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SCHULE/644: Familien mit Migrationshintergrund - Eltern als Experten gewinnen (DJI Impulse)


DJI Impulse
Das Bulletin des Deutschen Jugendinstituts 1/2011 - Nr. 92/93

Eltern als Experten gewinnen
Von Sprachkursen bis hin zur ehrenamtlichen Mitarbeit:
Wie Schulen und Familien mit Migrationshintergrund enger zusammenarbeiten können

Von Katrin M. Otremba


Die Bildungschancen innerhalb des deutschen Schulsystems sind ungleich verteilt. Dies belegen erneut die Daten des Bildungsberichts 2010. Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund sind in besonderer Weise benachteiligt. So besuchen Schülerinnen und Schüler mit mindestens einem im Ausland geborenen Elternteil im Vergleich zu deutschen Kindern und Jugendlichen beispielsweise doppelt so häufig die Hauptschule (BMBF 2010).

Die Diskussion um die Bildungsbenachteiligung im Migrationskontext, die bereits 2001 mit der PISA-Studie angeregt wurde, führte zu der Forderung, unterschiedlichste Schulbereiche zu reformieren. Die intensivere Zusammenarbeit zwischen Bildungsinstitutionen und Elternhaus wird in der Öffentlichkeit dagegen weniger wahrgenommen (BAMF 2009).


Sprachförderung zu Hause

Die Notwendigkeit der Intensivierung wird gerechtfertigt durch die in Leistungsstudien nachgewiesene Koppelung des schulischen Erfolgs und des familiären Hintergrunds (Fürstenau/Gomolla 2009). Im Diskurs wird die Bildungsbenachteiligung der Schülerinnen und Schüler mit Zuwanderungsgeschichte auf unterschiedliche Faktoren zurückgeführt, die empirisch nicht als vollkommen abgesichert gelten. Humankapitaltheoretische Erklärungsansätze machen die niedrigen Bildungsabschlüsse der Eltern und das schlechte Einkommen von Familien verantwortlich. Außerdem verweisen sie auf die Bedeutung von guten Deutschkenntnissen sowie auf das oft fehlende Wissen über das deutsche Bildungssystem (Ramsauer 2010). Andere Ansätze sehen als weitere Ursache für die Bildungsbenachteiligung die monokulturelle Schulstruktur, die es Migranteneltern zusätzlich erschwere, sich das benötigte Wissen über das deutsche Schulsystem anzueignen (Mecheril 2004).

In der schulpädagogischen Praxis entstand eine Vielzahl an Programmen und Projekten, die in ihrer Konzeption die spezifische Bildungssituation von Migrantenfamilien berücksichtigen. Mit dieser interkulturellen Elternarbeit versuchen Bildungsinstitutionen, die Zusammenarbeit von Schule und Eltern zu stärken und der Bildungsbenachteiligung zu begegnen. Dabei konzentrieren sich die Konzepte in den meisten Fällen auf die Informationsvermittlung (BAMF 2009). Auf diese Weise wird die Elternschaft mit Migrationshintergrund vorwiegend als Informationsempfänger betrachtet. Das birgt die Gefahr, dass vorhandene familiäre Ressourcen nicht wahrgenommen werden (Fürstenau/Gomolla 2009). Dabei ist zu vermuten, dass gerade von der Anerkennung und aktiven Einbindung familiärer Ressourcen eine positive Signalwirkung ausgeht, die die Zusammenarbeit von Schule und Eltern nachhaltig beeinflussen kann. Im Migrationskontext bietet sich beispielsweise im Rahmen der Erstsprachförderung die Möglichkeit, Eltern als Experten in die Förderung ihrer Kinder und damit aktiv in den Schulalltag einzubinden.

Wie sich ein solches Vorgehen gestalten kann, verdeutlicht das Projekt »Rucksack in der Grundschule - koordinierte Sprachförderung und Elternbildung«. Es wurde in den Niederlanden entwickelt und von der »Regionalen Arbeitsstelle zur Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund« auf den deutschen Kontext übertragen. Neben der Elternbildung ist das Hauptziel des Projekts, Migranteneltern in die Sprachförderung zu integrieren. Als Expertinnen für das Erlernen der Herkunftssprache übernehmen Schülermütter die Sprachförderung zu Hause. Einmal wöchentlich werden sie in Gruppen mit dem Lernstoff in ihrer Herkunftssprache vertraut gemacht. Gruppenleiterinnen sind für die Aufgabe ausgebildete zweisprachige Mütter, die selbst ein Kind an der jeweiligen Bildungseinrichtung haben (Robbe 2009).

Im Rahmen eines Forschungsstipendiums am Deutschen Jugendinstitut wurden Strategien analysiert, mit denen Münchner Grundschulen die Zusammenarbeit von Schule und Elternhaus im Migrationskontext zu verbessern suchen. Dafür wurden 15 Schulleitungen von Primarstufen in unterschiedlichen Stadtteilen nach Konzepten der Elternarbeit befragt. Aus Vergleichsgründen wurden sowohl Bildungseinrichtungen mit hohem als auch mit niedrigem Anteil an Kindern mit Migrationshintergrund berücksichtigt.


Positive Signale

Es zeichnet sich ab, dass vornehmlich in Schulen mit hohem Anteil an Kindern mit Migrationshintergrund Maßnahmen interkultureller Elternarbeit etabliert sind. Für ihre Realisierung kommt der Zusammenarbeit mit außerschulischen sozialen Trägern besondere Bedeutung zu. Einige Schulleitungen berichten von Anschreiben in der Herkunftssprache, dem Einsatz von Übersetzern bei Elterngesprächen sowie von der Berücksichtigung spezifischer Aspekte bei der Kontaktaufnahme beziehungsweise Gesprächsführung mit Migranteneltern. Darüber hinaus verweisen einige Schulleitungen auf die mehrsprachige Gestaltung von Elternabenden und Informationsveranstaltungen. Der möglichen Distanz zwischen Elternhaus und Schule soll an einigen der Primarstufen mit niedrigschwelligen Bildungs- und Informationsangeboten begegnet werden. Dazu zählen Deutschkurse für Mütter, die Begleitung durch andere Schülereltern, Elterncafés sowie -foren.

Eine Besonderheit stellt ein muslimisches Elternforum dar. Teilnehmenden Eltern werden deutsche Bildungsstandards in Analogie zum muslimischen Glauben vermittelt, was den Eltern besondere Anschlussmöglichkeit bietet. Mit dem Angebot signalisiert die betreffende Grundschule, dass sie den Glauben der Familien anerkennt und diesen über den muslimischen Religionsunterricht hinaus in die Konzeption des Schulalltags integriert. Besonders vor dem Hintergrund der überwiegend negativ konnotierten Darstellung des muslimischen Glaubens innerhalb des gesellschaftlichen Diskurses scheint dies von hoher Relevanz.

Charakteristisch für die genannten Maßnahmen sind eine begrenzte Anzahl an teilnehmenden Eltern, die Einbeziehung von Ansprechpartnern mit Migrationshintergrund sowie die frei gestaltbare Themenwahl im Rahmen einiger Veranstaltungen. Es ist davon auszugehen, dass durch die selbstbestimmte Themenwahl Eltern mit Migrationshintergrund erfahren, dass ihre Interessen und Bedürfnisse von den Bildungsinstitutionen ernstgenommen werden. Diese Einbindung ermöglicht ein Gespräch auf Augenhöhe. Wenn migrationsbezogene Alltagsthematiken angesprochen werden, findet die unter Umständen spezifische Lebenssituation einiger Familien im Schulkontext Berücksichtigung.


Mehrsprachige Lesepaten

Insgesamt zielen die Maßnahmen interkultureller Elternarbeit an den Schulen vorwiegend auf die Informationsvermittlung. Elterliche Erziehungskompetenzen werden im Rahmen unterschiedlicher Angebote jedoch ebenfalls einbezogen. Eine zusätzliche Möglichkeit, Familienressourcen in den Schulalltag zu integrieren, bietet die Sprachenförderung. So wird den Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund in der Mehrheit der 15 untersuchten Grundschulen - dies gilt auch für Schulen mit einem niedrigen Anteil an Kindern mit Migrationshintergrund - durch ehrenamtliche Mitarbeiter eine zusätzliche Förderung in der deutschen Sprache ermöglicht.

Einige der befragten Schulleitungen berichten ferner von schuleigenen Bibliotheken in ehrenamtlicher Betreuung. In einem Fall verfügt eine Schulbibliothek über Material in deutscher und türkischer Sprache. Nach Aussage der Schulleitung fehlt jedoch geeignetes Personal, um das Material mit den türkischsprachigen Kindern bearbeiten zu können. Den Ausführungen schließt sich deshalb die Frage an, ob sich das Konzept des Ehrenamtes nicht auch auf die Elternschaft mit Migrationshintergrund übertragen ließe. Eltern mit Zuwanderungsgeschichte könnten zum Beispiel als Lesepaten die Förderung in der Herkunftssprache übernehmen und auf diese Weise zur interkulturellen Profilierung der Schulen beitragen. Die Anerkennung und Stärkung der Familienressourcen könnte dabei die Zusammenarbeit von Schule und Elternhaus nachhaltig beeinflussen.


DIE AUTORIN

Katrin M. Otremba war von August bis Dezember 2010 als wissenschaftliche Referentin im Projekt »Interkulturelle Öffnung in der Jugendverbandsarbeit - Stand, Möglichkeiten und Hindernisse der Realisierung« tätig. Zuvor analysierte sie als Gastwissenschaftlerin am Deutschen Jugendinstitut (DJI) unter anderem Aspekte interkultureller Elternarbeit an Münchner Primarstufen.
Kontakt: katrin.otremba@gmail.com


LITERATUR

BUNDESMINISTERIUM FÜR BILDUNG UND FORSCHUNG (BMBF) (2010): Bildung in Deutschland 2010. Ein indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zu Perspektiven des Bildungswesens im demografischen Wandel. Bielefeld

BUNDESAMT FÜR MIGRATION UND FLÜCHTLINGE (BAMF) (2009): Förderung des Bildungserfolgs von Migranten: Effekte familienorientierter Projekte. Nürnberg

FÜRSTENAU, SARA / GOMOLLA, MECHTILD (2009): Migration und schulischer Wandel: Elternbeteiligung. Wiesbaden

MECHERIL, PAUL (2004): Einführung in die Migrationspädagogik. Weinheim/Basel

RAMSAUER, KATHRIN (2011): Bildungserfolge von Migrantenkindern. Expertise. Herausgegeben vom Deutschen Jugendinstitut (DJI). München

ROBBE, IMKE (2009): Interkulturelle Elternarbeit in der Grundschule. Die Zusammenarbeit von Schule und Eltern mit Migrationshintergrund unter besonderer Berücksichtigung der Sprachförderung. Oldenburg


DJI Impulse 1/2011 - Das komplette Heft finden Sie im Internet unter:
www.dji.de/impulse


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Quelle:
DJI Impulse - Das Bulletin des Deutschen Jugendinstituts 1/2011 - Nr. 92/93, S. 38-39
Herausgeber: Deutsches Jugendinstitut e.V.
Nockherstraße 2, 81541 München
Telefon: 089/623 06-0, Fax: 089/623 06-265
E-Mail: info@dji.de
Internet: www.dji.de

DJI Impulse erscheint viermal im Jahr.
Die Hefte können kostenlos unter www.dji.de/impulsebestellung.htm
abonniert oder unter vontz@dji.de schriftlich angefordert werden.


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Juli 2011