Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → BILDUNG

REDE/066: Ministerin Schavan zum Haushaltsgesetz 2012, 24.11.2011 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
"REGIERUNGonline" - Wissen aus erster Hand

Rede der Bundesministerin für Bildung und Forschung, Dr. Annette Schavan, zum Haushaltsgesetz 2012 vor dem Deutschen Bundestag am 24. November 2011 in Berlin:


Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Irgendwie scheint Sie das mit der Bildungsrepublik ziemlich aufzuregen.

Ich finde, es ist eine der vornehmsten Aufgaben unserer Gesellschaft, dieses Hauses und all derer, die politische Verantwortung tragen, jeden Tag ein bisschen mehr im Hinblick darauf zu lernen, dass es nicht mehr um uns geht, sondern um künftige Generationen, dass wir in - das wünschte ich mir - allen Haushalten Sorge dafür tragen, dass die Zukunftschancen der jungen Generation Priorität haben.

Es stimmt ja, was Frau Deligöz gesagt hat. Wir reden nicht nur über Zahlen - bei den Zahlen sorgen wir einfach dafür, dass die Kasse stimmt -, wir reden auch nicht nur von Institutionen, sondern wir sprechen über Grundeinstellungen von jungen Leuten, über gesellschaftliches Klima, über das, was das kulturelle Klima in unserer Gesellschaft hergibt.

Hierzu gibt es in dieser Woche zwei interessante Meldungen.

Die eine, heute schon mehrfach zitiert, lautet: 515.000 junge Leute beginnen mit einem Studium. Da gibt es manchen überfüllten Hörsaal. Es mag auch sein, dass es Mensen mit Plastiktellern gibt, die gab es übrigens früher auch schon. Das ist keine richtige Katastrophe. Das alles ist wahr, aber dennoch: Ich finde es super, dass so viele junge Menschen sagen: Ja, ich will gerade jetzt studieren. Ich möchte an dieser Stelle den Hochschulen dafür danken, dass sie in den letzten Wochen und Monaten enorm viel getan haben, um vielen jungen Leuten die Türen ihrer Hochschulen zu öffnen. Herzlichen Dank an unsere Hochschulen und Universitäten.

Der Hochschulpakt - der übrigens über alle Parteigrenzen hinweggeht, weil alle Parteien in den Ländern mit dabei waren, sogar Ihre Partei, deshalb würde ich mich darüber gar nicht aufregen - ist genau das richtige Instrument. Wir gehen nämlich nicht von einer Zahl x aus und sagen, dass diese unverrückbar ist. Das können Sie schon daran sehen, dass für die erste Phase des Hochschulpaktes zwischen Bund und Ländern, übrigens auf Grundlage der Prognose der Länder, geplant war, 90.000 Studienplätze zu finanzieren, wir in Wirklichkeit am Ende sogar 180.000 Studienplätze finanziert haben. Es ist das richtige Instrument, es ist ein atmendes System. Deshalb gilt: Wenn es sich so fortsetzt, wie wir es jetzt erleben - wir alle finden das aus vielen Gründen richtig und gut -, dann wird sich der Hochschulpakt auch in den nächsten Jahren bewähren. Es gibt im Moment in Europa nicht ein einziges Land, in dem die Möglichkeit besteht, zusätzlich in Bildung und Forschung zu investieren. Das ist ein Alleinstellungsmerkmal Deutschlands; das gehört zu den Alleinstellungsmerkmalen dieser Regierung.

Als zweite Nachricht möchte ich den Deutschen Lernatlas, den die Bertelsmann-Stiftung vorgelegt hat, erwähnen. Ich finde, das ist eine der interessantesten Analysen über die Bildungsrepublik Deutschland seit langem, weil darin nicht einfach ein Vergleich der Länder angestellt und dort nicht einfach festgestellt wird, dass es im Süden besser ist als im Norden, sondern weil jeder Kreis in Deutschland eine Rolle spielt. Ich bin fest davon überzeugt: Vieles von dem, was darin enthalten ist, ist eine wunderbare Fundgrube bei der Konzeptionierung der Bildungspolitik. Denn natürlich gilt der Satz: Nicht Institutionen machen uns zu dem, was und wer wir sind. Bildungsprozesse sind anspruchsvoller; sie haben etwas mit Kultur zu tun.

Ein herausragendes Beispiel im Lernatlas der Bertelsmann-Stiftung ist die Stadt Jena, die sich in den letzten Jahren zu einer regelrechten Bildungsstadt entwickelt hat, in der Chancen genutzt wurden. - Jawohl, das ist derjenige Kollege, der 16 Jahre lang Oberbürgermeister dieser Stadt war. Insofern ist es mir eine besondere Freude, hier aus dem Lernatlas zu zitieren.

Wer sich die Beschreibung dieser Stadt ansieht und liest, welche Weichenstellungen in den letzten 20 Jahren getroffen wurden, der stellt fest: Natürlich sind wir in den letzten Jahren in der Bildungsrepublik Deutschland enorm vorangekommen. Natürlich hat sich viel getan. Natürlich ist Kommunalpolitik mehr denn je davon geprägt, etwas für die Bildungschancen zu tun. Deshalb lassen wir uns überhaupt nicht davon abbringen; die Bildungsrepublik Deutschland muss peu à peu entwickelt werden. Dies gilt umso mehr, als die demografische Entwicklung in Deutschland - wir werden weniger, wir werden älter, wir werden bunter - das Bildungssystem in seiner ganzen Bandbreite in besonderer Weise herausfordern wird.

Ich möchte aber auch ein Wort zu den Forschungsorganisationen sagen. Herr Hagemann, zu dem, was Sie gesagt haben und was schon vielfach besprochen worden ist, treffe ich diese einfache Aussage: Sie müssen sich entscheiden, ob Sie Wissenschaftsfreiheitsinitiative und -gesetz wollen oder nicht. Sie müssen sagen, ob Sie bereit sind, den Beschlüssen, die Sie selbst gefasst haben, zu folgen. Sie wissen, dass wir Beschlüsse zur Wissenschaftsfreiheitsinitiative gefasst haben, dass alles, was die Helmholtz-Gemeinschaft tut, mit Ihnen abgesprochen ist und dass es zum Herzstück der Initiative für eine größere Selbstständigkeit der Forschungsorganisationen gehört, dass sie bis zu 20 Prozent ihrer Finanzmittel überjährig einsetzen können. Wir wollten das, weil wir davon überzeugt waren, dass das Geld so zielsicherer in die Finanzierung von Forschungsaufgaben fließen wird.

Insofern sage ich Ihnen: Ich stehe zur Selbstständigkeit unserer Forschungsorganisationen und zur Wissenschaftsfreiheitsinitiative, die längst beschlossen ist; ich stehe auch dazu, das in Gesetzesform zu gießen. Aber Sie stehen nicht dazu; Sie reden, wenn die Vertreter der Wissenschaft anwesend sind, anders, als Sie in der Öffentlichkeit reden.

Nein, Herr Hagemann, das ist kein Quatsch. Sie haben in den letzten Wochen deutlich gemacht, dass Sozialdemokraten eben nicht Autonomie wollen; Sozialdemokraten wollen in alles irgendwie hineinreden und hineinregieren. Insofern sind Sie, was den Umgang mit modernen Forschungsorganisationen angeht, völlig ungeeignet.

Angesichts dessen, was hier gesagt worden ist, sage ich ausdrücklich: Für alle Forschungsorganisationen gilt, dass sie international ein großes Ansehen haben und dass wir um ihre Arbeit beneidet werden. Das gilt für die Max-Planck-Gesellschaft, die Fraunhofer-Gesellschaft, die Deutsche Forschungsgemeinschaft und die Leibniz-Gemeinschaft. Das gilt auch für die Helmholtz-Gemeinschaft, mit der wir gerade ganz entscheidende Schritte auf dem Wege der strukturellen Weiterentwicklung unseres Wissenschaftssystems gehen. Denken Sie an das KIT; keiner von Ihnen ist doch im Ernst dagegen. Denken Sie an JARA in Aachen, und denken Sie an das, was wir jetzt in Berlin angekündigt haben. Deshalb sage ich: Entscheiden Sie sich, ob Sie mit uns diese Politik für Autonomie wollen. Das, was im Gesetz stehen würde, muss jetzt schon praktiziert werden. Sie aber reden unentwegt dagegen. Das ist das Problem. Herr Hagemann, diese Diskussion haben wir zigfach geführt. Sie müssen sich entscheiden. Genau das ist das Thema und sonst gar nichts.

Herr Leutert, was Sie mit Ihrer Rede betrieben haben, habe ich in diesem Haus noch nicht erlebt. Ich sage ausdrücklich: Es ist absurd, im Deutschen Bundestag Bildung gegen Forschung ausspielen zu wollen und hier zu erklären, dass zu viel Geld in die Forschung gehe und dass wir dieses Geld besser nicht mehr in die Forschung investieren sollten. Bildung und Forschung sind zwei Seiten einer Medaille. Deshalb müssen wir uns um das eine genauso kümmern wie um das andere. Wir müssen daher unseren Beitrag im Bereich der beruflichen Bildung und der Weiterbildung leisten und gleichzeitig dafür sorgen, dass Deutschland einer der attraktivsten Forschungsstandorte der Welt ist. Das muss unser ehrgeiziges Ziel sein.

Bei den Meilensteinen, die auch in diesem Haushalt deutlich werden, geht es nicht nur um eine halbe Million Studienanfänger mehr in diesem Wintersemester. In diesem Zusammenhang nenne ich auch noch folgende Punkte: In den Jahren 2008 bis 2010 sind die Ausgaben für BAföG um 25 Prozent gestiegen, und in diesem Jahr gibt es 40.000 Ausbildungsplätze mehr als im Jahr 2010. Weiterhin war ein deutlicher Rückgang der Zahl der Schulabbrecher zu verzeichnen. Es gab ein Anerkennungsgesetz, für dessen Umsetzung wir übrigens 100 Millionen Euro einsetzen. Damit stellen wir Beratung und die Einrichtung entsprechender Kompetenzzentren sicher.

Deutschland liegt, was den Innovationsindikator angeht, auf Platz vier. Die Zukunftschancen der jungen Generation sind so positiv wie selten zuvor. Deshalb sage ich Ihnen: Wenn Sie in den sieben Jahren der rot-grünen Bundesregierung solche Entwicklungen zu verzeichnen gehabt hätten, hätten Sie alle Glocken in diesem Land läuten lassen. Über 99 Prozent der Mittel werden ausgegeben. Auch das hat es früher nie gegeben. Das Haus und alle Projektträger haben in den letzten Jahren große Anstrengungen unternommen, um immer besser zu werden und dieses großartige Ziel zu erreichen.

Herr Kaczmarek, Sie haben recht: Der Grundbildungspakt muss kommen. Aber fragen Sie doch einmal in den von Ihnen regierten Ländern nach, wann diese bereit sind, endlich die Unterschrift unter den fertigen Pakt zu setzen. Auch hier gilt: Der Grundbildungspakt ist vorbereitet. Er liegt den Ländern vor, sie müssen nur unterschreiben. Dann werden wir ihn gemeinsam in Kraft setzen können. Dann werden wir an dieser wichtigen Stelle das tun, was wir bei der Präsentation der Studie vereinbart haben.

Lassen Sie mich abschließend den Berichterstattern, auch denen, mit denen wir streiten, herzlich danken. Ich danke den Mitgliedern des Haushaltsausschusses und auch den vielen, die dazu beitragen, dass die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen Bildung und Forschung in solcher Weise vorrangig behandeln können. Ich bin davon überzeugt, dass wir daran gemessen werden, ob wir die Zukunftschancen der jungen Generation ganz oben ansiedeln.


*


Quelle:
Bulletin Nr. 125-4 vom 24.11.2011
Rede der Bundesministerin für Bildung und Forschung, Dr. Annette Schavan,
zum Haushaltsgesetz 2012 vor dem Deutschen Bundestag am 24. November 2011 in Berlin
Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
Dorotheenstr. 84, 10117 Berlin
Telefon: 030 18 272-0, Fax: 030 18 10 272-0
E-Mail: internetpost@bpa.bund.de
Internet: www.bundesregierung.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 26. November 2011