34).

"Voraussetzung für eine solche Situation ist jedoch immer die Erwartung einer bestimmten Gewinnspanne, ohne die ein privates Unternehmen zur weiteren Arbeit in der Konfliktregion auf Grund seiner grundsätzlichen Philosophie nicht gewillt wäre. Somit sind kurzfristig Anstrengungen einer 'Corporate COIN'-Kampagne und Ausgaben für eine Beruhigung des Umfeldes denkbar, langfristig ist dies nur dann plausibel, wenn die zu erwartenden Gewinne unter Berücksichtigung der bereits getätigten Investitionen hoch genug sind" (S. 34).

"Der Begriff 'Counterinsurgency' (COIN) führt in Deutschland immer wieder zu Missverständnissen und Dissens, da ihm verschiedene Übersetzungen und unterschiedliche Interpretationen zu Grunde liegen. Häufig als 'Aufstandsbekämpfung' übersetzt, assoziiert der Begriff ein militärisches Vorgehen gegen eine Aufstandsbewegung. Vor dem Hintergrund der inzwischen anerkannten Einschätzung, dass nur rund 15-20% der Aktivitäten zur Beendigung eines Aufstandes militärischer Natur sind und die Führung und Mehrzahl der notwendigen Aufgaben im zivilen Bereich liegen, ist die Übersetzung als 'Aufststandsbewältigung' vorzuziehen" (S. 34).

Die Studie nimmt an, dass das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik der Regierung weiter abnimmt. Diese Vermutung dürfte zutreffend sein.

In der im Februar 2011 überarbeiteten neuen Version der Studie wurden inzwischen etliche Passagen gegenüber der ersten Fassung vom Sommer 2010 entschärft.


8. Es gab Alternativen zum Krieg

Anfang März führte die Arabische Liga nach eigenen Angaben unter Beteiligung von Venezuela Verhandlungen über einen Friedensplan für Libyen. Die damit geweckten Hoffnungen ließen kurzzeitig den Dax steigen (vgl.: Die Welt online, 3. März 2011).

N-TV meldete ebenfalls am 3. März 2011: "Der Bürgerkrieg in Libyen könnte eine Wende nehmen. Eine tragende Rolle spielt dabei Venezuelas Staatschef Hugo Chávez. Sein Plan: Eine internationale Delegation soll sowohl mit Machthaber Qaddhafi, als auch mit der libyschen Opposition verhandeln".

Warum wurde dieser an sich logische Ansatz, im Falle eines blutigen Bürgerkrieges eine Gruppe von internationalen neutralen MediatorInnen einzusetzen, die zunächst einen Waffenstillstand aushandeln, nicht vom Westen unterstützt? Lag es daran, dass Hugo Chávez als "Aussätziger" gesehen wird, mit dem die westliche Politik keine gemeinsame Sache machen möchte - und sei sie noch so vernünftig?

Einige Erfahrungen mit zivilem Konfliktmanagment haben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der OSZE. Der Friedenforscher Professor Johan Galtung hat in mehreren bewaffneten internationalen Konflikten bereits erfolgreich deeskaliert. Die in Rom ansässige Organisation "St. Egidio" hatte den äußerst blutigen Bürgerkrieg in Mosambik zu einem Ende gebracht. Eine Gruppe von "elder statesmen" ist immer wieder im Einsatz, wo sich internationale Brandherde zeigen, um diese zu löschen. Aus den Kreisen der Friedensbewegung gibt es erste erfolgreiche Ergebnisse mit Deeskalationsmaßnahmen im Bürgerkrieg in Sri Lanka durch eine "nonviolent peace force".

Warum wurde im Vorfeld der Spannungen in Libyen zwischen Qaddhafi und Rebellen keine dieser neutralen Vermittlungsinstitutionen für einen Libyen-Einsatz von westlichen Regierungen angefragt?

Kurz nach Verabschiedung der UN-Resolution 1973 trat - noch vor den Bombardierungen Frankreichs, Großbritanniens und der USA - die Afrikanische Union (AU) zusammen:

Das Nachrichtenportal "dnews" berichtete darüber: "An der Sitzung der AU, die seit Freitagmorgen versucht, eine politische Lösung des Konflikts zu finden, nehmen Vertreter der libyschen Regierung teil, nicht aber Vertreter der Rebellen. Zudem sind Vertreter der UNO, der EU, der Arabischen Liga und der Konferenz der Islamischen Staaten beteiligt. Die libysche Regierung hatte bereits zwei Waffenruhen verkündet, die nicht eingehalten wurden. Die Beratungen stützen sich auf einen Plan, den ein Komitee von fünf afrikanischen Staatschefs ausgearbeitet hat" (16).

Die libysche Regierung war angeblich zur Umsetzung eines Friedensplans der Afrikanischen Union (AU) bereit. Bei einem Treffen am Sitz der AU in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba sollen Vertreter Libyens erklärt haben, ihre Regierung akzeptiere den AU-Plan zur Beendigung der Kämpfe in Libyen. Warum wurde diese Bereitschaft nicht auf ihren substanziellen Gehalt geprüft?

Letztendlich wurde der Afrikanischen Union keine Zeit und keine Chance gelassen, ihre Friedenspläne, die auf einem Waffenstillstand aufbauen sollten, weiter zu entwickeln.

Am 24. März 2011 berichtete der Berliner "Tagesspiegel" (17) ausführlich darüber, wie der französische Präsident Sarkozy einen hoffnungsvollen türkischen Friedensplan zerbomben ließ.

Während der türkische Außenminister Davutoglu Gespräche mit der libyschen Opposition führte, sprach Ministerpräsident Erdogan mehrfach am Telefon mit Qaddhafi sowie seinen Söhnen und anderen hohen Regierungspolitikern. Der türkische Friedensplan, der mit US-Präsident Obama abgestimmt war, sah vor, eine konkrete Agenda für den Aufbau demokratischer Strukturen zu vereinbaren und der Spitze des libyschen Regimes einen Abgang ohne Gesichtsverlust zu ermöglichen. Dieser Aufbau demokratischer Strukturen sollte eine neue Verfassung und freie Wahlen beinhalten und vorübergehend international überwacht werden. Der sehr großen Familie Qaddhafi sollte die Möglichkeit zur eigenen Parteigründung eröffnet werden.

"Es soll erste Erfolge auf dem Weg zur friedlichen Einigung gegeben haben - dann kamen die Luftangriffe der Alliierten", so der "Tagesspiegel". Auf die genannten Vorschläge soll Qaddhafi "positive Signale" gesendet haben.

Die französischen Bombardierungen am 19. März trafen die türkische Pendel-Diplomatie zwischen Qaddhafi und Rebellen in einer zur vorsichtigen Hoffnung Anlass gebenden Phase. Die türkische Zeitung Hürriyet titelte: "Frankreich bombardierte eine Lösung". Der türkische Staatspräsident Abdullah Gül kritisierte laut "Tagespiegel" den französischen Präsidenten Sarkozy mit den Worten: "Einige sind vorgeprescht und haben es vorgezogen, Libyen in Brand zu setzen".

Die türkische Diplomatie zog sich seither nicht zurück, sondern versucht zu retten, was noch zu retten ist. Sie ist nicht aus der Nato ausgeschert, sondern beteiligt sich sowohl mit Kriegsschiffen an der Durchsetzung des Waffenembargos als auch mit Kampfflugzeugen an der Überwachung des Flugverbots über Libyen - nicht jedoch an Luftangriffen.

"Alles müsse unter dem Dach der UNO laufen", zitiert der "Tagesspiegel" eine Forderung von Außenminister Davutoglu, die bisher nicht erfüllt wurde. Minister Davutoglu soll den westlichen Staaten auch geraten haben "bei der Aktion in dem muslimischen Land in Nordafrika auf seine Rhetorik zu achten": "Wenn von einem "Kreuzzug" gesprochen werde, dann werde die Türkei bestimmt nicht mit von der Partie sein: Im ganzen Nahen Osten steht der Begriff des "Kreuzzuges" nicht für Befreiung, sondern für westliche Aggression", so der "Tagesspiegel". Warum wurde der Einsatz nicht - wie von der Türkei vorgeschlagen - unter das Dach der Vereinten Nationen gestellt?

Warum wurde nicht versucht, einen Waffenstillstand auszuhandeln und - falls notwendig und möglich - die Bürgerkriegsparteien durch eine UN-Blauhelm-Mission auseinander zu halten, wie dies in vielen anderen Konflikten praktiziert wurde? Sind die westlichen NATO-Staaten möglicherweise weniger an einer Demokratisierung der nordafrikanischen und arabischen Region als an einer Wiedergewinnung der Kontrolle unvorhergesehener politischer Prozesse interessiert? Was würde passieren, wenn nach dem Sturz arabischer Despoten Kräfte an die Regierung der jeweiligen Länder kämen, die für die westlichen Erdöl-Abnehmer nicht mehr so "pflegeleicht" wären wie die bisher unterstützten Diktatoren?


Wie geht es weiter mit Libyen?

Der Wiener "Standard" berichtete am 27. März 2011: "Dem angekündigten französisch-britischen Plan für Libyen will nun Rom eine italienisch-deutsche Initiative entgegenstellen: Außenminister Franco Frattini erklärte am Sonntag, die Regierung führe bereits entsprechende Gespräche mit Berlin. Erster Schritt eines solchen Friedensplans sei ein Waffenstillstand, der von der Uno überwacht werden müsse. Die notwendige Einrichtung eines humanitären Korridors könne dagegen von der Türkei kontrolliert werden, mit der Italien bereits Gespräche führe. Dann müssten Kontakte zu allen libyschen Stämmen aufgenommen werden, um sie in eine Friedensinitiative einzubinden. Der Arabischen Liga und der Afrikanischen Union will Rom die Aufgabe anvertrauen, ein geeignetes Exil für Muammar al-Qaddhafi zu finden, dessen Verbleib in Libyen undenkbar sei" (18). Diese Überlegungen klangen vernünftig, wurden allerdings bereits kurz darauf verworfen. Einen Tag später verkündete N-TV das Ende dieses Planes: "Einen deutsch-italienischen Friedensplan wird es nicht geben. Ein entsprechender Vorstoß aus Italien fand in Berlin kein positives Echo. Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes sagte, Deutschland stehe in einem ständigen Austausch mit seinen internationalen Partnern - 'also auch, aber nicht nur mit Italien'. Daher gebe es auch 'verschiedene Überlegungen' zur Beilegung des Libyen-Konflikts. Zuvor war bereits der italienische Außenminister Franco Frattini zurückgerudert. In einem Fernsehinterview wandte er sich gegen einen Vorschlag, der nur von zwei Staaten getragen wird" (19). In Libyen steht inzwischen weit mehr auf dem Spiel als der vermutlich leicht zu erringende militärische Sie g der NATO mit den Aufständischen als Bodentruppe über die Truppen Qaddhafis. Angesichts der Spannungen und Friktionen innerhalb des Bündnisses steht dieses vor einer akuten Zerreißprobe. Insbesondere das französisch-türkische Verhältnis dürfte noch eine ganze Weile belastet sein, ebenso das deutsch-französische.

Am 31. März 2011 warnte der Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, "vor einem Auseinanderbrechen der Allianz" und forderte einen politischen Friedensplan für Libyen. " Zudem warb Ischinger dafür, Libyens Machthaber Muammar el Qaddhafi den Gang ins Exil zu ermöglichen. Hinderlich sei dabei die Drohung, den Diktator vor den internationalen Strafgerichtshof zu bringen: 'Die Aussicht, dass er im Fall seines Sturzes vor einem Richter in Den Haag endet, könnte ihn dazu bringen, bis zum letzten Blutstropfen zu kämpfen', sagte Ischinger" (20). Völkerrechtlich gesehen wäre zu prüfen, ob Nicolas Sarkozy einen Fall für den Internationalen Strafgerichtshof darstellt: Wegen Anzettelung eines Krieges.

Zur US-Politik stellen sich einige Fragen: War das Eingehen Barack Obamas auf den türkischen Friedensplan nur zur Täuschung der Öffentlichkeit gedacht? Gab es einen bereits länger vorbereiteten US-Einsatzplan, der die Ereignisse in Libyen und Bahrain in einer Gesamtschau vor dem Hintergrund der neuen NATO-Strategie von 2010 sah?

In seiner berühmt gewordenen Kairo-Rede kündigte US-Präsident Barack Obama an, ein neues Geschichtskapitel der US-amerikanischen Beziehungen mit der arabisch-muslimischen Welt in gegenseitigem Respekt zu beginnen. Diese Rede ist nicht mehr das Papier wert, auf dem er sie vorlas. Den Friedensnobelpreis hat er sich nach dem "Libyen-Lackmustest" der Glaubwürdigkeit seiner Kairo-Aussagen quasi selbst aberkannt.

Die Verletzungen des Internationalen Völkerrechts werden sich von den Bombardierungen der NATO in Libyen vermutlich nicht so schnell erholen.

Der Druck der Zivilgesellschaft durch Petitionen an die jeweiligen Nato-Regierungen mit der Forderung eines sofortigen Waffenstillstands könnte bewirken, dass die von der Afrikanischen Union wie von der Türkei ausgearbeiteten Friedenspläne ein Chance bekommen. Noch fehlen dazu auch die Friedensdemonstrationen auf den Straßen europäischer Hauptstädte, um zunächst einmal Druck auszuüben, die NATO-Bombardierungen einzustellen.

Auch diese Militärintervention der NATO belegt, obwohl sie noch nicht zu Ende ist: Krieg ist keine Lösung - Alternativen sind möglich (21). Es ist eine Frage der Zeit, bis die von weiten Kreisen der internationalen wie nationalen Medienlandschaft entweder nicht recherchierten oder unterdrückten Fakten sich Bahn brechen und zu einer breiten Bewusstseinsänderung führen, was die politische Einordnung des Libyen-Krieges betrifft.


Prof. Andreas Buro, Friedenspolitischer Sprecher des Komitee für Grundrechte und Demokratie, Grävenwiesbach. Andreas.Buro@gmx.de

Clemens Ronnefeldt, Referent für Friedensfragen beim deutschen Zweig des Internationalen Versöhnungsbundes, Freising. C.Ronnefeldt@t-online.de


Anmerkungen:

(1) Prof. Dieter S. Lutz in seinem Vorwort zu: Clemens Ronnefeldt, Die neue NATO, Irak und Jugoslawien, Minden, 2. Auflage 2002, S. 7.

(2) http://www.afrika.no/Detailed/20370.html

(3), (4), (5) http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2011A12_lac_ks.pdf

(6) http://www.abendblatt.de/politik/article1830804/Mahmud-Dschibril-er-soll-Libyen-nach-Qaddhafi-fuehren.html

(7) http://www.imi-online.de/2011.php?id=2258

(8) Walkom, Thomas: Libyan oil, not democracy, fuelling the West, The Star, 3.3.2011.

(9) Zweig, Stefan: Profile of an Oil Producer: Libya, Heatingoil.com, 29.9.2009.

(10) http://www.spiegel.de/wissenschaft/technik/0,1518,753095,00.html

(11) http://www.handelsblatt.com/politik/international/obama-genehmigt-cia-geheimkrieg/4007182.html

(12) http://www.abendblatt.de/politik/ausland/article1806343/Deppen-in-der-Wueste-peinliche-Pleite-bei-britischer-Geheimaktion.html

(13) Robert Cooper, The Post-Modern State, in: Mark Leonard (ed.), Re-Ordering the World, London 2002, 11-20, S. 16. In deutscher Übersetzung zitiert nach Tobias Pflüger: Imperium Europa: Das militärische Fundament der Wirtschaftsmacht EU

(14) www.zeit.de/2004/05/Essay_Cooper?page=4

(15) http://www.peak-oil.com/effizienzrevolution-nach-peak-oil/peak-oil-studie-bundeswehr/

(16) http://www.dnews.de/nachrichten/politik/469860/libyen-friedensplan-afrikanischen-union-umsetzen.html

(17) http://www.tagesspiegel.de/politik/tuerken-arbeiteten-an-friedensplan-fuer-libyen/3985262.html

(18) http://derstandard.at/1297821568531/Initiative-Rom-schmiedet-mit-Berlin-Friedensplan

(19) http://www.n-tv.de/politik/Staaten-planen-Libyens-Zukunft-article2962011.html

(20) http://www.themenportal.de/nachrichten/ischinger-fordert-friedensplan-fuer-libyen-55538

(21) Siehe den gleichnamigen Artikel "Krieg ist keine Lösung - Alternativen sind möglich" von Clemens Ronnefeldt unter:
http://www.versoehnungsbund.de/sites/default/files/cr_analyse.pdf


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Inhaltsverzeichnis - inamo Nr. 65, Frühjahr 2011

Gastkommentar
- Wie gefährdet ist die Revolution in Ägypten? Von Mamdouh Habashi

Ägypten
- Die Institutionalisierung der Revolution: Regimewandel in Ägypten, von Holger Albrecht
- Das jähe Ende von Mubaraks Corny Capitalists - Großunternehmer und die Revolution, von Torsten Matzke
- Das Referendum, von Ivesa Lübben

Bahrain
- Abriss oder Renovierung? Opposition in Bahrain, von Sabine Damir-Geilsdorf

Irak
- Auch im Irak wächst eine Protestbewegung, von Joachim Guilliard

Jemen
- ... ein letzter Tanz auf den Köpfen der Schlangen, von Mareike Transfeld

Libyen
- Omar Mukhtar, von Jörg Tiedjen
- Libyen auf Messers Schneide, von Nicolas Pelham
- Über Prinzipien und Risiken, von MERIP
- Libysche Entwicklungen, von Gilbert Achcar
- Der NATO-Eunsatz in Libyen ist (Öl-)interessengeleitet, von Andreas Buro und Clemens Ronnefeldt
- "Odysee-Morgendämmerung" oder "Trojanisches Pferd", von Djamel Labidi
- Bomben für die Menschenrechte? Daniel Mermet im Gespräch mit Rony Brauman

Syrien
- Asads verpasste Gelegenheiten, von Carsten Wieland

Tunesien
- Die Demokratie nimmt Gestalt an, von Werner Ruf

Sudan
- Der neue Nordsudan - kommt nach der Landesspaltung der Volksaufstand? von Roman Deckert und Tobias Simon

Westsahara
- Die MINURSO wird 20 Jahre, von Axel Goldau

Kultur
- Cinema Jenin und kein Frieden, von Irit Neidhardt

Wirtschaftskommentar
- Irak: Mangelversorgung trotz Ölreichtum, von Joachim Guilliard

Zeitensprung:
- Besetzung des Golan 1967: "Wir träumen von Freiheit", von Taiseer Maray

ex mediis
Abdullah Öcalan: Verteidigungsschriften /
Holger Albrecht (Hg.): Contentious Politics in the Middle East /
Christopher A. Preble: The Power Problem /
David Hirst: Beware of Small States /
Race & Class: "Foreign Prisoners" in Europe /
Moshe Zuckermann: "Antisemit"
von Werner Ruf, Thomas Demmelhuber, Malcolm Sylvers, Dagmar Schatz, Tamar Amar-Dahl

Nachrichten/Ticker


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Quelle:
INAMO Nr. 65, Jahrgang 17, Frühjahr 2011, Seite 37-43
Berichte & Analysen zu Politik und Gesellschaft des Nahen und Mittleren Ostens
Herausgeber: Informationsprojekt Naher und Mittlerer Osten e.V.
Redaktion: INAMO, Postfach 310727, 10637 Berlin
Telefon: 030/864 218 45
E-Mail: redaktion@inamo.de
Internet: www.inamo.de

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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Juli 2011