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OSTEUROPA/386: Ukraine - Krieg ... 23.03.2022 (Gerhard Feldbauer)


Schweizer internationaler Militärexperte bestätigt:
Der Krieg in der Ukraine wurde vom Regime in Kiew ausgelöst

von Gerhard Feldbauer, 23. März 2022


Ein internationaler Schweizer Militärexperte, der frühere Oberst Jacques Baud, hat in einem Interview für die Schweizer Zeitschrift "Zeitgeschehen im Fokus" (Ausgabe Nr. 4/5 vom 15. März 2022) bestätigt, dass der Krieg in der Ukraine durch langfristige Kriegsvorbereitungen der Regierung in Kiew gegen Russland ausgelöst wurde. (*) Am 24. März 2021 habe der ukrainische Präsident Selenskyj ein Dekret erlassen, demzufolge er die Zurückeroberung der Krim beabsichtigt.

"Man vergisst, dass sich die Krim für unabhängig erklärt hat, bevor die Ukraine unabhängig wurde. Im Januar 1991, also noch während der Zeit der Sowjetunion, hat die Krim ein Referendum durchgeführt, um zu Moskau zu gehören und nicht mehr zu Kiew. So ist sie eine autonome sozialistische Sowjetrepublik geworden. Die Ukraine hatte erst 6 Monate später ein Referendum durchgeführt, im August 1991. Zu diesem Zeitpunkt betrachtete die Krim sich nicht als Teil der Ukraine. Aber die Ukraine akzeptierte dies nicht." 1995 habe die Ukraine die Regierung der Krim unter Einsatz von Spezialeinheiten gestürzt und ihre Verfassung für ungültig erklärt. "Aber das wird nie erwähnt, denn es würde die heutige Entwicklung in einem ganz anderen Licht erscheinen lassen."

Der Oberst war als Experte für den Schweizerischen Strategischen Nachrichtendienst tätig, erarbeitete das Konzept zur Einführung der nachrichtendienstlichen Aufklärung in UN-Friedenseinsätzen mit, war Leiter der Abteilung "Friedenspolitik und Doktrin" des UN-Departements für friedenserhaltende Operationen in New York (2009-11) und nahm an mehreren weiteren militärischen UN-Missionen teil. In dem Interview erinnert er daran, dass die UdSSR einst sechs Jahre wartete, ehe sie als Antwort auf die NATO-Gründung 1949 den Warschauer Vertrag bildete. Jahrzehntelang habe auch Russland nicht reagiert, als die NATO von der Elbe 1989/90 bis an die Grenzen Russlands vorrückte. In diesem Kontext führt er einen weiteren Faktor an, der "im Grunde genommen zum Krieg geführt" hat, nämlich die Nichterfüllung der beiden von der ukrainischen Regierung nach 2014 mit den Republiken Donezk und Lugansk unter Beteiligung der europäischen und russischen Garantiemächte vereinbarten Abkommen, die die Situation in der Ukraine befrieden sollten.

Die Vorbereitung des ukrainischen Überfalls auf die beiden Donez-Republiken habe zu über 100.000 nach Russland Geflüchteten geführt. "Dieses Vorgehen des ukrainischen Militärs hat im Grunde genommen alles ausgelöst." Zur Anerkennung der Unabhängigkeit der beiden Donez-Republiken und des von Russland mit ihnen geschlossenen Abkommens über Freundschaft und Zusammenarbeit hält er fest, dass Putin dadurch gemäß Kapitel 51 der UN-Charta im Sinne der kollektiven Verteidigung und der Selbstverteidigung das Recht erhielt, den beiden Republiken zu helfen. Damit schuf er die rechtliche Grundlage, mit militärischen Mitteln den beiden Republiken zu Hilfe zu kommen.

Zum Hintergrund der "Ukraine-Krise" erklärt der Experte, dass es den USA darum ging, den Druck auf Deutschland zu erhöhen, damit es North-Stream II aufgibt. Deshalb sollte die Ukraine Russland provozieren und, wenn Russland darauf reagiert, North-Stream II auf Eis gelegt werden. "Dabei darf man nicht vergessen, dass North-Stream II auf Anfrage der Deutschen gebaut worden ist. Es ist grundsätzlich ein deutsches Projekt. Denn Deutschland brauchte mehr Gas, um seine Energie- und Klimaziele zu erreichen".

Erwähnt wird auch, dass der Austritt der USA aus dem ABM-Vertrag (Vertrag zur Begrenzung von Systemen zur Abwehr von ballistischen Raketen), die Situation weiter zuspitzte. Es folgte die Stationierung eines Systems von Abschussrampen für sogenannte Defensivraketen rund um Russland, die, nur ein paar Minuten von Moskau entfernt, tatsächlich auch für den Abschuss von Nuklearraketen verwendet werden können.

Dazu, dass Putin am 27. Februar seine Nuklearkräfte in den Alarmzustand Stufe 1 versetzt hat, erklärt der Schweizer Experte: "Das ist aber nur die Hälfte der Geschichte." Es war eine Reaktion darauf, dass Selenskyj zuvor auf der Sicherheitskonferenz in München am 11./12. Februar erklärte, dass er für die Ukraine Nuklearwaffen beschaffen möchte. "Das wurde als eine potenzielle Bedrohung interpretiert. Im Kreml ging natürlich die rote Lampe an." Denn "wenn man direkt an der Grenze Nuklearwaffen hat, dann gibt es nur sehr wenig Vorwarnungszeit".

Zu Putins Forderung der "Entnazifizierung" verweist der Oberst auf die aktuelle Gefahr in der Ukraine und darauf, dass während des Zweiten Weltkriegs die deutsche Wehrmacht die von Stepan Bandera gegründete OUN, die ukrainische Aufstandsarmee, und andere Formationen gegen die UdSSR einsetzte. Die 2. Panzerdivision der SS, "Das Reich", die Charkow 1943 von "den Sowjets befreit hatte", werde heute noch in der Ukraine verehrt. Galizien hatte eine eigene 14. SS-Panzergrenadierdivision "Galizien", die ausschließlich aus Ukrainern bestand. Diese Gefahr sei "nicht einfach eine Erfindung" der Russen, es gebe "starke Verbände von Rechtsradikalen". Dazu gehöre zum Beispiel das bekannte Asow-Regiment. "Insgesamt sind diese rechtsextremen Gruppen (laut Reuters) ungefähr 100.000 Kämpfer stark."

Es waren diese Gruppierungen, die den demokratisch gewählten Präsidenten Janukowitsch stürzten, und die neue provisorische Regierung ging aus der nationalistischen extremen Rechten hervor, die "als erste Amtshandlung, das Gesetz über die offizielle Sprache in der Ukraine (Verbot der Russischen) geändert" hat. "Diese Gesetzesänderung löste in den russischsprachigen Gebieten einen Sturm aus. Man organisierte in allen Städten des Südens, in Odessa, in Mariupol, in Donezk, in Lugansk, auf der Krim etc. große Demonstrationen gegen das Sprachgesetz. Darauf reagierten die ukrainischen Behörden sehr massiv und brutal, und zwar mit der Armee. Kurzfristig wurden autonome Republiken ausgerufen, in Odessa, Charkow, Dnjepropetrowsk, Lugansk, Donezk und weitere. Diese wurden äußerst brutal bekämpft. Zwei sind geblieben, Donezk und Lugansk, die sich zu autonomen Republiken erklärt haben."

Zum Abschluss des Interviews warf der Experte der westlichen Propaganda vor, immer wieder Öl ins Feuer zu gießen, um von Putin "das Bild des Kriegstreibers und Unmenschen aufrecht zu erhalten", und äußerte seine tiefe Besorgnis, dass die Schweiz die Hysterie und die Manipulation sowie das unreflektierte Verhalten der westlichen Politiker mitmache. "Wenn ich sehe, wie unser neutrales Land nicht mehr in der Lage ist, eine von der EU und den USA unabhängige Position einzunehmen, dann schäme ich mich. Es braucht einen klaren Kopf und die Fakten, die hinter der ganzen Entwicklung stehen. Nur so kann die Schweiz eine vernünftige Friedenspolitik betreiben."


(*) Das vollständige Interview mit Jacques Baud ist zu finden unter:
https://zeitgeschehen-im-fokus.ch/de/newspaper-ausgabe/nr-4-vom-15-maerz-2022.html#article_1306

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Quelle:
© 2022 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 24. März 2022

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