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NAHOST/932: Libanon - Hisbollah verliert an Boden, Anhänger der Islamisten zunehmend unzufrieden (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 31. Juli 2012

Libanon: Hisbollah verliert an Boden - Anhänger der Islamisten zunehmend unzufrieden

von Mona Alami



Dahieh, Libanon, 31. Juli (IPS) - Die islamistische Hisbollah-Partei im Libanon konnte sich bisher auf eine starke Anhängerschaft stützen. Seit einigen Wochen fällt es der an der Regierung beteiligten 'Partei Gottes' jedoch immer schwerer, ihre zunehmend unzufriedene Basis zu kontrollieren. Politische Beobachter fragen sich, ob die Hisbollah allmählich die Macht über ihre Gefolgsleute verliert.

Im Juni attackierten bewaffnete Männer den Sitz des lokalen Fernsehsenders Al-Jadeed in der Hauptstadt Beirut. Sie zündeten Autoreifen an, umstellten das Gelände, eröffneten das Feuer und warfen Molotow-Cocktails in das Gebäude. Anwohner überwältigten einen der Schützen, nachdem seine Kleidung in Brand geraten war.

Libanesische Medien berichteten, dass der Verdächtige ein Schiit sei, der der Miliz 'Saraya al-Moqawama' angehöre. In diesem Sonderkommando haben sich Mitglieder verschiedener Gruppierungen zusammengeschlossen, die mit der Hisbollah verbunden sind. Die Hisbollah wies alle Anschuldigungen zurück.

Kurz darauf berichtete die Tageszeitung 'An Nahar', dass Hisbollah-Anhänger im Süden von Beirut eine Patrouille der Inneren Sicherheitskräfte (ISF) angegriffen hätten, nachdem diese einen Bewaffneten auf einem Motorrad festgenommen hatte. Danach sollen Mitglieder der Hisbollah mit der Patrouille Streit angefangen haben. Auch dies wurde von der Partei abgestritten.


Unbewältigte Sicherheitsprobleme

"Man hat das Gefühl, dass die Hisbollah ihre Gefolgsleute und kleineren Kampfkontingente nicht mehr unter Kontrolle hat. Dahieh, die Bastion der Miliz in den südlichen Vororten der Hauptstadt, leidet unter vielen Sicherheitsproblemen", sagte ein hochrangiger ISF-Offizier. "Dort kommt es täglich zu bewaffneten Fehden zwischen Familien. Der Waffen- und Drogenschmuggel sowie die Prostitution nehmen zu."

Die als paramilitärische Organisation entstandene Hisbollah muss nicht nur diese Aktivitäten unter Kontrolle halten. Sie ist auch mit dem wachsenden Unmut ihrer Basis konfrontiert. Während eines Protestes gegen die Entführung von elf schiitischen Pilgern in Syrien und der Festnahme von Ali Shoaib nach dem Angriff auf die ISF-Patrouille berichtet der Fernsehsender MTV, dass Demonstranten einen Hisbollah-Konvoi, der einen Parteifunktionär eskortierte, zum Umkehren zwangen.

Die Pilger waren am 22. Mai in der syrischen Stadt Aleppo gekidnappt worden, als sie von einer religiösen Pilgerfahrt im Iran in den Libanon zurückkehren wollten. Unbestätigten Berichten zufolge werden sie von syrischen Oppositionskräften festgehalten, die der Hisbollah Unterstützung für Syriens Machthaber Baschar al Assad vorwerfen.

"Die Hisbollah scheint die Angelegenheit vergessen zu haben", meint Hassan aus Dahieh, der in einem Bekleidungsgeschäft arbeitet. Viele Libanesen, die einst überzeugte Anhänger der Miliz waren, halten ihr inzwischen vor, die zahlreichen Krisen im Land nicht in den Griff zu bekommen.

"Die Tatsache, dass die Hisbollah ein wichtiger Teil der Regierung ist, sollte mir eigentlich ein Gefühl der Sicherheit vermitteln", meint Mohamed, ein junger Mann in den Zwanzigern, der aus einem Dorf im Süden des Landes stammt.

In der schiitischen Gemeinschaft sind solche Vorwürfe immer häufiger zu hören. Seit Anfang des Jahres ist zudem mehrfach syrisches Militär in das Nachbarland vorgedrungen, die Umtriebe Aufständischer nehmen zu, und die Bevölkerung ist mit Strom- und Wasserausfällen konfrontiert.


Korrupte Regierung

"Obwohl die Regierung unter der Führung der Hisbollah steht, arbeitet sie im Grunde gegen uns", beklagt sich Hassan. Sein Freund Harem empört sich vor allem über die zunehmende Korruption in der Regierung. Ihn interessiere eine Ausbildung im Pharmasektor, doch der Bereich sei übersättigt. Die Politiker unterstützten illegale Geschäfte, kritisiert er. Deshalb wolle er lieber ins Ausland gehen.

Dennoch hat die Hisbollah auch weiterhin hundertprozentig linientreue Anhänger. Rola, die ein kleines Kind hat, sagt, ihre Erinnerungen an den Bürgerkrieg bestärkten sie in ihrer Loyalität zu der ehemaligen Miliz. "Wer wird uns sonst schützen, wenn uns die (christlichen) libanesischen Kräfte angreifen?" fragt sie. Die Massaker in den Flüchtlingslagern Sabra und Shatila habe sie nicht vergessen: "Die Hisbollah ist die einzige Partei, die mich und die schiitische Gemeinschaft schützen kann."

Bei den Massakern in den beiden Flüchtlingscamps wurden im September 1982 etwa 1.000 palästinensische und libanesische Zivilisten von Mitgliedern der ehemaligen libanesischen Phalangistenmiliz ermordet. Die Angriffe waren offenbar ein Racheakt auf den Mord des neu gewählten libanesischen Präsidenten Baschir Gemayel, der Anführer der Phalangisten war. (Ende/IPS/ck/2012)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. August 2012