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USA/377: UN-Kritik an US-Obdachlosenpolitik (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 3. September 2014

Menschenrechte: UN-Kritik an US-Obdachlosenpolitik

von Carey L. Biron


Bild: © Zafirah Mohamed Zein/IPS

Menschen, die vor dem Büro der 'Coalition for the Homeless volunteers' in New York für Lebensmittel Schlange stehen
Bild: © Zafirah Mohamed Zein/IPS

Washington, 3. September (IPS) - Eine Arbeitsgruppe der Vereinten Nationen zur Überprüfung der US-Fortschritte bei der Bekämpfung von Rassismus und Diskriminierung hat ungewohnt scharf auf neue US-Gesetze reagiert, die Obdachlose kriminalisieren.

Seit der Finanzkrise 2007/2008 ist die Zahl der Obdachlosen in den USA drastisch in die Höhe geschnellt, wobei Minderheiten überproportional betroffen sind. Vielerorts reagieren die Behörden auf die Not dieser Menschen mit der gewaltsamen Auflösung ihrer Schlafplätze und dem Verbot der Nahrungsaufnahme auf öffentlichen Plätzen.

Diesen Vorwurf erhebt das Expertenteam, das die Einhaltung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung (CERD) überwacht. Die hohe Zahl Obdachloser, die vor allem rassischen und ethnischen Minderheiten angehören, sei besorgniserregend, heißt es in dem am 29. August veröffentlichten Bericht des CERD-Revisionspanels. Auch sei man beunruhigt über "die Kriminalisierung der Obdachlosigkeit durch US-Gesetze, die Aktivitäten wie das Vagabundieren, Kampieren, Betteln und Übernachten im öffentlichen Raum verbieten".

Nicht nur, dass die US-Regierung in dem Expertenbericht dazu aufgefordert wird, alle Gesetze und Maßnahmen "abzuschaffen", die die Kriminalisierung der Obdachlosigkeit ermöglichen. Washington soll zudem dafür sorgen, dass die Behörden mit einem neuen strategischen Ansatz auf das Problem eingehen.

Das ist das zweite Mal in diesem Jahr, dass US-Gesetze, die Obdachlose diskriminieren, auf internationaler Ebene kritisiert wurden. Ähnliche Vorwürfe hatte der UN-Menschenrechtsausschuss erhoben, der die Wirkungen dieser Bestimmungen als "grausam, unmenschlich und degradierend" bezeichnete.


Unvorstellbare Härten

Wie Eric S. Tars, Minderheitenanwalt im Dienst des 'National Law Center on Poverty & Homelessness' mit Sitz in Washington, im Gespräch mit IPS erklärte, handelt es sich bei den Mitgliedern des CERD-Panels um Menschenrechtsexperten, die bereits viel Leid in der Welt gesehen haben. "Dass solche Verstöße auch in den USA begangen werden, war für sie unvorstellbar."

Das Komitee bekräftigte seine Besorgnis auch dadurch, dass es die US-Regierung zur Bereitstellung von Zusatzinformationen im Vorfeld der nächsten CERD-Revision des Landes im Jahr 2017 aufforderte. Weitere Themen, die in dem Report hervorgehoben wurden, sind die verbreitete Waffengewalt, die deutlich mehr Aufmerksamkeit seitens der US-Politik und der Medien erfahren.

Die formelle zweitägige Überprüfung der Fortschritte der USA bei der Umsetzung des auch als Rassismuskonvention bekannten CERD fand Mitte August in Anwesenheit von etwa 30 US-Vertretern und Dutzenden zivilgesellschaftlichen Akteuren statt. Beobachter bewerten die Bereitschaft Washingtons, mit dem internationalen Panel über das Thema zu sprechen und eine große Delegation zu schicken, als positives Zeichen.

Die Revision habe das Bild von einem Land, in dem Menschenrechtsprobleme eher die Ausnahme seien, in ein anderes Licht gerückt, meinte Ejim Dike vom 'U.S. Human Rights Network' im US-amerikanischen Atlanta, das maßgeblich zur CERD-Überprüfung beigetragen hatte, im Anschluss an die CERD-Revisionsgespräche. "Tatsächlich kommt es in unserem Land zu sehr vielen Menschenrechtsverletzungen, wie unsere rassistische Vergangenheit und leider auch rassistische Gegenwart vermuten lassen."

Die Schlagzeilen in den Zeitungen hätten Erinnerungen an die 1950er und 1960er Jahre wachgerufen, so die Menschenrechtsaktivistin. "Sie sorgen dafür, dass wir gar nicht anders können, als uns zu fragen, welche Fortschritte wir eigentlich gemacht haben."

Wie Dike betont, gibt es Aspekte der Rassendiskriminierung in den USA, die sich sogar verschlechtert haben. In der offiziellen Zusammenfassung der Gespräche zwischen den UN-Experten und den zivilgesellschaftlichen Akteuren im Rahmen der CERD-Überprüfung wird erwähnt, wie schockiert ein Ausschussmitglied auf die Erkenntnis reagierte, "dass nach jahrzehntelangen Bemühungen in den USA, eine rassische Durchmischung in den Schulen zu erreichen, die Rassentrennung viel schlimmer ist als in den 1970er Jahren".

Ebenso hat sich in den letzten Jahren gezeigt, dass sich die Diskriminierung schwarzer US-Bürger auch an einem extrem hohen Anteil an Obdachlosen zeigt - ein Trend, der sich seit der Finanzkrise, die in den USA ihren Anfang nahm, weiter verfestigt hat. 2010 beispielsweise war die Gefahr für Afro-Amerikaner, in Notunterkünfte umziehen zu müssen, um das Siebenfache größer als für weiße Amerikaner, wie das 'Institute for Children, Poverty and Homelessness', eine Forschungsorganisation in New York, herausfand. Ähnlich benachteiligt sind auch Hispanoamerikaner und Mitglieder anderer ethnischer Minderheitengruppen in den USA.

Dabei verbietet die Anti-Rassismuskonvention anders als US-Gesetze politische Maßnahmen, die sich - beabsichtigt oder unbeabsichtigt - diskriminierend auswirken. Entscheidend im CERD-Überprüfungszusammenhang war, wie US-Regierungsbeamte auf die neue Welle von Obdachlosen reagieren.

Obwohl die Finanzkrise in den letzten Jahren die Staatskasse schwer belastet und dazu geführt hat, dass mehr Menschen ihre Arbeit und Häuser verloren, wurden Maßnahmen ergriffen, um Obdachlose aus dem öffentlichen Leben zu vertreiben. So ist im Verlauf der letzten drei Jahre die Zahl der US-Städte, die das Schlafen in Pkws verboten haben, um 119 Prozent gestiegen, wie eine Untersuchung im Juli ergab. Die Zahl der Verbote, im öffentlichen Raum zu übernachten oder zu kampieren, nahm im gleichen Zeitraum um 60 Prozent zu.

"Diese Zahlen steigen, in einigen Fällen sogar gravierend", warnt Tars vom National Law Center. "Die einzigen Fälle, in denen die Zahl der Verbote zurückgegangen ist, betreffen Städte, die die Gesetze gegen Betteln und Übernachten in gewissen Zonen durch Verbote ersetzt haben, die sich über die gesamte Stadt erstrecken."

Inzwischen hat die finanzielle Rezession die Armut in den USA auch dort gesteigert, wo sie bisher nicht zu sehen war, wie in den Vorstädten oder ländlichen Gemeinden. Dort sind die sozialen Leistungen geringer. Zudem haben die wirtschaftlichen Probleme die lokalen Behörden zu weiteren Einsparungen veranlasst.

"In einem ersten Schritt kürzen die Kommunen und Regierungen die Mittel für die Unterkünfte und Organisationen der Obdachlosen mit der Begründung, man sei nicht zuständig. Und dann gehen manche sogar noch so weit, die Arbeit der Hilfsorganisationen zu erschweren, indem sie etwa Menschen die Aufnahme gespendeter Lebensmittel in der Öffentlichkeit untersagen", kritisiert Tars. "Und das, obwohl längst erwiesen ist, dass die Kriminalisierung oftmals teurer ist als die Bereitstellung von bezahlbarem Wohnraum."

Nichtsdestotrotz macht das US-Modell der Kriminalisierung von Obdachlosen auch in anderen krisengeschüttelten westlichen Ländern Schule. Darauf hat die australische Forscherin Lucy Adam im Juni in ihrem Bericht 'In the public eye - Addressing the negative impact of laws regulating public space on people experiencing homelessness' aufmerksam gemacht. (Ende/IPS/kb/2014)


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http://www.ipsnews.net/2014/09/criminalisation-of-homelessness-in-u-s-criticised-by-united-nations/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. September 2014