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NAHOST/897: Fadenscheiniges Bekenntnis Frankreichs zu atomwaffenfreier Region Nahost (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 5. März 2012

Nahost: Fadenscheiniges Bekenntnis Frankreichs zu atomwaffenfreier Region

von Julio Godoy


Paris, 5. März (IPS/IDN*) - Wer sich ans französische Außenministerium wendet, um sich ein Bild von der Position des Landes zur Forderung einer atomwaffenfreien Nahostregion zu machen, wird sicherlich auf Äußerungen der französischen Botschafter vor den Vereinten Nationen in New York und Genf verwiesen. Ebenso erwartet den Anrufer die Zusicherung, dass Paris die weltweite Einhaltung des Atomwaffensperrvertrags (Non Proliferation Treaty - NPT) unterstützt.

Tatsächlich befürwortet Frankreich seit Mitte der 1990er Jahre die Zielsetzungen der von der Revisionskonferenz der NPT-Vertragsstaaten angenommenen Resolutionen und insbesondere der über eine kernwaffenfreie Zone Nahost. Doch wenn es darum geht, den Worten Taten folgen zu lassen, erweisen sich die französischen Äußerungen als bloße Lippenbekenntnisse. Das wird vor allem immer dann deutlich, wenn die Atomwaffenpolitik Israels in Frage gestellt und der jüdische Staat aufgerufen wird, die Resolution zu unterzeichnen.


Zweierlei Maß

Die konturlose Haltung Frankreichs mit Blick auf eine atomwaffenfreie Nahostregion wurde bereits im Mai 2010 deutlich. Damals bezeichnete die israelische Regierung von Benjamin Netanjahu die Resolution über nukleare Abrüstung in Nahost als "scheinheilig" und als "großen Fehler". Von Frankreich, einem ständigen Mitglied des UN-Sicherheitsrats, das selbst eine Atommacht ist, kam keine Reaktion auf die offene Absage Israels.

Israel, das den Atomwaffensperrvertrag nicht unterzeichnet hat, wies die Resolution mit der Begründung zurück, "sie ignoriert die Realitäten in Nahost und die wirklichen Gefahren, mit denen sich die Region und die ganze Welt konfrontiert sehen. Angesichts der in der Resolution zutage tretenden verzerrten Wahrnehmung sieht sich Israel nicht in der Lage, an deren Umsetzung mitzuwirken."

Dass Paris in der Frage der nuklearen Abrüstung mit zweierlei Maß misst, war 2005 deutlich geworden, als François Rivasseau, der damalige ständige Vertreter Frankreichs bei den Vereinten Nationen, dem Iran auf der UN-Abrüstungskonferenz in Genf vorwarf, mit seinem Atomprogramm der "Weiterverbreitungskrise" Vorschub zu leisten. Auf der gleichen Konferenz erklärte er, dass es "wünschenswert" sei, Indien, Israel und Pakistan über einen Dialog dazu zu bringen, sich den internationalen Standards für Nichtverbreitung und Exportkontrollen anzupassen.

Alle drei Länder haben riesige Atomwaffenarsenale. Ein solcher Dialog hat Israel nie davon abgehalten, mindestens 210 nukleare Sprengköpfe, mehr als diejenigen Indiens und Pakistans zusammen, zu bunkern. Diese Realität wurde von den französischen Regierungen nie zur Sprache gebracht.

Es ist somit auch keine Überraschung, dass Frankreich einen nennenswerten Beitrag zu der laufenden Debatte über eine atomwaffenfreie Zone Nahost schuldig geblieben ist und stattdessen gebetsmühlenhaft das angebliche Atomwaffenprogramm des Irans geißelt. Am 9. November 2011 erklärte Außenminister Alain Juppé, dass die von der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) geäußerten Bedenken gegen das iranische Atomprogramm Frankreichs Sorge weiter erhöht hätten.

Juppé fügte hinzu: "Wir müssen, was den diplomatischen Druck auf den Iran angeht, zur nächsten Stufe übergehen. Falls sich der Iran weigert, der internationalen Gemeinschaft entgegen zu kommen und jede ernsthafte Zusammenarbeit ablehnt, sind wir bereit, mit der Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, Sanktionen von einem nie da gewesenen Ausmaß anzunehmen."

Juppé hat weder die Atomwaffenpolitik Israels noch die israelische Ablehnung eines globalen Gipfeltreffens über einen atomwaffenfreien Nahen Osten kritisiert. Dieser doppelte Standard, wie er bei den meisten EU-Ländern anzutreffen ist, hat bei vielen Experten für auswärtige Beziehungen Zweifel an der Ehrlichkeit der französischen Politik aufkommen lassen.


Zivilgesellschaft alarmiert

"Im Gegensatz zu dem, was uns Frankreich glauben machen will, ist weder die Agenda noch der Dialog über nukleare Abrüstung seit Mai 2010 zu Ende", sagte Jean-Marie Collin, der Leiter des französischen Büros des Parlamentarischen Netzwerks für Nukleare Abrüstung und Nichtverbreitung (PNND).

Collin zufolge sind die UN und zivilgesellschaftliche Organisationen auch weiterhin bestrebt, eine atomwaffenfreie Welt zu erreichen. Als eines von vielen Beispielen ihres Engagements nannte er die Kampagne für eine atomwaffenfreie Nahostregion und die Nominierung des finnischen Vizeaußenministers Jaakko Laajava zum Faszilitator. Trotz der vielen Worte sei Frankreich, was die Politik der atomaren Abrüstung angehe, ein Außenseiter.

Französische Nichtregierungsorganisationen werden nicht müde, vor einer Weiterverbreitung von Massenvernichtungs- und insbesondere Atomwaffen zu warnen. Die nationale Friedensorganisation Vereinigung der deportierten und internierten Widerstandskämpfer und Patrioten (FNDIRP) kritisierte in einer Mitteilung die israelischen Vorbereitungen eines Kriegs gegen den Iran.

Die FNDIRP erinnerte daran, dass der Iran den NPT unterzeichnet und wiederholt betont habe, die Atomtechnologie ausschließlich für zivile Zwecke nutzen zu wollen. Darüber hinaus warnte sie vor den "unvorhersehbaren Folgen" einer Militärintervention gegen den Iran für die gesamte Region. Auch meldete sie Zweifel an einer Effektivität eines solchen Angriffs an, das atomare Forschungsprogramm des Irans beenden zu können.

Die FNDIRP unterstrich zudem die Notwendigkeit, das NPT in Nahost umzusetzen und bezeichnete die Debatten im Rahmen der Vereinten Nationen als "höchst nützliches Unterfangen". Sie rief Israel, den Iran und alle anderen Staaten der Region dazu auf, die notwendigen Schritte zugunsten einer atomwaffenfreien Zone Nahost zu unternehmen, "die allen Ländern der Region Frieden und Sicherheit bringen würde".

Doch nach Ansicht französischer und Schweizer Experten für Auslandsbeziehungen werden solche Appelle ein Wunschdenken bleiben. Analysten des 'Center for Security Studies (ISS) der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich sind der Meinung, dass "kurzfristige und strukturelle Rahmenbedingungen eine baldige Realisierung jedoch unwahrscheinlich erscheinen lassen. (...) Es dürfte schon schwierig sein, in der Region den nuklearen Status quo aufrechtzuerhalten." (Ende/IPS/kb/2012)

* Der von 'Global Cooperation Council' und 'Globalom Media' erstellte Informations- und Analysendienst IDN-InDepthNews ist Partner von IPS-Deutschland.


Links:
http://www.css.ethz.ch/publications/pdfs/CSS-Analysen-107-DE.pdf
http://www.indepthnews.info/index.php/global-issues/770-frances-fuzzy-face-on-nuclear-abolition

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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. März 2012