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OSTEUROPA/295: Moldawien - Tatsächlicher oder scheinbarer Rücktritt von Woronin (Queck/Falkenhagen)


Moldawien: Tatsächlicher oder scheinbarer Rücktritt von Wladimir Woronin?

Von Hans-Jürgen Falkenhagen und Brigitte Queck
aktualisierte Fassung vom 9. September 2009


Die Rücktrittsmeldungen des amtierenden moldawischen Präsidenten Wladimir Woronin basieren auf einer Erklärung von Woronin vom 2. September 2009 vor dem Politischen Aktivausschuss der Kommunistischen Partei von Moldawien (PCRM), gemäß der er sich in der gegenwärtigen kritischen Situation des Landes außerstande sieht, das Amt weiter fortzuführen. Er sagte: Er könne den Weg, auf den die "Allianz für Europäische Integration" das Land zu führen beabsichtigt, nicht gutheißen. Entschieden lehne er den Weg ab, auf den die derzeitige Parlamentsmehrheit die Republik Moldawien führen wolle. Deswegen werde er in dieser für die Heimat und unsere Partei kritischen Stunde nicht in der zweifelhaften Position eines geschäftsführenden Präsidenten verbleiben.
War das nun eine definitiv gültige Entscheidung zum Rücktritt von der Funktion des amtierenden moldawischen Präsidenten?
Wladimir Woronin wurde am 4. April 2001 erstmals zum moldawischen Präsidenten gewählt. Zuvor hatte seine Kommunistische Partei die Parlamentswahlen mit absoluter Mehrheit gewonnen. Dieser Wahlerfolg wiederholte sich 2005, was Woronin erneut in das Präsidentenamt führte. Auf Grund der Erfolge bei der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung sowie der Stärkung der demokratischen Verhältnisse im Lande erlangte die PCRM auch bei den Parlamentswahlen im April 2009 mit 60 Abgeordnetensitzen erneut die absolute Mehrheit. Woronin konnte aber nicht ein drittes Mal für das Präsidentenamt kandidieren, das verbietet die moldawische Verfassung.
Bei der Wahl der neuen moldawischen Präsidentin war damals von der PCRM die parteilose Politikerin Zinaida Greciani (sie ist seit März 2009 Premierministerin) vorgeschlagen worden, die aber die laut Verfassung nicht die vorgesehene Parlamentsmehrheit von 61 Stimmen bekam - infolge des Wahlboykotts der damals drei mit insgesamt 41 Abgeordnetensitzen ins Parlament gelangten Oppositionsparteien. Es fehlte also im April für die Wahl von Frau Greciani zur Präsidentin nur eine einzige Stimme. Auch die Wiederholungswahl scheiterte an der einen Stimme. Die Frage lautet bis heute: Warum war kein einziger Abgeordneter der Opposition bereit oder in der Lage, für die neue Präsidentin, obgleich diese parteilos war, zu stimmen, nachdem der Kommunist Woronin vorher zweimal (in 2001 und 2005) für die erforderliche Stimmenanzahl zur Wahl zum Präsidenten auch Stimmen von Abgeordneten nichtkommunistischer Parteien erhalten hatte? Eine Antwort findet sich natürlich im von den Parteiführungen verordneten Boykott der betreffenden Parlamentssitzungen durch die drei rechten Parteien. Aber damit ist die Frage nicht beantwortet, welche Kräfte im Westen diesmal nicht daran interessiert waren, dass die Regeln der Demokratie eingehalten werden.

Die Verfassung schreibt im Falle des Nichtzustandekommens der Wahl des Staatspräsidenten Parlamentsneuwahlen vor. Getreu der moldawischen Verfassung setzte Woronin diese Neuwahlen auf den 29. Juli 2009 an. Im Ergebnis dieser Neuwahlen verlor seine Partei 12 Abgeordnetensitze und damit auch die absolute Mehrheit im Parlament.
Sie erhielt nur noch 48 Abgeordnetensitze, die vier nichtkommunistischen Parteien konnten nun mit 53 Sitzen eine Mehrheitskoalition gegen die PCRM bilden.
Die prowestlichen reaktionären Kräfte von Moldawien hatten damit ihr Ziel der Verdrängung der sozialorientierten PCRM von der Macht erreicht.
Daran änderte auch die weiterhin gute wirtschaftliche und soziale Entwicklung des Landes (die Nettolöhne sind bis Ende Juni 2009 im Vergleich zu Juni 2008 erneut um 10 % angestiegen und die Arbeitslosenquote ist auf ein historisches Tief von nahe 4 % gesunken was sich auch darin äußerte, dass Ende Juni 2009 nur 82 800 Personen arbeitslos gemeldet waren) nichts. Durch intensive vom Westen unterstützte antikommunistische und antisozialistische Wahlpropaganda und enorme Geldmittel konnten die prowestlichen Kräfte im Parlament bestimmenden Einfluss gewinnen.
Dazu kam, dass sich bei den Neuwahlen Marian Lupu, der im Mai 2009 aus der Kommunistischen Partei ausgetreten war, als neuer Führer der Demokratischen Partei dem Wahlvolk "als sozialistischer als die Kommunisten" präsentiert hatte. Das brachte ihm am 29. Juli auf Anhieb 13 Mandate im Parlament ein. Wenn er bei der Präsidentenwahl zusammen mit den Kommunisten aufgetreten wäre, hätten diese leicht an Einfluss gewinnen können. Da er das aber bisher abgelehnt hat, ja sich sogar mit den rechten Parteien, den Liberaldemokraten von Filat, den Liberalen von Ghimpu und mit der Allianz "Unser Moldawien" von Urechean verbündete, darf man an seiner Seriosität stark zweifeln.

Die Viererkoalition erklärte ihre Absicht, einen neuen Präsidenten und auch eine neue Regierung zu wählen. Für den Übergang bis dahin schreibt die moldawische Verfassung Folgendes vor:
Der bisherige Präsident, das ist Vladimir Woronin, muss bis zur Vereidigung des neu gewählten Präsidenten weiter amtieren, wenn ihn nicht außerordentliche Umstände daran hindern. Die bisherige Regierung mit ihrer bisherigen Premierministerin Zinaida Greciani bleibt also bis zur Vereidigung des vom Präsidenten nominierten und vom Parlament gewählten neuen Premierministers und seines Kabinetts im Amt. Zinaida Greciani hatte verfassungsgemäß formell zu dem in der Verfassung vorgesehenen Termin ihr Regierungsamt niedergelegt, amtiert aber mit ihrem Ministerkabinett lt. Verfassung weiter bis zur Vereidigung der neuen Regierung, die aber noch nicht gebildet werden konnte.
Nach der moldawischen Verfassung kann also weder der noch amtierende Präsident noch die amtierende Regierung vorzeitig zurücktreten, wenn nicht außerordentliche Umstände deren weitere Amtführung verhindern!!
Nun hat der Präsident durchaus auch das Recht, seinen Rücktritt zu erklären.
Die moldawische Verfassung schreibt bei einem derartigen Rücktritt vom Präsidentenamt aber vor, dass er dazu vor dem Parlament eine plausible Erklärung abgeben oder diese zumindest dem Parlament schriftlich vorlegen muss. Eine solche Erklärung liegt aber dem moldawischen Parlament in keinerlei Form vor. Die Demission eines amtierenden Präsidenten muss laut Verfassung zudem auch noch vom Verfassungsgericht bestätigt werden. Auch diese Bestätigung steht noch aus.

Folglich befindet sich Woronin verfassungsrechtlich noch im Amt, bis ein neuer Präsident gewählt und vereidigt ist. Der aber würde für seine Wahl mindestens 61 Stimmen benötigen.

Somit war auch die Agenturmeldung, dass der Parlamentsvorsitzende, Mihai Ghimpu, das Amt des Präsidenten kommissarisch ausüben würde, voreilig, denn auch dazu bedarf es bestimmter Voraussetzungen.

Die Verfassung schreibt nämlich vor, dass der provisorische Übergang des Präsidentenamts bei seiner Vakanz wahlweise an den Parlamentsvorsitzenden oder an den Premierminister erfolgen kann.
Darüber entscheidet aber auch das Parlament erst nach Erfüllung aller verfassungsmäßigen Voraussetzungen. Und auch hier hat das Verfassungsgericht mitzureden!!
Fällt die Wahl auf den Parlamentsvorsitzenden, muss dessen Amtseinsetzung verfassungsrechtlich klar sein. Gegen die Rechtmäßigkeit der Wahl des Parlamentsvorsitzenden Ghimpu lief noch eine Verfassungsklage der kommunistischen Abgeordneten, über die voraussichtlich erst am 8. September entschieden wurde. 3 Verfassungsrichter stimmten für den Antrag der Kommunisten und 3 Verfassungsrichter dagegen. Damit gilt nach der Satzung des Verfassungsgerichts die Klage der PCRM als abgewiesen. Mit dieser Abweisung der Verfassungsklage ist Ghimpu rechtsmäßiger Parlamentsvorsitzender. Das Urteil zur Abweisung der Verfassungsklage gilt als unanfechtbar und tritt mit der Veröffentlichung im Gesetzblatt in Kraft. Aber noch nicht gewählt sind die Vizeparlamentsvorsitzenden, die Ghimpu vertreten können, wenn dieser die Befugnisse des Staatspräsidenten ausübt. Diese Amtvertretung eines Staatspräsidenten kann auch nur maximal 2 Monate erfolgen, denn dann muss auf jeden Fall ein neuer Präsident mit mindestens 61 Stimmen gewählt sein.
Analoges gilt auch für die Regierung. Diese ist noch im Amt, weil auch kein neuer Premierminister nominiert und gewählt worden ist und sie muss das auch bleiben. Denn es darf lt. Verfassung kein Interregnum, also keine regierungslose Zeit geben.

Zusammenfassend sei hier also nochmals hervorgehoben:
1. Der Rücktritt des noch amtierenden Staatspräsidenten Wladimir Woronin ist in der erfolgten Form nach der Verfassung unzulässig!
2. Zulässig wäre dieser verfassungsrechtlich nur gewesen, wenn besondere Gründe vorliegen und die müssen vom Verfassungsgericht anerkannt werden.
3. Der Präsident muss seine Rücktrittserklärung vor dem Parlament abgeben oder bei Verhinderung des Erscheinens vor dem Parlamentsplenum zumindest dem Parlament seinen Rücktritt schriftlich mitteilen. Das ist der von der Verfassung vorgeschriebene Weg.
Da Woronin seinen Rücktritt nur vor einer Ausschusstagung seiner Partei verkündete, ist sie in dieser Form laut Verfassung nicht rechtskräftig.

Diese Umstände dürften Woronin bekannt sein. Daher muss davon ausgegangen werden, dass sein angeblich erklärter Rücktritt nur eine Erklärung zum beabsichtigten Rücktritt ist. Sollte sein Rücktritt ein fait accompli sein, läge genau genommen ein Verfassungsbruch vor. In der Tat war die definitive Rücktrittsabsicht von Woronin am Mittwoch den 2. September und auch zumindest bis Dienstag den 8. September noch gar nicht erkennbar.

Auch die 4 jetzt im Parlament mit 53 Abgeordneten vertretenen nichtkommunistischen Parteien sind in der Frage der Anerkennung des Rücktritts von Woronin zerstritten (s. www.moldova.md). Insbesondere der Führer der Demokratischen Partei, Marian Lupu, und der Führer der Allianz "Unser Moldawien", Serafim Urechean, wollen den Rücktritt in der Form, wie er erfolgt ist, nicht akzeptieren und das hat für sie offensichtlich gute Gründe, die im Machtgefüge der vier Parteien liegen, die als neue Machtträger fungieren sollen.
Man ist sich prinzipiell nicht einig, wie das vorübergehend entstehende Machtvakuum ausgefüllt werden soll. Zudem lag gegen die Wahl des Parlamentsvorsitzenden Ghimpu nicht nur eine Verfassungsklage vor, sondern es sind auch schwerwiegende Kompromate gegen ihn als Person veröffentlich worden, die einer Klärung bedürfen, so ein im Internet unter http//compromat.wordpress.com/2007/12/08/cine-este-mihai-ghimpu/veröffentlichtes Kompromat. Danach kann man Ghimpu eine über Jahre laufende unlautere Geschäftstätigkeit, Korruption und Vetternwirtschaft nachweisen, die bis zum heutigen Tage reichen. Sogar seine von ihm geführte Partei, die Liberale Partei, finanzierte er aus Geldern, die aus fragwürdigen Geschäftskanälen stammen sollen. Die Verfassung verbietet aber Verantwortungsträgern wie dem Parlamentsvorsitzenden und insbesondere auch dem Staatsoberhaupt, als das Ghimpu zeitweilig fungieren soll, jegliche Geschäftstätigkeiten, selbst solche, die auf legalen Erwerb gerichtet sind, geschweige denn illegale Geschäftstätigkeiten.
Die Verfassung verbietet einem Parlamentsvorsitzenden zudem verfassungswidrige Statements, insbesondere solche, die gegen die Souveränität Moldawien als Staat gerichtet sind, wie die Befürwortung eines Anschlusses an Rumänien (Bessarabien, der größere Teil des heutigen Moldawiens gehörten von 1918 bis 1940 zu Rumänien, nachdem es seit 1812 Bestandteil des russischen Zarenreiches gewesen war). Mihai Ghimpu tut sich aber laufend mit der Forderung nach einem schnellen Anschluss von Moldawien an Rumänien hervor, das zudem noch ein NATO-Land ist. Die moldawische Verfassung verbietet ebenso, dass Moldawien militärischen Bündnissen beitritt.
Eine abschließende Prognose der weiteren Entwicklung in Moldawien kann hier deswegen nicht erfolgen, weil unklar ist, ob sich die vier nichtkommunistischen prowestlichen Parteien überhaupt an Verfassungsgebote und Rechtsgebote halten werden.
Schon Karl Marx und Friedrich Engels stellten mehrfach fest, dass die Herrschaftsformen der Bourgeoisie den Bruch der eigenen Verfassungs- und Rechtsnormen implizieren, wenn das ihre Interessenlage gebietet. Bekanntlich haben sich darauf auch Lenin und viele andere bekannte Führer der internationalen Arbeiterbewegung berufen.


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Über die Autoren

Brigitte Queck ist ausgebildete Wissenschaftlerin auf dem Gebiet Außenpolitik und als Fachübersetzer Russisch und Englisch sowie publizistisch tätig. Seit 10 Jahren leitet sie den Verein "Mütter gegen den Krieg Berlin-Brandenburg".
Brigitte Queck hat zwei erwachsene Kinder und vier Enkel.

Dr. Hans-Jürgen Falkenhagen wurde 1932 in Köln geboren und lebte ab 1936 in Radebeul bei Dresden. 1943 trat er in ein Gymnasium ein. Im Februar 1945 erlebte er die drei aufeinander folgenden Bombenangriffe auf Dresden.
Nach dem Abitur 1951 in Rostock studierte er Ökonomie und slawische Sprachen und war seit 1957 bis 1995 im öffentlichen Dienst tätig, insbesondere als Übersetzer, Dokumentalist und Länderbearbeiter. Er arbeitete in Auslandsinformationsabteilungen von Ministerien der ehemaligen DDR, zuletzt im Ministerium der Finanzen und für die Staatsbank der DDR. Seine Arbeitssprachen sind auch Englisch, Französisch und Rumänisch. Übersetzt hat er aus 12 Fremdsprachen, davon 9 slawische Sprachen. Er hat auch als Buchübersetzer für Verlage und als Journalist für Wirtschaftszeitungen gearbeitet. Seine Promotion erfolgte in diesem Rahmen.
Von 1990 bis 1995 war er Referent in einem Referat für ausländische Finanzen und Steuern des Bundesministeriums für Finanzen und dabei zuständig für sog. postkommunistische Staaten.
Nach Eintritt in das Rentenalter 1997 suchte er sich neue Interessengebiete und arbeitete als Sprachmittler und Journalist weiter für Zeitungen, Fachzeitschriften für Osteuropa und für Steuerrecht und ist Mitbetreiber der Homepage Goethe-Stübchen. Seit den 70er Jahren bekennt er sich zum Islam.
Dr. Falkenhagen ist verheiratet und hat zwei Kinder.


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Quelle:
Copyright by Brigitte Queck und Dr. Hans-Jürgen Falkenhagen
mit freundlicher Genehmigung der Autoren
      


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. September 2009