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UNIVERSITÄT/2661: Hohenheim - Uni-Angehörige fordern adäquate Finanzierung für Universitäten ein (idw)


Universität Hohenheim - 21.05.2014

"Es ist 5 vor 12!" Uni-Angehörige fordern adäquate Finanzierung für Universitäten ein

Skepsis trotz positiver Signale: Studierende, Professoren und Mitarbeiter rufen Landesregierung zu echter Hilfe für Universitäten auf



Mit 200 Luftballons schickten Studierende, Professoren und Mitarbeiter der Universität Hohenheim heute Mittag 5 vor 12 den Hilferuf "SOS - Unis in Not" in das Land und an die Landesregierung. Auf einer zentralen Kundgebung forderten der Rektor, Vertreter der Studierenden, des Mittelbaus und des Personalrates, die Universitäten nach über 15 Jahren des Ausblutens endlich adäquat zu finanzieren. Auch in Heidelberg, Freiburg, Karlsruhe, Konstanz, Mannheim, Tübingen, Ulm und im Stuttgarter Zentrum machten heute alle Universitäten in Baden-Württemberg auf ihre prekäre Situation aufmerksam.

Es ist ein ungewohntes Bild, das der sonst so idyllische Campus der Universität Hohenheim in Stuttgart am heutigen Aktionstag bereits seit frühen Morgenstunden bietet. "Vorsicht SPARgebiet" warnen neonfarbene Schilder. "Weiter kürzen heißt schließen" künden quadratmetergroße Banner von jedem Fenster des Schlosses.

Zeitgleich verlegen Professoren und Nachwuchswissenschaftler ihre Vormittagsvorlesung in die U-Bahn. Aktivisten verteilen Bachelor-Zeugnisse an Fahrgäste. Verschenken sei schließlich die preisgünstigste Variante für das Land, so ihre Begründung.

Den Auftakt zur Kundgebung 5 vor 12 bildet ein Trauerzug. Angeführt wird er vom Fuhrpark der agrarwissenschaftlichen Versuchsstation. Noch ist die Universität Hohenheim in diesem Forschungszweig führend in Deutschland: Sie arbeitet mit Satellitennavigation, Sensortechnik und intelligenten Maschinen. Doch der Zustand der betagten Geräte belegt auch, wie sehr die Wissenschaft hier von der Substanz lebt.


Schulterschluss von Professoren, Studierenden und Mitarbietern

"Wir treffen uns heute 5 vor 12, weil es jetzt noch möglich ist, das Ausbluten der Universitäten aufzuhalten", lautet das Credo der Kundgebung. Auf der Bühne präsentieren sich Rektor, Vertreter der Studierenden, des Mittelbaus und des Personalrates als gemeinsame Veranstalter. "Wir mögen nicht immer in allem einer Meinung sein. Doch dieser Bedrohung können wir nur gemeinsam begegnen", so das gemeinsame Fazit der Redner.


Landesregierung bestätigt prekäre Situation

"In den jüngsten Tagen haben die Universitäten verbal viel Unterstützung erhalten", erklärt der Rektor der Universität Hohenheim, Prof. Dr. Stephan Dabbert. "Die Fachministerien haben bestätigt: Die Finanzierung der Universitäten ist seit Jahren real gesunken. Ministerpräsident Kretschmann hat gestern bestätigt: Alle Prognosen zu den Studierendenzahlen waren über Jahre zu niedrig, er erwartet landesweit jährlich 25.000 Studienanfänger mehr als vorgesehen."

Selbst die höchsten wissenschaftsfördernden und wissenschaftspolitischen Institutionen der Republik, die Deutsche Forschungsgemeinschaft und der Wissenschaftsrat hätten bestätigten: "Die Leistungen, die Universitäten und Hochschulen trotz aller Einschränkungen erbracht haben, sind ohne bessere Finanzierung akut gefährdet!"

Tatsächlich kämpfen die Universitäten in Baden-Württemberg seit 15 Jahren vor allem mit folgenden Problemen:

• Landesweit stiegen die Studierendenzahlen um 40%, in Hohenheim haben sie sich sogar verdoppelt. Von landesweit 169.000 Studienplätzen sind nur 141.000 finanziert: Die Universitäten fahren Überlast, die endlich honoriert gehört.
• In der Zeit zwischen 1998 und 2007 wurden die regulären Stellen der Universitäten um 10% gekürzt. Das reguläre Sachmittelbudget ist seit 15 Jahren eingefroren. Und durch die Inflation ist das Geld mittlerweile 25 % weniger wert.
• Um mehr Studienplätze zu schaffen, hat das Land den Universitäten zwar zusätzliches Geld gegeben. Aber diese Mittel sind befristet und decken nur einen Teil der Kosten ab.
• Zusätzlich verlangt das Land seit 2007, dass die Universitäten zu Bauprojekten Gelder zuschießen, die eigentlich für Forschung und Lehre gedacht sind. Darüber hinaus haben sich die Energiekosten seit 1998 verdoppelt, welche die Unis ebenfalls zu Lasten von Forschung und Lehre tragen müssen.


Skepsis trotz positiver Signale

In einer Pressemitteilung habe die Landesregierung am Vortag erklärt, sie wolle die Grundfinanzierung der Universitäten substantiell erhöhen. "Sind wir damit am Ziel?", stellte der Rektor die Frage, die viele Universitätsangehörige seither beschäftigt ...
... und beantwortet sie selbst mit einem klaren Nein: "Öffentliche Zusagen wie diese geben uns die Hoffnung, dass die Landesregierung erkennt, dass jeder Euro für die Universitäten keine Ausgabe, sondern eine lohnende Investition darstellt."

Zwei Umstände stimmten die Universitäten jedoch skeptisch:

• Bislang bekenne sich das Land bislang nur dazu, die Grundfinanzierung zu erhöhen - und schweige zu den Sonderprogrammen wie die Ausbauprogramme "Hochschule 2012" oder "Master 2016". "Eine höhere Grundfinanzierung nützt uns nichts, wenn die Universitäten unter dem Strich real weniger bekommen", so der Rektor.
• Gleichzeitig betone das Land, dass auch die Forschung ihren Beitrag zur Haushaltskonsolidierung leisten müsse.

"An der Universität Hohenheim haben wir eine herausragende Expertise in Wirtschaftswissenschaften. Doch selbst der Laie erkennt: Diesen Beitrag zur Haushaltskonsolidierung haben die Universitäten bis zur Schmerzgrenze und darüber hinaus in den vergangenen 15 Jahren bereits erbracht!"

Kernforderung: Inflationsausgleich, 3% Erhöhung und jährlich plus 1%
Selbst ein "Weiter so" sei für die Universitäten nicht mehr verkraftbar. "Jedes Fett ist vom Gerippe bereits heruntergeschnitten. Wenn wir nicht endlich adäquate Mittel bekommen, müssen wir über Teilschließungen nachdenken."
Landesweit fordern die Universitäten deshalb eine dynamische Grundzuweisung mit Inflationsausgleich plus 1% pro Jahr, sowie eine einmalige Erhöhung von 3%.

Studierendenvertreter: "Wissenschafts- und Bildungsstandort Baden-Württemberg nicht kaputtsparen"
Es ist eine Forderung, der sich Ibrahim Köran als Vorsitzender des Studierendenparlamentes nur anschließt: "Wir Studierende haben uns heute diesem Aktionsbündnis der Statusgruppen angeschlossen, weil weitere Einsparungen uns alle betreffen!"
Der Raummangel hier und das Wegfallen von Tutorien und Exkursionen sei bereits für alle spürbar. Und: "Es kann noch schlimmer werden! Wir möchten also unsere Stimmen gemeinsam erheben und schließen uns im Wesentlichen den Forderungen der Landesrektorenkonferenz an."

Zusätzlich habe die Landesstudierendenvertretung noch weitergehende Punkte ausgearbeitet, die Köran verlas:

• Wir fordern eine einmalige Erhöhung der Grundlast in Höhe von 3%, darüber hinaus eine an steigende Studierendenzahlen angepasste Finanzierung!
• Wir möchten keine weiteren Kürzungen, auch nicht an Musikhochschulen!
• Wir fordern den Erhalt der Qualitätssicherungsmittel in ihrer bisherigen Form!
• Wir fordern eine Aufhebung des Kooperationsverbots zwischen Bund und Ländern!
• Außerdem fordern wir die umgehende Auflösung prekärer Beschäftigungsverhältnisse an Hochschulen!

"Liebe Landesregierung, liebe Verantwortliche in Finanzministerium und MWK", schloss Köran. "Auch wenn Sie gestern schon versöhnliche Töne angestimmt haben, Wenn Sie der Meinung sein sollten, die Hochschulen kaputtsparen zu müssen, wenn Sie den Wissenschafts- und Bildungsstandort Baden-Württemberg aufs Spiel setzen, dann werden Köpfe rollen!"

Mittelbau: Prekäre Arbeitsverhältnisse und fast keine langfristige Perspektive
"Es freut mich ganz besonders, dass nun auch endlich - 5 vor 12 - die Unileitung nicht nur die katastrophale Finanzlage der Uni kennt, sondern auch öffentlich benennt, dass sogar die Landesrektorenkonferenz per gemeinsamen Beschluss diesen Protest gegen den Solidarpakt trägt und fest entschlossen scheint, die Unterfinanzierung der Hochschulen nicht weiter hinzunehmen", formulierte der Vertreter des Mittelbaus, Stefan Haffke, auf der Kundgebung.
Durch die bisherigen Solidarpakte habe sich die Situation für die Studierenden in den letzten Jahren dramatisch verschlechtert. "Für den akademischen Mittelbau sieht die Situation nicht besser aus: prekäre Arbeitsverhältnisse, miserable Betreuungsverhältnisse und fast keine langfristige Perspektive für eine wissenschaftliche Karriere", so Haffke.
"Wenn wir die besten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für unsere Universitäten gewinnen wollen, dann muss dies auch mit finanziellen Anreizen geschehen. Wenn schon Studierende den täglichen Kollaps und gravierenden Probleme am eigenen Leib erfahren , wenn dies mit Hungerstipendien oder Kurzzeitverträgen während der Promotion fortgeschrieben wird, dann gewinnen wir langfristig nicht mehr die Besten, sondern diejenigen mit der höchsten Frustrationsschwelle oder den geringsten Alternativen."

Personalrat: "Auch der Reservetank von Mensch und Maschine ist leer"
"Heute ist ein denkwürdiger Tag allein schon deshalb, weil es nicht alltäglich ist, dass die Universitätsleitung und Beschäftigtenvertretung gemeinsam am gleichen Strang ziehen - und das in der gleichen Richtung und mit Studierenden und der Mittelbauvertretung zusammen", bekräftigte der Vorsitzende des Personalrates, Herbert Klotz, in seinem Redebeitrag.
Bereits der Solidarpakt I habe mit Stellenstreichungen zu einer massiven Verdichtung der Arbeit quer durch die Universität hindurch geführt. "Um diese Betragsvorgaben insgesamt zu erfüllen, hat Hohenheim konkret viele niedrig-wertigere Stellen gestrichen. Dieser Einschnitt ist bis heute schmerzlich spürbar."
Der Solidarpakt II, die drastisch gestiegenen Energiekosten, die Eigenbeteiligung an notwendigen Bauprojekten, die Bewältigung ständig steigender - nichtausfinanzierter - Aufgaben müssen bezahlt werden. Das Geld dafür kommt nicht zuletzt auch aus Stellenbesetzungssperren und der Nichtbesetzung von Personalstellen. "Letztlich also wird das alles durch die Zweckentfremdung von Mitteln auf Kosten des Personals finanziert."
Die Beschäftigten der Universität identifizierten sich dennoch nach wie vor in außerordentlich hohem Maß mit Ihrer Arbeit für und in Wissenschaft und Forschung. "Doch Die Äußerungen der letzten Tage aus dem Finanz-/Wissenschafts-/und Staatsministerium reichen bei Weitem nicht aus.
Sie sind wachsweich und unverbindlich. Wir fordern die Landesregierung auf, endlich ihrer Verpflichtung gegenüber ihren Beschäftigten in der Universität nachzukommen und die zu lange fehlenden Mittel zur Sicherstellung akzeptabler Arbeitsbedingungen bereitzustellen.
ie Schmerzgrenze ist überschritten. Die Mangelwirtschaft über viele Jahre hinweg hat zu einer nicht weiter hinnehmbaren Situation geführt. Bildlich gesprochen: Inzwischen ist schlichtweg auch der Reservetank in Mensch und Maschine nahezu leer.
17 Jahre Sparpakte sind mehr als genug!

Hintergründe, Redeskripte, Links
Alle Redeskripte, eine Resolution des Senates der Universität Hohenheim und weitere Pressemitteilungen zum Thema finden Sie unter:
www.UHOH.de/Aktionstag210514

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution234

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Universität Hohenheim, Florian Klebs, 21.05.2014
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Mai 2014