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OSTEUROPA/338: Marktlücke Second-Hand - Kleiderhandel beschert Roma Auskommen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 28. September 2010

MINDERHEITEN:
Marktlücke Second-Hand - Kleiderhandel beschert Roma Auskommen

Von Claudia Ciobanu


Brasov, Rumänien, 28. September (IPS) - Auf dem 'Zigeunermarkt' im rumänischen Brasov herrscht samstagsmorgens Hochbetrieb. Rentner und andere wirtschaftlich benachteiligte Menschen finden sich hier ein, um günstig Kleidung zu kaufen. Die Geschäfte laufen so gut, dass sich viele Roma damit inzwischen ein gutes Auskommen sichern können.

"Drei Teile für zehn Neue Lei (umgerechnet rund drei Euro)", ruft ein Händler, um Kunden anzulocken. "Schauen Sie ruhig alles durch." Die Marktbesucher durchwühlen hohe Stapel gebrauchter Kleidung und Schuhe und versuchen die Preise weiter herunterzuhandeln.

Die meisten Händler, die der ethnischen Minderheit der Roma angehören, stammen aus alten Handwerkerfamilien. Die bärtigen Männer treten selbstbewusst auf, sind schwarz gekleidet und tragen Hüte mit breiten Krempen. Die mit großen Ohrringen geschmückten Frauen in ihren langen bunten Röcken halten sich eher im Hintergrund.

Verkäufer gebrauchter Schuhe auf dem Markt von Brasov - © Claudia Ciobanu/IPS

Verkäufer gebrauchter Schuhe auf dem Markt von Brasov
© Claudia Ciobanu/IPS

"Ich bin schon seit 20 Jahren im Geschäft", berichtet Matei Gabor, während er seine Kunden dazu ermuntert, Lederjacken anzuprobieren. "Wir hatten immer gute Beziehungen zu den Rumänen, weil wir ehrliche Leute sind, die hart arbeiten."

Gabors Vater war ein Zinnschmied. 'Gabori' ist auch die Bezeichnung für die ungarischen Roma, die als Handwerker tätig sind. Oftmals handelt es sich bei ihnen um konservative Menschen, die sich an traditionelle Bräuche halten und der christlichen Erweckungsbewegung der Adventisten angehören. Materiell geht es ihnen besser als dem größten Teil der Roma.


Roma wehren sich gegen Gauner-Image

Der Markthändler wehrt sich entschieden dagegen, als Rom automatisch kriminalisiert zu werden. "Wir sind anders, wir sind Gabori", betont er. "Wir stehlen nicht und handeln nur ab und zu auf dem Schwarzmarkt. Das ist alles."

Dabei gelten Schwarzmarktgeschäfte in dem osteuropäischen Land erst seit kurzem als Straftat. Während der kommunistischen Herrschaft blieb den Menschen dort gar nichts anderes übrig, als durch Schattenwirtschaft ihr Überleben zu sichern.

Auf dem Markt in Brasov geschieht allerdings nichts mehr im Verborgenen. Alle Händler führen Steuern an den Fiskus ab. Dank des guten Umsatzes können die Roma ihre Waren zu wesentlich günstigeren Preisen anbieten als rumänische Händler.

"Wenn es diesen Markt nicht gäbe, könnte ich mir gar nichts mehr zum Anziehen leisten", gesteht die Sozialarbeiterin Emilia Ciolan, die an den Ständen nach einer Winterjacke für ihre Tochter sucht. 2008 war der Roma-Markt zeitweise wegen mangelnder Hygiene geschlossen. In der Zeit habe sie nirgendwo sonst Kleidung kaufen können, erinnert sich Ciolan.

Für gewöhnlich gelten die Roma in Rumänien als ärmer und 'weniger zivilisiert' als die einheimische Bevölkerung. Auf dem Markt werden diese Vorurteile aber völlig über den Haufen geworfen. Die meisten Händler sind finanziell besser gestellt als ihre rumänischen Kunden.

Ciolan, die umgerechnet etwa 200 Euro im Monat verdient, lebt mit ihrem Mann, ihrer Mutter und zwei erwachsenen Kindern in einer Drei-Zimmer-Wohnung. Gabor dagegen wohnt in einem zweistöckigen Haus nahe des Stadtzentrums. In seiner Straße leben Roma und Rumänen Tür an Tür. In anderen Landesteilen leben die Bevölkerungsgruppen jedoch streng voneinander getrennt.

Der 47-jährige Gabriel, der auf dem Markt Schuhe verkauft, besitzt in dem Viertel sogar ein noch größeres Haus. Die orangefarbene Villa hat auch eine große Terrasse, auf der die Familie im Sommer ihre Mahlzeiten einnimmt. Kindergarten, Schule, Gymnasium und Kirche liegen dicht beieinander. Alle seine drei Kinder würden den Schulunterricht besuchen, sagt Gabriel stolz. "Wenn wir nicht wüssten wofür, würden wir nicht von morgens bis abends so hart arbeiten", meint er.

Laut dem Finanzministerium sind die Einnahmen aus dem Handel mit gebrauchter Kleidung in den vergangenen Jahren um zehn bis 25 Prozent gestiegen. Größere Firmen erwirtschaften inzwischen Gewinne im fünfstelligen Bereich.


Textilsektor brach nach 1989 zusammen

Weltweit bringen diese Geschäfte sogar rund 1,5 Milliarden Dollar jährlich ein. In Rumänien hat sich dieser Zweig nach der Wende 1989 entwickelt, nach dem Zusammenbruch der nationalen Textilindustrie. Gebrauchte Kleidung ist für viele die bessere Alternative zu asiatischen Billigimporten von minderer Qualität.

Nicht selten verkaufen die Roma Kleidungsstücke, die Wohltätigkeitsorganisationen in westlichen Ländern gesammelt haben. Besonders erfolgreiche Händler sind mittlerweile sogar in der Lage, selbst Waren einzuführen und Personal zu beschäftigen. Oftmals handelt es sich bei den Beschäftigten um ärmere Roma-Frauen, die sich auf diese Weise ihren Lebensunterhalt verdienen können. Viele sind auf solche Hilfe angewiesen, denn in einigen Orten des Landes haben bis zu drei Viertel aller Roma keine Arbeit.

"Ich wohne jetzt in einer kleinen Wohnung nahe am Markt", erzählt die 30-jährige Eva, die an einem der Stände arbeitet. Ihr Arbeitgeber, der 36-jährige Adrian Dumitru, will sich nicht auf Hilfe von außen verlassen. "Wir Marktverkäufer halten zusammen. Wir bilden eine Gemeinschaft, die hart arbeitet und sich gegenseitig unterstützt", sagt er. "Unsere Kunden behandeln uns respektvoll. Wer uns nicht mag, kann ja woanders kaufen - wenn er sich das leisten kann." (Ende/IPS/ck/2010)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. September 2010