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OSTEUROPA/312: Zwischen Nähstuben und kritischem Konsum (Presente)


presente - Bulletin der Christlichen Initiative Romero 3/2009

Made in Eastern Europe
Zwischen Nähstuben und kritischem Konsum

Von Sandra Dusch-Silva (CIR)


Warschau - eine moderne Stadt im Zentrum Europas. AktivistInnen aus Deutschland, Österreich und Polen trafen sich dort Ende Juni auf Einladung der Christlichen Initiative Romero, um über die Arbeitsbedingungen in Osteuropa zu sprechen und Strategien für gemeinsame KonsumentInnenkampagnen in Europa auszuloten.


Erzwungene Überstunden in den Fabriken Mazedoniens. Hungerlöhne in Rumänien. Schwache Gewerkschaften in Polen. Seit den 70-er Jahren wird in Osteuropa für den nahen europäischen Markt gefertigt. Und noch heute nimmt der Textil- und Bekleidungssektor eine wichtige Rolle ein: In Polen arbeiten mehr als 700.000 NäherInnen. Allein in der südöstlich von Warschau gelegenen Region um Lódz, der textilen Hochburg des Landes, gibt es über 50.000 Nähstuben. adidas, H&M, Armani und C&A, sie alle profitieren von den günstigen Produktionskosten im östlichen Europa.

Kurze Lieferfristen, nahe Transportwege sowie laxe Sozial- und Umweltauflagen machen die Region für die internationalen Konzerne interessant. So konnten sie trotz des massiven Konkurrenzdrucks aus China und Vietnam bestehen. Die weltweite Wirtschaftskrise macht sich auch in den Produktionsstätten Osteuropas bemerkbar: Allein in Mazedonien haben schon über 1500 NäherInnen ihren Arbeitsplatz verloren.


Verlorene Straße

Doch nicht nur die aktuelle Krise führt in der Region zu Arbeitsplatzverlusten und prekären Beschäftigungsverhältnissen. Im Zuge der Transformation in den 90-er Jahren schlossen zahlreiche Fabriken ihre Tore. Viele ArbeiterInnen verloren damit nicht nur ihre Existenzgrundlage, sondern auch ihren Platz im Leben. Die Folgen der neuen Zeit für die Menschen in Polen machte der polnische Regisseur Marcin Latallo in seinem Film "Our Street" (deutscher Titel: "Unsere Straße ist nicht mehr") deutlich. Er begleitete fünf Jahre lang die Arbeiterfamilie Furmanczyk, die seit Generationen in der Textilhochburg Lódz lebt. Nach dem Ende des real existierenden Sozialismus wurden die meisten Familienmitglieder arbeitslos. Die Textilfabrik in ihrer Straße wurde geschlossen und das alte Fabrikgelände von einer französischen Investmentfirma gekauft, die auf dem Gelände eines der größten Einkaufszentren in Zentraleuropa eröffnete. Der Film zeigte den TeilnehmerInnen eines von der Christlichen Initiative Romero im Rahmen des CSR-Antrags "Soziale Unternehmensverantwortung" geförderten Seminars, welches Ende Juni in Warschau stattfand, das Schicksal einer Familie in Zeiten wirtschaftlichen Umbruchs. Darüber hinaus machte der Streifen den Spagat deutlich, den Polen vollführt: auf der einen Seite als Produktionsland mit zahlreichen Fabriken, auf der anderen Seite als Konsumland, wo in schicken Einkaufstempeln um die Gunst der KundInnen geworben wird.


Kaufen, kaufen...

Die Innenstadt von Warschau unterscheidet sich nicht mehr von denen in Paris oder London. Von adidas über Gucci und Prada bis hin zu H&M und Zara, alle großen Ketten verkaufen in Polen ihre Waren. Und auch die Discounter Aldi, Lidl, Carrefour und Tesco sind im Land vertreten. Für die Nichtregierungsorganisation Karat, die die Veranstaltung in Warschau organisierte, bedeutet dies auch ein Umdenken. Sie unterstützt weiterhin die Frauen, die für die Discounter an der Kasse sitzen und die Regale einräumen, in ihrem Kampf um bessere Arbeitsbedingungen in Polen. Aber Karat wird nun auch Mitglied der internationalen Kampagne für Saubere Kleidung (Clean Clothes Campaign/CCC) und plant im Rahmen der internationalen Aktionswoche im Oktober Proteste in den Supermarktfilialen in Warschau und Poznan.

Das Seminar hat einen Teil dazu beigetragen, dass sich kritische KonsumentInnen-Kampagnen über die Grenzen hinweg vernetzen und das Thema "Kritischer Konsum" auch auf die Straße und in die Discounter in Polen getragen wird. Ein großer Erfolg für das dreijährige CSR-Projekt, das in diesem Jahr endet.



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Quelle:
Presente 3/09, September 2009, Seite 26-27
Herausgeberin: Christliche Initiative Romero e.V. (CIR)
Frauenstraße 3-7, 48143 Münster
Telefon: 0251/89 503,
Telefax: 0251/82 541
E-Mail: cir@ci-romero.de
Internet: www.ci-romero.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Dezember 2009