Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → AUSLAND

OSTEUROPA/305: Gesetz zur Wahl des Staatspräsidenten - Lösung der Staatskrise? (Falkenhagen/Queck)


Moldawien: Kann das am 30. Oktober 2009 beschlossene neue Gesetz zur Wahl des Staatspräsidenten eine schnelle Lösung der Staatskrise bringen?

Von Hans-Jürgen Falkenhagen und Brigitte Queck, 5. November 2009


Am 23. Oktober konnte Marian Lupu, Chef der Demokratischen Partei, nicht zum neuen moldawischen Staatspräsidenten gewählt werden, weil die eigenen Kollegen der "Allianz für europäische Integration" kurz vor diesem Termin entdeckten, dass zur Wahl eigentlich mindestens zwei Kandidaten antreten müssten, obgleich Artikel 78 der geltenden moldawischen Verfassung, der die Wahl des Staatspräsidenten regelt, nicht zwingend zwei Kandidaten vorschreibt. Und selbst wenn man zwei Kandidaten haben wollte, hätte sich fairerweise ein Gegenkandidat aus den Reihen der Allianz finden können, der als 2. Bewerber um das höchste Staatsamt antreten konnte, ohne dass er Aussichten auf seine Wahl gehabt hätte. Das geschah aber auch nicht. "Die Allianz für europäische Integration" ließ die Wahl platzen, obwohl Marian Lupu mit den Stimmen auch von mindestens 8 Parlamentsabgeordneter der 48-köpfigen Fraktion der kommunistischen Partei (PCRM) an diesem Tag hätte gewählt werden können, damit die von der Verfassung geforderte Stimmenzahl von mindestens 61 (Dreifünftel der Parlamentsabgeordneten) zustande kommt.
Man verschob die Wahl zunächst auf unbestimmte Zeit, was gesetzeswidrig und verfassungswidrig war.

Nun wurde am Freitag den 30. Oktober 2009 in erster Lesung ein neues Gesetz zur Wahl des Staatspräsidenten (ein Organgesetz) mit der einfachen Mehrheit der Stimmen der "Allianz für europäische Integration" beschlossen. Es soll das entsprechende Gesetz vom 22. September 2000 ablösen. Es sieht vor, dass die Wahl des Staatspräsidenten bei Scheitern der Abstimmungen bis zu einem Jahr verlängert werden kann. Das hängt damit zusammen, dass nach dem neuen Gesetz die von der noch geltenden moldawischen Verfassung geforderte Parlamentsauflösung und Ausschreibung von Parlamentsneuwahlen bei zweimaligem Scheitern der Wahl des Staatspräsidenten im Abstand von 14 Tagen jetzt erst nach einem Jahr nach der zuletzt erfolgten Parlamentsauflösung erfolgen darf und erst danach Neuwahlen anberaumt werden kann. Da die letzte Parlamentsauflösung vom 16. Juni 2009 datiert (am 16. Juni 2009 löste der frühere Präsident Woronin das Parlament auf und verfügte anschließend zum 29. Juli Neuwahlen), kann die nächste Parlamentsauflösung nicht vor dem 16. Juni 2010 durchgeführt werden. Das ist ein Verfassungsnovum, gegen das die Kommunisten im Parlament schon Verfassungsklage vor dem Verfassungsgericht angekündigt haben.
Das Verfassungsnovum wirkt sich nun auf die Wahl des Staatpräsidenten aus, denn das Parlament darf bis dahin auch nicht aufgelöst werden, wenn die Wahl eines neuen Staatspräsidenten scheitert und das unabhängig davon, wie oft sie innerhalb dieser Frist scheitert. Das widerspricht aber Artikel 78 und weiteren Artikeln der geltenden moldawischen Verfassung. Nach der geltenden Verfassung und Gesetzgebung kann das Parlament zweimal im Jahr aufgelöst werden, und bei Scheitern eines zweimaligen Versuchs einer Präsidentschaftswahl ist das Parlament per Dekret unverzüglich aufzulösen, und innerhalb von 45 Tagen sind Neuwahlen durchzuführen. Die wären jetzt nach der noch geltenden Verfassung schon im Januar 2010 möglich.

Das in erster Lesung beschlossene Gesetz sieht nun ausdrücklich vor, dass sich für die Wahl zum Staatspräsidenten ein einzelner Kandidat ohne Gegenkandidaten bewerben kann, wenn kein Gegenkandidat antritt. Ansonsten können zwei und mehrere Kandidaten antreten, wobei es keine Begrenzung gibt. Eine weitere Änderung ist, dass die Wahl des Staatpräsidenten innerhalb dieser Jahresfrist beliebig oft wiederholt werden kann. Es ist nur die Dreifünftelmehrheit notwendig, an der auch das neue Gesetz festhält. Man kann also Präsidentschaftswahlen bis zum 16. Juni 2010 beliebig oft ansetzen, man kann es aber auch bleiben lassen. Das kommt den neuen Machthabern des liberalen Parteien Vlad Filat und Mihai Ghimpu zupasse, die im Grunde gar keine schnelle Wahl eines neuen Staatspräsidenten wollen und vor allem offensichtlich Marian Lupu nicht favorisieren, obwohl sie sich dazu in der Koalitionsvereinbarung der "Allianz für europäische Integration" verpflichtet hatten. Das ermöglicht Mihai Ghimpu in seiner Funktion als Parlamentsvorsitzender weiter moldawischer Interimspräsident zu bleiben und das über den 11. November 2009 hinaus (bis dahin müsste er das Amt nach der geltenden Verfassung niederlegen), um dann den Moment abzupassen, wo er sich selbst erfolgreich um das Amt des Staatsoberhaupts bewerben kann.

Die Wahl des Staatpräsidenten kann nach dem neuen Gesetz auch verschoben werden, wenn in diesem Sinne Hinderungsumstände existieren, z. B. wenn nicht mindestens drei Fünftel der Abgeordneten im Parlament an der Wahl teilnehmen. Hier wird Manipulationsspielraum geschaffen. Man betreibt also eine bewusste Verzögerungstaktik, um jetzt auch die Wahl von Marian Lupu zu hintertreiben. Das neue Gesetz sieht zudem vor, dass der amtierende Interimsstaatspräsident das Verfassungsgericht anrufen kann, um die Umstände feststellen zu lassen, die die wiederholte Parlamentsauflösung im Falle des Scheitern der Wahl eines Staatspräsidenten nach Ablauf eines Jahres nach der letzten Parlamentsauflösung zu rechtfertigen. Gleichzeitig erfordert das neue Gesetz, wenn es in Kraft tritt, dass vor der Feststellung der Umstände, die eine Parlamentsauflösung rechtfertigen, die Gründe, die die Wahl des neuen Präsidenten unmöglich gemacht haben, entfallen sind und das Parlament neue Wahlen für den Staatpräsidenten organisieren kann. Das ist eine weitere eingebaute Hürde, um die Amtsverlängerung für Mihai Ghimpu als Interimspräsidenten zu erreichen. Das alles wurde durch in das Gesetz vom 22. September 2000 hineininterpretierte Gesetzesslücken und Gesetzeswidersprüche gerechtfertigt. In Wirklichkeit werden nun erst recht komplizierte verfassungsrechtliche Hürden geschaffen und es wird sogar verfassungsrechtliche Willkür ermöglicht. Kommunistische Abgeordnete sprachen von legislativer Erpressung.

Jetzt ist zwar unmissverständlich klargestellt, dass Marian Lupu allein kandidieren kann, aber das schlossen schon der Artikel 78 der geltenden Verfassung und das bisherige Gesetz zur Regelung der Wahl des Staatspräsidenten vom 22. September 2000 nicht expressis verbis aus. Aber ob sich Marian Lupu zur Wahl als Staatspräsident stellen kann, hängt jetzt von ganz neuen Umständen ab. Wenn er jetzt bis zum 11. November 2009 nicht gewählt ist, kann eine verfassungsrechtliche Pattsituation eintreten, die den Wahltermin immer wieder hinausschiebt und das erst einmal bis zum 16. Juni 2010.

Das Inkrafttreten des neuen Gesetzes zur Wahl des Staatspräsidenten erfordert, dass auch einige Artikel der moldawischen Verfassung geändert werden müssen. Zur Annahme eines entsprechendes Gesetzes zur Verfassungsänderung zwecks Herstellung der Verfassungskonformität eines jeden im Parlament beschlossenen Gesetzes bedarf es aber einer Zweidrittelmehrheit im 101-köpfigen Parlament, also mindestens 67 Stimmen (s. Artikel 143 der moldawischen Verfassung). Die Allianz verfügt aber nur, wie gesagt, über 53 Mandate. Hier müssten also mindestens 14 Abgeordnete der kommunistischen Fraktion für die Verfassungsänderung stimmen, das sind noch mehr als für die Wahl des neuen Staatspräsidenten erforderlich sind. Die neuen Machthaber der beiden liberalen Parteien, Vlad Filat von der Liberaldemokratischen Partei und Mihai Ghimpu von der Liberalen Partei könnten jetzt dahingehend plädieren, dass ungeklärte Verfassungsverhältnisse erst einmal eine Neuwahl des Staatpräsidenten unmöglich machen. Sie gewinnen dadurch Zeit, um ihre Machtbasis auch entgegen der geltenden Verfassung zu festigen. Ein Anfang November 2009 in Chisinau von der deutschen Konrad-Adenauer-Stiftung organisierter Runder Tisch, an der auch das Mitglied des deutschen Bundestages Manfred Grund, der deutsche Botschafter in Moldawien, Nikolaus Graf Lambsdorff, und als Repräsentant der Konrad-Adenauer-Stiftung, Norbert Beckmann-Dierkes, teilnahmen, dienten offensichtlich diesem Zweck.. Es ging darum, wie die Machtbasis der neuen "liberalen" Machthaber langfristig abgesichert werden kann. Es ging auch um den schnellen Beitritt Moldawien in die Europäische Union. Manfred Grund sagte: "Wir sind sicher, dass Moldawien Mitglied der Europäischen Union wird, aber dafür ist jetzt viel Arbeit und Geduld erforderlich".
Nach den vorliegenden Meldungen trat bei dieser Runden-Tisch-Konferenz Vlad (Vladimir) Filat in seiner Eigenschaft als moldawischer Ministerpräsident auf. Er drängte auf den schnellen Abschluss eines Assoziierungsvertrages mit der EU.

Anmerkung: Das Gesetz zur Wahl des moldawischen Präsidenten hätte auch die Kommunistische Partei zu ihren Gunsten ändern können, als sie noch die absolute Mehrheit im Parlament hatte. Sie tat es aber nicht. Und hätte sie es getan, wie jetzt von der "Allianz für europäische Integration geschehen, wäre das Wehgeschrei im Westen groß gewesen und man hätte die Kommunisten der diktatorischen Willkür und des Rechtsbruchs bezichtigt.
Völlig verfassungswidrig wurde aber nun von der ach so rechtsstaatlichen "Allianz für europäische Integration" am Freitag, den 30. Oktober 2009, im Parlament in erster Lesung das genannte Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Präsidentenwahl beschlossen. Die westlichen Politiker nahmen daran aber keinen Anstoß, haben doch nun den faktischen Verfassungsbruch ihre "liberalen" Gesinnungsgenossen begangen!
Überraschend war, dass in dem eingebrachten Gesetz die Wahl des Staatspräsidenten bis zum 16. Juni 2010 hinausgezögert werden kann, denn der Gesetzesentwurf sieht vor, dass das Parlament erst nach einem Jahr, gerechnet ab der letzten Parlamentsauflösung, erneut aufgelöst werden kann. Auch was danach geschieht, bleibt noch unklar. Die Kommunisten haben sich zu so einen solchem Akt aus Verfassungstreue heraus zu keinem Zeitpunkt erdreistet.

Zusammenfassend: Nach der noch geltenden moldawischen Verfassung und Gesetzgebung kann das Parlament zweimal im Jahr aufgelöst werden, und bei Scheitern eines zweimaligen Versuchs einer Wahl eines neuen Staatspräsidenten ist das Parlament per Dekret des amtierenden Staatspräsidenten unverzüglich aufzulösen und innerhalb von 45 Tagen sind Neuwahlen durchzuführen. Das Verfahren hätte auch diesmal verfassungsgemäß so über die Bühne gehen können. Wenn die Wahl und Wiederholungswahl des Staatspräsidenten im November gescheitert wäre, hätten die Neuwahlen sogar innerhalb der geforderten 45-Tagesfrist im Januar 2010 stattfinden können. Die noch geltende Verfassungsbestimmung, dass Parlamentswahlen nur maximal zweimal im Jahr stattfinden können, wäre eingehalten worden. Es sieht aber so aus, als wollen Filat und Ghimpu ihrem Kollegen von der Demokratischen Partei, Marian Lupu gar nicht die Chance geben, auch mit Stimmen der Kommunisten, gewählt zu werden, zumal die Kommunistische Fraktion schon in dieser Hinsicht Kompromissbereitschaft zu erkennen gegeben hat. Sie knüpft das nur an Bedingungen wie die weitere Neutralität Moldawiens entsprechend Artikel 11 der Verfassung. Marian Lupu hat nämlich die Neutralität Moldawiens auch als seine Politik verkündet und ist dabei auch auf andere Bedingungen zur Einhaltung der bestehenden Verfassung eingegangen.
Die Wahl von Marian Lupu könnte also über die Bühne gehen, wenn es ehrlich zugeht. Die Kommunisten wollen ihrerseits keinen Präsidentschaftskandidaten ins Rennen schicken. Es bleibt nach wie vor nur notwendig, dass mindestens 8 kommunistische Abgeordnete für Lupu stimmen. Kommt die Wahl nicht zustande, müsste das Parlament aufgelöst werden, und schon im Januar 2010 könnten Parlamentsneuwahlen stattfinden. Nun wollen aber Filat und Ghimpu, dass das Parlament nicht vor dem 16. Juni 2010 aufgelöst werden kann (am 16. Juni 2009 löste der frühere Präsident Woronin das Parlament auf und verfügte anschließend zum 29. Juli 2009 Neuwahlen). Bis dahin sollte Ghimpu als Interimspräsident amtieren.

Wie ist nun die verfassungsrechtliche Lage in Moldawien? Um nicht verfassungsbrüchig zu werden, denn noch gilt die bestehende Verfassung, müsste die Wahl des Staatpräsidenten bis zum 11. November 2009 abgeschlossen sein, denn zu diesem Zeitpunkt endet die verfassungsrechtlich zulässige zweimonatige Amtdauer des Interimspräsidenten Ghimpu, (der Vorgängerpräsident Woronin war am 11. September 2009 offiziell zurückgetreten).
Es wird interessant sein, zu beobachten, wie es in Moldawien weitergeht und ob doch noch eine demokratisch faire Lösung in Aussicht steht.

Quellen:
www.moldova.md
www.romanialibera.ro/a168688/termenul-in-care-poate-fi-ales-presedintele-moldovean-a-fost-pre
http://gov.gov.md/comunicate/?nid=5595812&y=2009&m=11


*


Über die Autoren

Brigitte Queck ist ausgebildete Wissenschaftlerin auf dem Gebiet Außenpolitik und als Fachübersetzer Russisch und Englisch sowie publizistisch tätig. Seit 10 Jahren leitet sie den Verein "Mütter gegen den Krieg Berlin-Brandenburg".
Brigitte Queck hat zwei erwachsene Kinder und vier Enkel.

Dr. Hans-Jürgen Falkenhagen wurde 1932 in Köln geboren und lebte ab 1936 in Radebeul bei Dresden. 1943 trat er in ein Gymnasium ein. Im Februar 1945 erlebte er die drei aufeinander folgenden Bombenangriffe auf Dresden.
Nach dem Abitur 1951 in Rostock studierte er Ökonomie und slawische Sprachen und war seit 1957 bis 1995 im öffentlichen Dienst tätig, insbesondere als Übersetzer, Dokumentalist und Länderbearbeiter. Er arbeitete in Auslandsinformationsabteilungen von Ministerien der ehemaligen DDR, zuletzt im Ministerium der Finanzen und für die Staatsbank der DDR. Seine Arbeitssprachen sind auch Englisch, Französisch und Rumänisch. Übersetzt hat er aus 12 Fremdsprachen, davon 9 slawische Sprachen. Er hat auch als Buchübersetzer für Verlage und als Journalist für Wirtschaftszeitungen gearbeitet. Seine Promotion erfolgte in diesem Rahmen.
Von 1990 bis 1995 war er Referent in einem Referat für ausländische Finanzen und Steuern des Bundesministeriums für Finanzen und dabei zuständig für sog. postkommunistische Staaten.
Nach Eintritt in das Rentenalter 1997 suchte er sich neue Interessengebiete und arbeitete als Sprachmittler und Journalist weiter für Zeitungen, Fachzeitschriften für Osteuropa und für Steuerrecht und ist Mitbetreiber der Homepage Goethe-Stübchen. Seit den 70er Jahren bekennt er sich zum Islam.
Dr. Falkenhagen ist verheiratet und hat zwei Kinder.


*


Quelle:
Copyright 2009 by Brigitte Queck und Dr. Hans-Jürgen Falkenhagen
mit freundlicher Genehmigung der Autoren


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. November 2009