Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → BRENNPUNKT

SYRIEN/029: Dominostein Damaskus - kollaterale Debalancen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 13. Dezember 2013

Nahost: Syrischer Bürgerkrieg holt Drusen auf den Golanhöhen ein

von Pierre Klochendler


Bild: © Pierre Klochendler/IPS

Druse auf den Golan-Höhen
Bild: © Pierre Klochendler/IPS

Majdal-Shams, Golan-Höhen, 13. Dezember (IPS) - Der Widerhall der Explosionen erinnert die Drusen auf den von Israel besetzten Golanhöhen nur allzu gut an die Nähe zu Syrien. Seit 50 Jahren leben sie außerhalb ihres ehemaligen Vaterlandes, wo seit zweieinhalb Jahren ein Bürgerkrieg tobt. Ihrer Neutralität im Syrien-Konflikt verdanken sie eine relative Sicherheit.

Die Mitglieder der Religionsgemeinschaft sind kreuz und quer über Syrien, den Libanon und Israel verteilt. In der Stadt Majdal-Shams mit etwa 11.000 Einwohnern fürchten die weitgehend säkular ausgerichteten Drusen den wachsenden Einfluss islamistischer Rebellengruppen im syrischen Bürgerkrieg.

"Ich unterstütze von ganzem Herzen Präsident Baschar al-Assad, weil ich Syrer bin", sagt Hassan Fakhr-Eddin. "Diese ausländischen Ungläubigen wollen das weltliche Syrien in einen islamischen Staat verwandeln." Auch wenn die Drusen mit ihrer Loyalität zu dem Assad-Regime nicht hinter dem Berg halten, vermeiden sie es in der Regel, über Politik zu sprechen.

Ihre Treue zu Syrien wird durch den Bürgerkrieg auf eine harte Probe gestellt. Zu Beginn des Konflikts war es zu Streit in den Familien und zwischen Freunden gekommen, hatte die Revolution in Syrien auch Hoffnungen auf einen demokratischen Wandel geschürt.

"Ich spreche nicht mit den Assad-Gegnern, sie existieren in meinem Leben nicht", erklärt der Druse Ghandi Kahlouni, der auf den Golanhöhen eine Apotheke betreibt. "Entweder man steht auf der Seite von Assad oder man ist ein Verräter und unterstützt die Rebellen."


Von Revolution in Syrien enttäuscht

Während das kriegszerrissene Land immer tiefer im Morast versinkt, halten die meisten Drusen auf den Golan-Höhen zusammen, und bei den Demokratiebefürwortern hat sich die Meinung durchgesetzt, dass keine Revolution das derzeitige Blutvergießen in Syrien rechtfertigt.

"Natürlich bin ich enttäuscht, ich hatte mir etwas anderes erhofft", sagt Salim Safadi aus der nahegelegenen Drusen-Stadt Maa'ade. "Zu Beginn der so genannten Revolution demonstrierten wir für den demokratischen Wandel in Syrien, das war legitim. Doch die dschihadistischen Terroristen machen die Hoffnung des syrischen Volkes auf Demokratie zunichte."

Derweil liegen die Erinnerungen an den Krieg um die Golan-Höhen weit zurück. Israel eroberte den Gebirgszug während des Sechs-Tage-Krieges 1967 von Syrien. Sechs Jahre später führte Syrien vergeblich einen weiteren Krieg gegen Israel, um das Gebiet wiederzugewinnen. Ruinen zeugen auch heute noch vom Ausmaß der Kämpfe.

Schätzungsweise 100.000 Drusen, die auf den Golan-Höhen lebten, flohen vor dem Krieg oder wurden vertrieben. Sie durften nie mehr heimkehren. Familien wurden auseinandergerissen. Nur 22.000 Drusen sind übrig geblieben. Sie leben in vier Dörfern, Seite an Seite mit etwa ebenso vielen israelischen Siedlern.

Auf dem Gebirgszug oberhalb der Stadt und in deren Zentrum sind israelische Wachtposten stationiert. Die Flagge Israels weht über dem Rathaus - das einzige Gebäude, das mit dem Davidstern geschmückt ist. Andere Häuser sind in den Farben der Drusen bemalt. Die syrische Fahne ist jedoch nirgendwo zu sehen.

Dolan Abu-Saleh, der Vorsitzende des Stadtrats von Majdal-Shams, wurde vom israelischen Innenministerium eingesetzt. Er erinnert die Bewohner der Stadt immer wieder daran, wie wichtig es ist, dass sie aus Sicherheitsgründen im Syrien-Konflikt keine Partei ergreifen.

"Unser Herz ist beim syrischen Volk. Wir fühlen uns dem Land und unseren Familien dort verbunden", meint Abu-Saleh. Seit 1981 gilt auf den Golanhöhen israelisches Recht. Von der internationalen Gemeinschaft unterstützt, lehnen die Drusen die de-facto-Annektierung des syrischen Gebietes ab.


Drusen mehrheitlich gegen israelische Staatsbürgerschaft

Zudem sind 90 Prozent der Drusen nicht an der israelischen Staatsangehörigkeit interessiert. Der Bürgermeister, selbst ein Israeli der zweiten Generation, versucht zumindest die jüngere Bevölkerung davon zu überzeugen, dass sie es als Bürger eines starken und sicheren Staates Israel besser hätten.

Vor Ausbruch des Bürgerkriegs hatten Hunderte Drusen in Syrien Naturwissenschaften, Medizin und Zahnmedizin studiert, denn die syrische Regierung sichert ihnen eine kostenlose Bildung zu. Doch inzwischen kann man die Studenten an einer Hand abzählen.

"Durch die Rückkehr der graduierten Akademiker auf die Golanhöhen erlebte die Wirtschaft hier einen Aufschwung", berichtet Hamad Aweida, der an der Universität Damaskus einen Abschluss in Informationswissenschaften gemacht hat und jetzt vor Ort als TV-Produzent arbeitet. "Doch momentan sind viele arbeitslos. Nur wenige haben das Glück, in Deutschland studieren zu können. Ich befürchte, dass in drei bis fünf Jahren die gut Ausgebildeten als einfache Arbeiter ihren Lebensunterhalt verdienen müssen."

Der Krieg in Syrien setzt der Wirtschaft und insbesondere dem Agrarsektor auf den Golanhöhen zu. Äpfel sind seit jeher die wichtigste Einnahmequelle für die dort lebenden Drusen. Jährlich werden etwa 50.000 Tonnen geerntet. Vor dem Krieg wurde das Obst über den Grenzübergang Quneitra zu den syrischen Märkten gebracht. Grundlage war eine Vereinbarung, die Syrien, Israel, die Vereinten Nationen und das Internationale Komitee vom Roten Kreuz 2005 getroffen hatte.

Im März gelang es den Bauern zwar noch, etwa 18.000 Tonnen Äpfel aus der vorherigen Herbsternte über die Grenze zu schaffen. Die Preise lagen aber um das Zwei- bis Dreifache unter dem früheren Stand. Und wann die Drusen in Zukunft überhaupt wieder nach Syrien exportieren können, steht derzeit in den Sternen. (Ende/IPS/ck/2013)


Link:

http://www.ipsnews.net/2013/12/golan-druze-feel-brunt-syrias-civil-war/

© IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 13. Dezember 2013
IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 / 54 81 45 31, Fax: 030 / 54 82 26 25
E-Mail: contact@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Dezember 2013