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MEDIEN/101: E-Learning leicht gemacht (Uni-Journal Jena)


Uni-Journal Jena - Nr. 02 - Wintersemester 2008/09

E-Learning leicht gemacht

Prof. Steyer plädiert für mehr Vorlesungen im Internet


Seit nunmehr sechs Jahren werden meine Vorlesungen und die meines Lehrstuhls für Psychologische Methodenlehre und Evaluationsforschung meist im Multimedia-Hörsaal am Ernst-Abbe-Platz gehalten. Und das ist kein Zufall, denn dort können sie simultan im Internet gesendet und als Video aufgenommen werden, um dann wiederum im Internet als Video-on-demand jederzeit allen Studierenden und anderen Interessenten zur Verfügung zu stehen. Das anfängliche "Na, probieren wir's mal" ist längst dem "Ohne diese Technik mache ich's nicht mehr" gewichen. Warum?


Highlight: elektronische Tafel

Eines der Highlights des Multimedia-Hörsaals ist eine elektronische Tafel. Auf ihr kann man in verschiedenen Farben schreiben, malen und wieder weglöschen, ganz so wie auf jeder normalen Tafel, nur ohne den Kreidestaub. Ein immenser Vorteil ist aber, dass die Tafelbilder nicht gelöscht werden, sondern während der ganzen Vorlesung mit einer einzigen Berührung wieder aufgerufen werden können und, wenn man will, auch in jeder weiteren Vorlesung zur Verfügung stehen, selbst Wochen und Monate später. Natürlich stehen diese Tafelbilder auch den Studierenden im Internet zur Verfügung, genauso wie das Video der Vorlesung, die Folien, die ich mit meinem Notebook präsentiere und andere Materialien, z. B. Artikel und Daten.

Apropos Video: Das Ansehen am PC ist keineswegs mit dem Abspielen eines normalen Videobandes vergleichbar. "Vor- und Rückspulen" zu jeder Stelle ist in Sekundenschnelle erledigt, das Video kann ohne Probleme an jeder Stelle gestartet und gestoppt werden, jeder Lernende kann nach seinem eigenen Tempo lernen, alleine oder in Gruppen, über die Inhalte nachdenken, etwas nachschlagen, mit der Lerngruppe diskutieren und weiter geht's.

Verschlafen, krank, keine Betreuung für das Baby? Dank der vorhandenen Technik - und ihrer Nutzung - ist das alles kein Problem! Die Vorlesung kann man sich auch von zu Hause aus ansehen. Selbst Fragen können per E-Mail gestellt werden - was allerdings selten genutzt wird. Und wenn es mal absolut nicht passt, dann sieht man sich die Vorlesung eben am nächsten Tag an. Normalerweise machen von dieser Möglichkeit ca. 10 % der Teilnehmer Gebrauch. Ein einziges Mal ist es mir in den sechs Jahren passiert, dass ca. 50 Prozent eines Jahrgangs es vorgezogen haben, die Vorlesung zu Hause zu verfolgen oder erst im Nachhinein als Video anzusehen.

Selbst bei diesem Jahrgang haben sich meine Befürchtungen, dass sich dies negativ in den Leistungen widerspiegeln wird, nicht bestätigt. Die Präsenz der Studierenden in den Vorlesungen ist eher höher als in Vorlesungen, wie ich sie früher gehalten habe.

Eine ganze Reihe weiterer Probleme wird durch die Vorlesungen im Internet gelöst. Verbringt ein Studierender ein Semester im Ausland, ist er länger krank, macht er ein Semester Baby-Pause, überschneiden sich mal Vorlesungen, habe ich ein Forschungsfreisemester: All dies ist kein großes Problem mehr. Die Vorlesung kann leicht nachgeholt, zu Hause und sogar im Ausland verfolgt werden.


Aufwand hat sich nicht erhöht

Nicht ganz unwichtig: Mein Aufwand, eine Vorlesung vorzubereiten und zu halten, hat sich dadurch in keiner Weise erhöht. In der Regel brauche ich ca. drei Minuten, um mein Notebook startklar zu machen, das Mikro umzuhängen und los geht's. Den Rest im Hintergrund erledigt ein Mitarbeiter des Multimedia-Zentrums.

Was sind die Nachteile? Eigentlich sehe ich nur die Kosten. Derzeit braucht man einen Hörsaal, der entsprechend eingerichtet ist. Die Friedrich-Schiller-Universität ist eine der ersten Hochschulen gewesen, die solch einen Hörsaal allen Interessierten zur Verfügung stellt. Darüber hinaus wird ein Mitarbeiter des Multimedia-Zentrums für jede Vorlesung benötigt. Selbst dies könnte in Zukunft ökonomischer gestaltet werden. Hier müsste allerdings etwas investiert werden, etwa in ein neues Hörsaalzentrum, das entsprechend multimedial geplant und eingerichtet wird. Die Mitarbeiter des Multimedia-Zentrums um Dr. Olaf Götz würden hier ohne Zweifel viel zu einer sinnvollen Planung beitragen.


Technische Revolution nutzen

Mein Fazit: Vorlesungen ohne diese Technik und der Zwang, zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort sein zu müssen, sind absolut anachronistisch. Das gilt auch für andere wichtige Veranstaltungen innerhalb und außerhalb der Universität, für Weiterbildungen der Universität und anderer Bildungseinrichtungen. Die Weiterbildung kann dann stattfinden, wenn einem die Zeit dafür zur Verfügung steht und muss nicht dann geschehen, wenn sie gerade angeboten wird. Die Möglichkeiten, von denen ich hier berichtet habe, sind eine technische Revolution, die mit der Erfindung des Buchdrucks vergleichbar ist. Meines Erachtens wird mit jeder nicht aufgenommenen Lehrveranstaltung der Reichtum, den eine Universität besitzt, das Wissen ihrer Lehrenden, nicht genutzt. Für mich ist nicht mehr nachvollziehbar, dass wir die sich bietenden Möglichkeiten nicht in viel breiterem Umfang nutzen, ausbauen und weiterentwickeln.

Genau dies, Wissen zu vermitteln und dafür zu sorgen, dass es jederzeit erworben werden kann, ist doch die wichtigste Aufgabe einer Bildungseinrichtung wie der Universität. Wir haben die Möglichkeit, an der Spitze dieser Entwicklung zu stehen. Nutzen wir sie endlich!


Prof. Dr. Rolf Steyer ist Lehrstuhlinhaber für Methodenlehre und Evaluationsforschung am Institut für Psychologie und war von 2002-04 Prorektor für Studium und Lehre. Er nutzt die Möglichkeiten des E-Learnings seit über sechs Jahren, wovon man sich u.a. überzeugen kann unter:
http://www.meth-eval.uni-jena.de/lehrer_material.php


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Quelle:
Uni-Journal Jena Nr. 02, Wintersemester 2008/09, S. 27
Herausgeber: Rektor der Friedrich-Schiller-Universität Jena
Redaktion: Fürstengraben 1, 07743 Jena
Tel.: 03641/9-31040, Fax: 03641/9-31032
E-Mail: presse@uni-jena.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. April 2009