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USA/379: Waffen in Feindeshand - weltgrößter Rüstungsexporteur zerstört seine eigenen Militärgüter (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 23. Oktober 2014

USA: Waffen in Feindeshand - Weltgrößter Rüstungsexporteur zerstört seine eigenen Militärgüter

von Thalif Deen


Bild: © Loey Felipe/UN

Der UN-Sicherheitsrat hat einstimmig sechs Personen mit Sanktionen belegt, die mit den Terrorgruppen Islamischer Staat und Al-Nusra Front (ANF) in Verbindung gebracht werden
Bild: © Loey Felipe/UN

New York, 23. Oktober (IPS) - Als Mitglieder der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) im letzten Monat auf ein US-Waffenlager stießen, das irakische Soldaten bei ihrer Flucht zurückließen, soll ein Rebellenführer erklärt haben: "Wir hoffen, dass die Amerikaner ihre Abkommen einhalten und unsere Hubschrauber warten werden." Damit spielte er auf die US-Wartungs- und Instandhaltungsgarantien für US-Rüstungsempfängerländer an.

Während die US-Luftwaffe weiterhin Angriffe auf IS-Stellungen fliegt, richten sich einige der Luftschläge paradoxerweise gegen eigene Helikopter, Geländewagen, gepanzerte Mannschaftswagen und Flakartilleriegewehre. Diese Militärgüter waren ursprünglich an die irakischen Streitkräfte geliefert worden, die sie dem voranrückenden IS überlassen mussten.

Die Versorgung der Kurden in der umkämpften syrischen Grenzstadt Kobani mit Munition und Waffen hat den gesamten US-Militäreinsatz zur Farce werden lassen. So berichtete das 'Wall Street Journal', dass nicht alle aus 3.000 Meter Höhe abgeworfenen Waffenpakete die Kurden erreicht hätten. Mindestens eines der an Fallschirmen befestigten Bündel ging auf das vom IS kontrollierte Gebiet nieder.

Wie Natalie J. Goldring vom Programm für Sicherheitsstudien der Edmund-A.-Walsh-Schule für Auslandsdienst der Universität von Georgetown, berichtete, bescheinigen mehrere Berichte, dass US-Rüstungsgüter in die falschen Hände gelangt sind. "Das stellte das US-Militär vor die Wahl, entweder dem IS die Waffen zu überlassen oder aber diese nach dem Abwurf zu zerstören." Es hieß, dass sie sich für die Zerstörung entschieden haben.

Die Erklärung des US-Militärs zu dem Malheur sei alles andere als beruhigend, erklärte sie. So hatte Konteradmiral John Kirby, der Sprecher des Verteidigungsministers Chuck Hagel, gegenüber Journalisten erklärt: "Wir sind sehr zuversichtlich, dass die Mehrzahl der Bündel in die richtigen Hände gelangt sind. So wissen wir von nur einem Bündel, bei dem dies nicht so war."

Dazu meinte Goldring, die zudem das auf konventionelle Abrüstungsfragen spezialisierte 'Acronym Institute' mit Sitz in London bei den Vereinten Nationen vertritt, dass man von der weltgrößten Militärmacht erwarten dürfte und müsste, dass sie höhere Sicherheitsstandards anlegt.


Aus Problemen nicht gelernt

Wie Michael Ratner, emeritierter Präsident des 'Centre for Constitutional Rights', gegenüber IPS erklärte, ist der Einsatz von US-Waffen durch den IS kein neues Phänomen. Allerdings wäre zu hoffen gewesen, dass die USA aus den Pannen der Vergangenheit gelernt hätten.

"Hört endlich auf, Waffen an die Welt und insbesondere an Militärs oder Gruppen zu liefern, die sich letzten Endes gegen die USA erheben oder aber zu schwach sind, die Rüstungsgüter zu verteidigen", so Ratner, Vorstandsvorsitzender des 'European Centre for Constitutional and Human Rights' mit Sitz in Berlin.

Er erinnerte daran, dass schon der ehemalige US-Präsident Jimmy Carter und sein nationaler Sicherheitsberater die Mudschaheddin-Rebellen in Afghanistan für den Kampf gegen die damalige Sowjetunion hochgerüstet hätten. "Die Ideologie triumphiert über den gesunden Menschenverstand, was fatale Folgen wie den Anschlag vom 11. September und die Kriege, mit denen wir uns heute konfrontiert sehen, hat", warnte er.

Auf die Frage, ob nicht am Ende die Rüstungsindustrie den Sieg davontrage, antwortete Ratner: "Sicher spielt die Waffenindustrie eine wichtige Rolle, indem sie immer mehr Waffen verkauft. Doch auch die Ideologie und das Land USA sind ausschlaggebend, das schon Martin Luther King als 'den größten Lieferanten von Gewalt auf der Welt' bezeichnet hatte."

Nach Angaben der in Washington ansässigen 'Defence News' beinhalteten die Waffenlieferungen an den Irak im letzten Jahr 681 Stinger-Flugabwehrraketen, 40 mobile Abschussrampen, Sentinel-Radare, drei Hawk-Lufabwehrsysteme mit 216 Hawk-Raketen, 50 Stryker-Infanterieträgerfahrzeuge und zwölf Hubschrauber. Die Kosten für die Instandsetzung der gelieferten Rüstungsgüter und logistische Hilfe für tausende in den USA fabrizierte Militärfahrzeuge liegen bei dreistelligen Millionenbeträgen.

Washington hat zudem Vereinbarungen über den Verkauf von Hellfire-Raketen, M1A1-Abrams-Kampfpanzern, Maschinengewehren, Heckenschützengewehren, Granaten und Munition im Wert von mehreren Milliarden Dollar getroffen.

Wie viele dieser Militärgüter am Ende in die Hände des IS gelangen werden, bleibt abzuwarten. Goldring erklärte gegenüber IPS, dass sich die US-Regierung offensichtlich schwer damit tue, die Lehren aus ihren Handlungen in Nahost zu ziehen.

Die USA hätten schon mit dem Einmarsch im Irak 2003 einen schweren Fehler begangen und die Lage weiter verschlimmert, indem sie fälschlicherweise davon ausgegangen seien, dass das irakische Militär stark genug sei, das eigene Land zu verteidigen. Stattdessen würden die zurückweichenden irakischen Streitkräfte den vorrückenden IS-Kämpfern die US-Waffen überlassen.


Die langfristigen Risiken berücksichtigen

Viel zu oft, so Goldring, würden die US-Regierungen für kurzfristige politische oder militärische Ziele Waffen aus der Hand geben. Es sei höchste Zeit für eine politische Neuausrichtung, die die eventuellen langfristigen Risiken berücksichtige. "Außerdem kommt den USA als dem bei weitem größten Waffenexporteur der Welt die besondere Verantwortung zu, auf solche Lieferungen zu verzichten, wenn die Gefahr besteht, dass sie für Menschenrechtsverletzungen und Verstöße gegen internationales humanitäres Recht missbraucht werden."

Wie sie betonte, erhöhen exzessive Rüstungslieferungen die Gefahr von Bumerangeffekten, was dann dazu führen könne, dass US-Waffen gegen US-Militärangehörige eingesetzt würden.

Theoretisch profitieren Militärfirmen, wenn Waffen in die falschen Hände gelangen, weil sie dann häufig damit beauftragt werden, die Verluste durch neue Kriegsgerätschaften zu ersetzen. Doch ist dies Goldring zufolge viel zu kurz gedacht. Denn langfristig könnte sich der Einsatz von US-Waffen gegen US-Militärangehörige zu einem PR-Desaster für die Waffenindustrie entwickeln.

Ratner wies darauf hin, dass die USA auch in Libyen diejenigen Kräfte aufgerüstet habe, die später die US-Botschaft in Bengasi angegriffen hätten. Außerdem sei der Einmarsch im Irak ein Kriegsverbrechen gewesen, das unzähligen Menschen das Leben gekostet und die gesamte Region destabilisiert habe.

"An den Irak Waffen zu liefern war für die US-amerikanischen Firmen ebenso leicht, wie Kindern Bonbons zu verkaufen". Außerdem wurden einem Land Waffen im Wert von Milliarden Dollar überlassen, das infolge der US-Aktivitäten durch und durch instabil geworden sei.

Nach Ansicht von Ratner haben sich die USA nur vorgemacht, eine Armee auszubilden. Doch in Wirklichkeit hätten sie der Kleptokratie im Lande Vorschub geleistet. "Kein Land bei Verstand hätte die irakische Armee mit solchen Waffen hochgerüstet. Und das, was zu erwarten war, ist eingetreten."


Waffen im Irak leicht zugänglich

Die US-Rückendeckung für einen "sektiererischen Präsidenten" habe die Gewalt noch weiter potenziert und ein Überangebot leicht zugänglicher Waffen geschaffen, sagte Ratner. "Deshalb sind der IS und wahrscheinlich auch andere Splittergruppen und Organisationen bestens mit US-Waffen ausgestattet."

Was die Bewaffnung der Kurden angeht, stellen sich für Ratner zwei Fragen: Was werden sie bewirken und kann es passieren, dass sie sich irgendwann einmal gegen die Türkei wenden? "Solange die USA nicht verstehen, dass Kriege nicht zur Lösung von Problemen beitragen und dass die weitere Aufrüstung der Welt sie in immer neue Kriege involvieren, die Millionen Unschuldiger das Leben kosten, wird sich die Welt immer weiter destabilisieren." (Ende/IPS/kb/2014)


Link:

http://www.ipsnews.net/2014/10/u-s-destroys-its-own-weapons-in-enemy-hands/

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IPS-Tagesdienst vom 23. Oktober 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Oktober 2014