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UNIVERSITÄT/2480: Österreich - Aufstand der Unerhörten (planet)


planet - ZEITUNG DER GRÜNEN BILDUNGSWERKSTATT # 61
MÄRZ-APRIL-MAI 2010

Aufstand der Unerhörten

Von Herbert Langthaler


Die Proteste der Studierenden waren auch ein Aufbegehren gegen die Unterwerfung des gesamten Wissenschaftsbetriebs unter die Logik der Naturwissenschaften, der "Big Science".


Wissenschaft ist in Österreich zuallererst Naturwissenschaft. "Ohne wissenschaftliche Exzellenz keine High-Tech-Industrie", heißt es auf der Homepage des FWF, der wichtigsten nationalen Förderinstitution für wissenschaftliche Forschung in Österreich. Sprechen zuständige PolitikerInnen über die Förderung von Forschung - egal ob angewandt oder grundlegend - ist dabei meist Forschung in Bereichen wie Stammzellenforschung, Nanotechnologie, Kernphysik oder Gehirnforschung gemeint.

Die Untersuchung gesellschaftlicher oder politischer Entwicklungen oder gar philosophische Grundlagenforschung zu Fragen der Ethik und Gerechtigkeit erscheinen wesentlich weniger förderungswürdig.


Verwertungslogik

Auch bei den Universitätsreformen der letzten Jahre standen die Erfordernisse einer möglichst unmittelbar verwertbaren technischen oder naturwissenschaftlichen Ausbildung und Forschung im Mittelpunkt. Dass Studienverläufe und Berufsbilder von Geistes-, Sozial- und KulturwissenschafterInnen anderen Gesetzmäßigkeiten unterliegen, blieb dabei unbeachtet. Hier setzte auch die Kritik der Studierenden bei den jüngsten Protesten und den nun laufenden Hochschuldialogen an. Studieren bedeutet auch Reflektieren lernen. "Die Studierenden haben gegen den Bologna-Prozess aufbegehrt, weil sie die Freiheit wollen sich während des Studiums zu orientieren", analysiert Josef Hochgerner, wissenschaftlicher Leiter des Zentrums für Soziale Innovation (ZSI). Diese Orientierung braucht Zeit, die den Studierenden bei einem mit Lehrveranstaltungen voll gestopften ersten Studienabschnitt bis zur Erlangung des Bakkalaureats nicht bleibt. Der in der Eingangsphase hoffnungslos verschulte Universitätsbetrieb zwingt zu frühzeitiger Spezialisierung. Flexibilität, die sie später am Arbeitsmarkt oder als freie ForscherInnen brauchen, lernen die angehenden WissenschafterInnen so sicher nicht.

Die Politikwissenschafterin Ulrike Plettenbacher hat sich eingehend mit der Situation der GSK-Wissenschaften und vor allem der in diesem Bereich tätigen WissenschafterInnen auseinandergesetzt. Ihr Befund: Diese Wissenschaften werden durch strukturelle Fragmentierung und fehlende oder unkoordinierte Förderung an ihrer Entwicklung gehindert. Außerdem gibt es in den wenigen Forschungsprogrammen keine längerfristige thematische Ausrichtung und wenn geforscht wird, fehlt die "strategisch-gesellschaftspolitische Nutzung der vorhandenen Expertise". Man könnte auch sagen: Was die GSK-WissenschafterInnen zu sagen haben, interessiert die Politik so gut wie gar nicht. So verwundert es auch nicht, dass erst gar keine Forschungsmittel für gesellschaftlich relevante Fragen zur Verfügung gestellt werden. Bestes Beispiel dafür: die seit Jahren aufgeregt bis hysterisch geführte Debatte um Migration und Integration. Hier haben inzwischen viele ForscherInnen die Konsequenz gezogen und sind selbst emigriert. Ihre Expertise steht bei der Lösung der durch jahrelange Untätigkeit erzeugten gesellschaftlichen Integrationsprobleme definitiv nicht mehr zur Verfügung.


Wenig öffentliches Interesse

Auch das mediale Interesse an Fragestellungen und Ergebnissen aus dem Bereich der Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften ist enden wollend. Auf den Wissenschaftsseiten von Standard und Presse überwiegen die Naturwissenschaften ebenso wie in der Berichterstattung des ORF. Meldungen über archäologische Funde oder die Familie des Pharaos Tutanchamun dienen bestenfalls als exotischer Aufputz. Themen wie Integration, alternde Gesellschaft, Verteilungsgerechtigkeit, die im Zentrum politischer Debatten stehen, sucht man auf den Wissenschaftsseiten vergeblich.

Der inzwischen nach Brüssel berufene ehemalige Wissenschaftsminister Johannes Hahn machte in einem Interview mit dem Falter die WissenschafterInnen, die sich "seit Jahrzehnten weitgehend aus der öffentlichen Debatte zurückgezogen haben", zum Teil selbst für die Situation verantwortlich.

Ulrike Plettenbacher sieht allerdings auch eine Holschuld des Wissenschaftsjournalismus: "Das ist eine Katze, die sich in den Schwanz beißt: Die LeserInnen interessieren sich nur für bestimmte Themen, die dann auch bedient werden. Da sind eben etwa Detailfragen der Integration von Migrantinnen der dritten Generation nicht dabei." Auch ZSI-Chef Hochgerner sieht nur einige schmale Kanäle, sich als Sozialwissenschafter an eine breitere Öffentlichkeit zu wenden - etwa Kommentare oder Stellungnahmen zu aktuellen Themen. Er sei aber in diesem Punkt auch der eigenen Zunft gegenüber kritisch, man müsse die eigenen Themen offensiver an die Medien herantragen. Als Beispiel nennt Hochgerner Fragen der gesellschaftlichen Folgen technologischer Entwicklungen, wobei er allerdings die Erfahrung gemacht hat, dass kritische Untertöne nicht immer gerne gehört werden.


Realitätsferne Förderstruktur

Grundübel bleibt aber mangelnde Förderung. Das auf nationaler Ebene zentrale Förderinstrument, der Fonds für wissenschaftliche Forschung (FWF), stellt für Projekte der Natur- und Technikwissenschaften wesentlich mehr Mittel zur Verfügung. Für die fast 8.000 in Österreich arbeitenden GSK-WissenschafterInnen fehlen die Töpfe. Wenn Projekte gefördert werden, dann werden sie oft - in Anlehnung an die Natur- und Technikwissenschaften - nach ihrer unmittelbaren "Nützlichkeit" bewertet. Eine andere Rolle, die den GSK-Wissenschaften laut Ulrike Plettenbacher zugeschrieben wird: Hilfswissenschaften zur Reparatur gesellschaftlicher Unzulänglichkeiten (die im Übrigen häufig Auswirkungen naturwissenschaftlicher und technischer Entwicklungen sind).

Außerdem zeichnen sich die Förderrichtlinien durch Realitätsferne aus. Die Entwicklungen der vergangenen 20 Jahre mit ihrer Zunahme außeruniversitärer Forschung (entweder durch private Institute oder freie WissenschafterInnen) wurden bislang nicht zur Kenntnis genommen. So werden weder Overheadkosten gefördert, noch ausreichende Mittel für Personalkosten zur Verfügung gestellt. Ausgegangen wird von hinlänglich finanzierten Universitätsinstituten und MitarbeiterInnen, die für die Erlangung der Doktorwürde im Zuge eines Projekts auch eine nicht existenzsichernde Bezahlung in Kauf nehmen. Gefördert werde zudem meist reaktiv, kritisiert Plettenbacher, und Fördermittel werden vorwiegend immer noch an bereits etablierte ForscherInnen vergeben, was eine inhaltlich-methodische Weiterentwicklung ebenso verhindere wie das Erschließen neuer Forschungsfelder.


Offensive Strategien

Für eine Verbesserung der Situation bedürfe es massiven Drucks seitens der Betroffenen. Nur so könnten Forderungen, wie die nach einer verstärkten Förderung mit langfristiger Schwerpunktsetzung und nach neuen - an die Realitäten der Forschung angepasste - Förderstrukturen, eine Chance auf Umsetzung haben. Man muss auch, wie Josef Hochgerner betont, zu einer Strukturförderung zurückkehren, damit die immer wichtigeren außeruniversitären Forschungseinrichtungen ebenso kontinuierlich arbeiten können. Für die Verbesserung der Forschungslandschaft wäre auch eine vermehrte Zusammenarbeit von Universitäten, außeruniversitären Instituten und freien ForscherInnen wichtig. Schließlich würden sich die Geistes-, Sozial- und KulturwissenschafterInnen auch wünschen, dass sie in gesellschaftliche Fragestellungen vermehrt eingebunden werden und ihre Forschungsergebnisse auch von der Politik und anderen Akteuren genutzt werden.


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Quelle:
planet - Zeitung der Grünen Bildungswerkstatt # 61,
März-April-Mai 2010, S. 5
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. April 2010