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NAHOST/872: Israel - Palästinensischen Beduinen droht die Vertreibung, Umsiedlung in Müllplatznähe (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 28. Oktober 2011

Israel: Palästinensischen Beduinen droht die Vertreibung - Umsiedlung in Müllplatznähe

Von Jillian Kestler-D'Amours


Jerusalem, 28. Oktober (IPS) - Israel plant die Vertreibung zehntausender palästinensischer Beduinen im besetzten Westjordanland. Sie sollen in die Nähe einer Mülldeponie umgesiedelt werden, um die Erweiterung einer israelischen Siedlung zu ermöglichen.

Den betroffenen Menschen droht der Verlust ihrer Heimat, ihrer traditionellen Lebensweise und ihrer Existenz. "Wir Beduinen hängen von unseren Tieren ab. Wenn sie uns zwingen, in die Stadt zu gehen, töten sie uns. Sie töten uns Beduinen. Nach einigen Jahren wird es keine Beduinen mehr in dem Gebiet geben", sagt Mohammad Al-Korshan, der zusammen mit weiteren 90 Familien in einem Beduinenlager nahe der Stadt Anata im Westjordanland nordwestlich von Jerusalem lebt.

"Wir werden unsere Heimat nicht verlassen. Wenn sie unsere Häuser und Zelte zerstören, bauen wir sie wieder auf. Wir werden nicht von hier fortgehen, selbst auf die Gefahr hin, getötet zu werden", versichert Al-Korshan.

Israels Zivilbehörde hat vor, in den kommenden drei bis sechs Jahren 27.000 Beduinen aus ihren Siedlungen in Gebiet C zu vertreiben, das komplett unter der Kontrolle der israelischen Streitkräfte und der israelischen Verwaltung steht.


Zwangsumsiedlung ab nächstem Jahr

Die israelische Menschenrechtsorganisation 'BTselem' geht davon aus, dass die erste Phase der Zwangsumsiedlungen im Januar 2012 anläuft und etwa 2.300 Menschen betrifft, die in 20 Dörfern nahe der israelischen Siedlung Ma'ale Adumim leben. Sie sollen an Orte im Umfeld der Abu Dis-Müllhalde östlich von Jerusalem verbracht werden. In der zweiten Phase sollen dann die Beduinen aus dem Jordan-Tal vertrieben werden.

"Wir leben im Umkreis der Straße zwischen Jerusalem und Jericho. Die israelische Regierung will das Gebiet aufgrund seiner Nähe zur Siedlung Kufr Adumim räumen. Sie wollen unser Land und unsere Siedlungen", berichtet Al-Korshan, der das Komitee der Jerusalemer Beduinen-Kooperativen leitet. "Die Situation ist kritisch. Wir sind Flüchtlinge."

Nach Angaben des UN-Büros für die Koordinierung humanitärer Hilfe (UN-OCHA) in den besetzten palästinensischen Gebieten sind mehr als 80 Prozent der Beduinen-Familien, die in den Bergen östlich von Jerusalem leben, Flüchtlinge. Sie verfügen über keinen Strom. Die Hälfte hat keinen Wasseranschluss. Den meisten wurden bereits Räumungsbefehle zugestellt.

UN-OCHA zufolge wäre die Umsiedlung der Beduinen in die Nähe der Stadt Al Eizariya ein Verstoß gegen Mindestauflagen, was die Nähe zur Mülldeponie angeht. Gesundheitsprobleme seien abzusehen, heißt es in einer Mitteilung der UN-Organisation. Den Beduinen drohe somit der Verlust ihrer Lebensgrundlage, die Verschlechterung ihrer Lebensbedingung und die Zerstörung ihrer traditionellen Lebensweise.

Suleiman Mazarah und seine Familie der Volksgruppe der Jahalin waren bereits 1997 gegen ihren Willen von den israelischen Behörden in das umstrittene Gebiet umgesiedelt worden. Wie Mazarah gegenüber IPS berichtete, leidet die Gemeinschaft noch heute an den Folgen der Vertreibung.

"Die Israelis haben uns in die Nähe der Müllhalde der Gemeinde von Jerusalem gebracht. Nun wollen sie den Rest der Jahlin in das Gebiet abschieben. Das bedeutet das Aus für die Beduinen", so Mazarah. "Werden diese Menschen in ein kleines Gebiet zusammengepfercht, können sie ihre Tiere nicht halten. Dann haben sie keine Arbeit mehr."

Wie Mazarah erläutert, gibt es für die meisten Menschen in der Region keine Beschäftigung. "Sie haben also nichts, was sie ihren Kindern mitgeben könnten. Kommen noch mehr Menschen hierher, wird sich die Situation noch weiter zuspitzen."


Verstoß gegen internationales Recht

Die Umsiedlung von Beduinen-Gemeinschaften ohne deren Einverständnis sei ein Verstoß gegen internationales Recht, so UN-OCHA in seiner Mitteilung. Als Besatzungsmacht sei Israel dazu verpflichtet, die palästinensische Zivilbevölkerung zu schützen und das Gebiet im Sinne der der Bevölkerung zu verwalten. "Jeder Schritt oder Transfer von Zivilisten muss auf Freiwilligkeit basieren und internationalen Standards entsprechen."

Mazarah zufolge sind Pläne, die Beduinen-Gemeinschaften aus Gebiet C im Westjordanland zu vertreiben, eine Fortsetzung der historischen und fortgesetzten Enteignung der Beduinen-Völker seit der Gründung des Staates Israel. Auch das jüngste Vorhaben, 30.000 Beduinen aus der Negev-Wüste zu vertreiben, könne in einen solchen Zusammenhang gestellt werden.

"Das, was sie mit den Menschen in Naqab (Negev) vorhaben, wollen sie auch uns antun. Doch die Beduinen in Naqab besitzen wenigsten die israelische Staatsangehörigkeit. Wir hingegen sind Palästinenser", so Mazarah. "Doch auch ihnen geht es schlecht. Diese vergessenen Menschen leiden unter der Zwangsumsiedlung, die ihr Leben zerstört." (Ende/IPS/kb/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Oktober 2011