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SYRIEN/061: Dominostein Damaskus - Maskentanz der Hilfsbewegten ... (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 19. August 2014

Syrien: Leichensäcke in der Schule - Zivilschutzteams in Aleppo auf schwieriger Mission

von Shelley Kittleson


Bild: © Shelley Kittleson/IPS

Straße im Zentrum von Aleppo nach der Explosion einer Fassbombe
Bild: © Shelley Kittleson/IPS

Aleppo, Syrien, 19. August (IPS) - Auf Straßen voller Bombenkrater, über deren Ränder zusammengeschmolzene Betonteile hinausragen, sind freiwillige Zivilschutzeinheiten in der größten syrischen Stadt Aleppo zu ihren Einsatzstellen unterwegs. Über die Toten, die Überlebenden und die verkrümmten Stahlteile hat sich eine gräuliche Staubschicht gelegt.

Die Panik und das Durcheinander nach einem Bombenanschlag sind auf zahllosen Fotos festgehalten. Blutüberströmte Menschen suchen im Schutt verzweifelt nach ihren Angehörigen. Die Ankunft der Rettungshelfer mit ihren weißen Kopfbedeckungen, schwarzen Knieschonern und Stiefeln bringt ein bisschen Ordnung in das Chaos.

Schon wenige Augenblicke nach der Detonation einer Fassbombe Anfang August waren die Helfer rasch zur Stelle. Einer von ihnen hielt sein Sprechfunkgerät ans Ohr gepresst, während er mit Blicken Schaulustige auf Distanz zu halten versuchte. Zugleich musterte er besorgt den Himmel, denn auf die erste Fassbombe folgt fast immer binnen zehn bis 30 Minuten eine zweite, die die Retter treffen soll.

Das Hanano-Zivilschutzzentrum im östlichen Teil von Aleppo ist in einem Schulgebäude untergebracht. In den verlassenen, staubigen Korridoren sieht man zum Auslüften aufgestellte Stiefel von Feuerwehrmännern, einen Besen und mehrere Poster mit Zivilschützern, die offensichtlich die Moral des Teams heben sollen.

Leichensäcke und Erste-Hilfe-Ausrüstungen finden sich aufgestapelt neben Kanistern mit Treibstoff für die 'Bobcat'-Schaufelbagger, die zum Räumen der Trümmer eingesetzt werden, neben Bohrern und Hacken, die das Logo der US-Entwicklungsorganisation USAID tragen sowie Kisten mit Anzügen für die Feuerwehrleute. Dahinter hängen Schultafeln, auf denen noch zu erkennen ist, welcher Unterrichtsstoff hier durchgenommen wurde.


Ehemalige Studenten im Hilfseinsatz

Viele Männer sind zwischen 20 und 30 Jahren alt, glattrasiert, ehemalige Hochschüler. Khaled Hijjo, der früher Jura studierte, leitet inzwischen das Hilfszentrum und erklärt, dass die Rettungs- und Feuerwehrteams in zwei Schichten 24 Stunden im Einsatz sind.

Der einzige Arzt in dem Zentrum ist rund um die Uhr in Rufbereitschaft. Vor dem Aufstand in Syrien 2011 und den Gewaltausbrüchen habe er bereits für die Hilfsorganisation Syrischer Roter Halbmond gearbeitet, sagt der Mediziner, der seinen Namen nicht veröffentlicht sehen will.

Die nötige Zeit, um seine Kollegen in Aleppo in Erster Hilfe zu unterweisen, hatte er nicht. Dabei können eine Verschlimmerung des Zustands Verletzter und Querschnittslähmungen durch eine medizinisch korrekte Bergung verhindert werden. Das bereitgestellte schwere Gerät hat sich bereits als äußerst wichtig bei der Räumung von Trümmern und der Rettung Verschütteter erwiesen.

Seit vier Monaten werden die Helfer von der syrischen Exilregierung für ihre Arbeit bezahlt. Ausländische Organisationen und Regierungen finanzieren zudem Fortbildungskurse. Ersthelfer, die bei Stufe Eins einsteigen, erhalten monatlich einen Lohn von 175 US-Dollar. Die Leiter der verschiedenen Einsatzzentren erhalten 200 Dollar, wie der Leiter des Zivilschutzes, Ammar Salmo, berichtet. Er verschweigt nicht, dass 21 Mitglieder seines Teams bei ihren Einsätzen durch Fassbomben getötet wurden.


Bergung Verschütteter oft nicht möglich

Wenn die Bomben ganze Gebäude zum Einsturz brächten, könne für die Eingeschlossenen nichts mehr getan werden, sagt ein Lokalreporter. Alle wüssten, dass in einem bestimmten Areal noch fünf Überlebende ausharrten. Es sei aber nicht möglich, sie aus den Trümmern zu befreien. Der Journalist fühlt sich nach eigenen Aussagen hilflos, weil er sich nicht nützlich machen kann.

Viele Reporter sind zwar mit teuren Kameras und Satellitentechnik ausgerüstet und haben Schulungen besucht, die von westlichen Regierungen im Süden der Türkei finanziert wurden. Kaum einer von ihnen hat jedoch einen grundlegenden Erste-Hilfe-Kurs besucht. Da seit den wiederholten Angriffen von Regierungstruppen auf Krankenhäuser in Aleppo kaum noch medizinisches Fachpersonal vor Ort ist, spielen die Zivilschutzhelfer eine umso größere Rolle bei der Rettung von Menschenleben.

Ersthelfer sind in vom Ausland gespendeten Krankenwagen unterwegs, die über den einzigen noch von den Rebellen kontrollierten Versorgungsweg in das Zentrum von Aleppo gelangen. Verletzte in den umliegenden ländlichen Gebieten werden in Autos zum nächsten Hilfszentrum gebracht. Die Kommunikation ist nur über Walkie-Talkie möglich, weil es in der Region kein Mobilfunknetz gibt.

Wie Salmo berichtet, wurde kürzlich ein Trainingszentrum außerhalb von Aleppo eingerichtet. Dort werden Teammitglieder in kleinen Gruppen 20 Tage lang ausgebildet. In der weiter westlich gelegenen Region Idlib werden laut Salmo weitere Zentren eröffnet, die einfacher zu verwalten sind als die Einrichtungen in Aleppo. Viele Männer in Idlib sind Regimegegner und eher mit der Arbeit von Institutionen vertraut.


Frühere Generäle von Assads Armee unter den Helfern

Salmos Stellvertreter war früher General der Regierungsarmee, außerdem arbeiten vier weitere Ex-Generäle mit dem Zivilschutz zusammen. Unter den Ausbildern im Trainingszentren sind demnach fünf Überläufer, die früher den Truppen von Präsident Baschar al-Assad dienten. "Einer von ihnen ist ein ehemaliger General, der den Helfern beibringt, wie sie mit Fassbomben und Feuer umgehen sollten. Zwei Ärzte bilden die Männer in Erster Hilfe aus."

Mit Mitgliedern einiger bewaffneter Gruppen hat das Team Schwierigkeiten bekommen. Gravierendes ist jedoch nicht vorgefallen. Ein Helfer berichtete zudem, dass die Rebellenorganisation Freie Syrische Armee vor ein paar Wochen schweres Gerät "ausgeborgt" habe. Man habe versprochen, es bald wiederzubringen, sagt er. "Wir versuchen die Angelegenheit auf dem Weg des Dialogs zu klären."

Mit Extremistengruppen wie 'Jabhat Al-Nusra', die mit dem Terrornetzwerk Al Qaeda verbunden ist, hat es bisher keine Probleme gegeben. "Sie brauchen unsere Sachen nicht, denn sie haben genug Geld", meint der Helfer.

Die Zivilschutzteams wollen vermeiden, dass die Kriegsparteien sie als besonders gut ausgerüstet wahrnehmen. So sieht man nahe einem Hilfszentrum an einer Frontlinie weder Feuerlöschfahrzeuge noch andere Einsatzwagen. "Die Teams müssen aufpassen", sagt Salmo. Wenn das Assad- Regime den Eindruck gewinne, man sei zu gut organisiert, werde man eher als Gefahr eingestuft. (Ende/IPS/ck/2014)


Link:

http://www.ipsnews.net/2014/08/trauma-kits-and-body-bags-now-fill-aleppo-school/

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IPS-Tagesdienst vom 19. August 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. August 2014