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WESTSAHARA/038: Beratung über Westsahara-Anträge - Auszug aus dem Plenarprotokoll, 27.01. (Dt. Bundestag)


Plenarprotokoll 17/87
Deutscher Bundestag
Stenografischer Bericht
87. Sitzung
Berlin, Donnerstag, den 27. Januar 2011

AUSZUG


Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 16 a und 16 b:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sevim Dagdelen, Jan van Aken, Christine Buchholz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Keine Unterstützung für die völkerrechtswidrige Besatzungspolitik Marokkos in der Westsahara
- Drucksache 17/4271 -

Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Tom Koenigs, Marieluise Beck (Bremen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Menschenrechtslage in Westsahara
- Drucksache 17/4440 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (f)
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Die Reden wurden zu Protokoll gegeben.


Jürgen Klimke (CDU/CSU):

Ich begrüße es ausdrücklich, dass sich der Deutsche Bundestag heute mit dem Thema Westsahara beschäftigt. Dieses Thema steht in Deutschland nicht unbedingt ganz oben auf der Tagesordnung, obwohl es sich um einen Jahrzehnte andauernden regionalen Konflikt handelt. Deshalb würde ich mir wünschen, wenn wir dies mit dieser Debatte ein wenig ändern könnten. Ich vertrete - ähnlich wie Volker Rühe das kürzlich geäußert hat - die Auffassung, dass Deutschland sich in den nächsten Jahren als Mitglied des Sicherheitsrates zu Themen positionieren muss, denen wir Deutsche bisher bequemerweise aus dem Wege gehen konnten. Die Frage des Westsahara-Konflikts gehört sicherlich zu diesen Themen.

Die Westsahara-Problematik ist eine zentrale Frage für die Zukunft Marokkos und der gesamten Region von Algerien bis Mauretanien. Sie bindet große militärische Ressourcen, belastet die Beziehungen zwischen Marokko und Algerien und steht der Kooperation und Entwicklung im Maghreb entgegen. Es ist in einer 30 Minuten langen Debatte leider nicht möglich, die Entwicklung des Konflikts mit seinen Ursachen und Ereignissen seit mehr als 30 Jahren zu analysieren. Deshalb möchte ich mich kurz fassen und zunächst auf die Inhalte der Anträge eingehen:

Der Antrag der Fraktion Die Linke ist aus meiner Sicht tendenziös. Er richtet sich eindeutig gegen Marokko, wie schon der Titel belegt, in dem von "völkerrechtswidriger Besatzungspolitik" die Rede ist. Bedenklicher finde ich, dass im Antrag bei der Schilderung der Ereignisse im Lager Gdaim Izyk nahe Laayoune verschwiegen wird, dass offenbar zehn der zwölf Opfer marokkanische Sicherheitskräfte waren, dass die Proteste also keineswegs so friedlich waren, wie im Antrag der Linken hervorgehoben. Ich wundere mich, dass diese auch im Antrag der Grünen erwähnte Tatsache einfach verschwiegen wird. Das ist aus meiner Sicht unredlich. Die marokkanische Seite spricht in diesem Zusammenhang übrigens von einer Situation, dass sich eine Gruppe der Lagerinsassen während der Verhandlungen mit der marokkanischen Seite radikalisiert habe und die Personen, die bereit waren, das Lager zu verlassen, als Geiseln genommen habe. Erst daraufhin hätten die Sicherheitskräfte ohne den Gebrauch von Waffen eingegriffen.

Auch in der Frage des 14-jährigen getöteten Jungen, der angeblich Nahrungsmittel und Medikamente in das Lager Gdaim Izyk bringen wollte, gibt es andere Informationen. Diese berichten von bewaffneten Personen in zwei Allradfahrzeugen, die einen Angriff gegen das Wachpersonal in Laayoune ausübten und in deren Begleitung sich auch der Junge befand. Ich möchte hier gar nicht den Richter spielen und die Ereignisse jener Tage abschließend beurteilen, jedoch möchte ich festhalten, dass es offensichtlich unterschiedliche Versionen gibt. Wir sollten uns als Deutscher Bundestag nicht dazu hinreißen lassen, die Darstellung einer Konfliktpartei eins zu eins für unsere Argumentation zu übernehmen und daraus unrealistische Forderungen abzuleiten. Damit kommt die Linke dem Ziel einer Lösung des Konflikts nicht näher, sie sorgt nur für Radikalisierung und eine Verhärtung der Positionen.

Der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen bildet eine weit bessere Diskussionsgrundlage. Ich halte die Hervorhebung der Bedeutung der Menschenrechtslage in der Westsahara zwar grundsätzlich für richtig, aber dann muss man auch andere Fragen stellen, nämlich nach der Rolle Algeriens in dem Konflikt oder der Situation in den von der POLISARIO geführten Flüchtlingslagern. Es ist uns ja nicht einmal möglich, die Zahl der Flüchtlinge in diesen Lagern unabhängig zu erfassen. Im Antrag der Grünen steht eine Zahl von 160.000, in einem Bericht der damaligen Staatssekretärin Karin Kortmann an den Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung von 2008 heißt es jedoch: "Die Weigerung der sahrouischen Behörden, einer Registrierung zuzustimmen, legt jedoch nahe, dass ihre wirkliche Anzahl weit darunter und wahrscheinlich kaum über 90.000 liegt."

Wir müssen uns bei allen Fragen der Menschenrechte, wo ich mir auch vonseiten Marokkos Verbesserungen wünsche, auch nach grundsätzlichen Lösungsmöglichkeiten des Konflikts fragen. Hier laufen ja derzeit die direkten Verhandlungen zwischen der POLISARIO und Marokko unter dem neuen UN-Vermittler Christopher Ross. Und hier haben wir weiterhin die Situation, dass die Marokkaner von einer Souveränität Marokkos über die Westsahara ausgehen, während die POLISARIO ein Referendum mit Einschluss der Unabhängigkeit fordert. Da liegt dann der Teufel im Detail über die Frage, wer dann abstimmen darf und wie die Abstimmung erfolgt. Der Streit über diese Frage hat letztlich ja schon früher ein Referendum verhindert.

Marokko ist 2007 immerhin mit einem weitreichenden Autonomievorschlag von seiner bisherigen harten Verhandlungslinie abgerückt, einem Vorschlag, den der Sicherheitsrat in seiner Resolution 1871 vom April 2009 als "ernsthafte und glaubwürdige Bemühungen" charakterisiert hat. Unter dem Aspekt der Menschenrechte und der wirtschaftlichen Entwicklung einer von einem jahrzehntelangen Konflikt betroffenen Region ist der Autonomievorschlag eine mögliche Lösung. Schließlich sind weitreichende Befugnisse für die Region in wirtschaftlichen, sozialen und Haushaltsfragen vorgesehen. Ich möchte diese marokkanische Position nicht einfach übernehmen, vielmehr ist es immer Maßgabe deutscher Außenpolitik gewesen, die Bemühungen der Vereinten Nationen bei der Herbeiführung einer Lösung zu unterstützen. Hier hat es ja durch die Wiederaufnahme von vertrauensbildenden Maßnahmen in Form von Familienbesuchen und der wahrscheinlichen zukünftigen Einigung über solche Familienbesuche auch auf dem Landweg durchaus Fortschritte gegeben.

Wenn aber auch der neue UN-Vermittler Christopher Ross bei der Suche nach einer Lösung letztlich nicht weiterkommen sollte, halte ich es für wichtig, dass Deutschland zukünftig klarer Position bezieht. Die Frage der Menschenrechte in der Westsahara sollte dabei dann ebenso eine Rolle spielen, wie die Fragen der Legitimation marokkanischer Ansprüche. Die Berechtigung der Vertretungsansprüche der POLISARIO für die Bevölkerung in der Westsahara ist dabei auch zu hinterfragen, und schließlich sollte es natürlich auch um eine realistische Einschätzung der machbaren Lösungswege gehen.

Insofern begreife ich die heutige Debatte losgelöst von Ihrem Anlass als einen Auftakt, sich auch im Deutschen Bundestag verstärkt mit den Fragen jenes über Jahrzehnte schwelenden Konflikts zu beschäftigen. Vielleicht kann es uns Deutschen ja gelingen, hier eine Position zu entwickeln, die der Komplexität der Situation gerecht wird und letztlich dazu beiträgt, eine tragfähige Lösung herbeizuführen.


Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU):

Wir alle sind über das menschliche Leid, das durch den Westsahara-Konflikt verursacht wird, tief betroffen. Allein die jüngste Tragödie von Laayoune im Nordwesten der Sahara zeigt, welch dramatisches Ausmaß dieser Konflikt angenommen hat. Die unzähligen Toten, die es bei der Räumung eines Zeltlagers gegen die soziale und wirtschaftliche Lage am 8. November 2010 durch marokkanische Sicherheitskräfte gab, zeigen das eindrücklich.

Dabei schwelt der Konflikt schon seit langem. Um ihn besser verstehen zu können, lohnt ein Blick in die Entstehungsgeschichte des Konflikts. Seit Mitte der 60er-Jahre des letzten Jahrhunderts wurde Spanien wiederholt von der UN aufgefordert, die Westsahara in die Unabhängigkeit zu entlassen. Parallel dazu gründete sich die sahrauische Befreiungsfront Frente POLISARIO, die für eine politische Unabhängigkeit der Westsahara kämpfte. Nach dem Tod Francos 1975 zogen die Spanier ab, und Mauretanien und Marokko besetzte den Großteil des Gebiets der Westsahara. 1976 erklärte Marokko die Annexion der nördlichen zwei Drittel des Westsahara-Gebietes und 1979 des restlichen Territoriums, nachdem sich Mauretanien aus dem Gebiet zurückgezogen hatte. Diese Annexionen wurden von den Vereinten Nationen nicht anerkannt. Ebenso wenig wurden ohne die Abhaltung des von den Vereinten Nationen geforderten Referendums die Ansprüche der Demokratischen Arabischen Republik Sahara auf das Gebiet der Westsahara anerkannt.

Zwar wurde 1991 eine Waffenstillstandsvereinbarung zwischen Marokko und der POLISARIO geschlossen, aber auch dies reichte nicht, um das geforderte Referendum abzuhalten. Daher leben bis heute etwa 100.000 Sahrauis in Flüchtlingslagern nahe der Stadt Tindouf in der algerischen Sahara. Hinzu kommt, dass das Gebiet von Westsahara aktuell durch eine befestigte und verminte Grenzanlage geteilt ist, die von Marokko entlang der Waffenstillstandslinie errichtet wurde. Vor diesem Hintergrund scheint eine kurzfristige Lösung des Westsahara-Konflikts kaum realistisch. Trotz aller Bemühungen sowohl der Bundesregierung als auch der internationalen Gemeinschaft war es bislang nicht möglich, die Konfliktparteien zu einer einvernehmlichen und friedlichen Lösung zu bewegen.

Woran liegt das? Zuallererst an den Konfliktparteien selbst. Weder die Regierung Marokkos noch die Saharawi Liberation Movement, Frente POLISARIO, waren und sind bis heute in der Lage, aufeinander zuzugehen und in der Sache voranzukommen. Selbst die Resolution 1754 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, in der die Konfliktparteien dazu aufgefordert wurden: "enter into direct negotiations without preconditions and in good faith", führten bislang nur zu ergebnislosen Gesprächen. Die Ursache dafür liegt in den unterschiedlichen Zielsetzungen, die die Konfliktparteien in den Verhandlungen verfolgen. Marokko wäre bis zu einem gewissem Grad bereit, einen Autonomiestatus der Region zu akzeptieren, solange dies innerhalb des marokkanischen Staatsverbandes geschieht. Die sahrauischen Aktivisten berufen sich aber auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker und fordern einen unabhängigen Staat Westsahara. Dieses Dilemma von außen zu lösen, scheint kaum möglich, und daher stellt sich die Frage, wie die Bundesregierung und die internationale Gemeinschaft mit diesem Konflikt umgehen.

Zunächst einmal ist es eine Selbstverständlichkeit, dass wir uns bemühen, das menschliche Leid zu lindern und humanitäre Hilfe beispielsweise für die schon angesprochenen vier Flüchtlingslager in der Nähe der Stadt Tindouf in der algerischen Sahara leisten. Auch engagieren wir uns im Rahmen von Familienzusammenführungsprogrammen und unterstützen die ständige VN-Beobachtermission MINURSO, die seit dem Waffenstillstand und der Resolution 690 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom 29. April 1991 im Land ist. Im Rahmen des Programms Deutsche Akademische Flüchtlingshilfe beim UNHCR werden derzeit Stipendien für mehr als 20 sahrauische Studierende finanziert, und das Auswärtige Amt prüft, wie wir die Räumung von Minen aus dem Westsahara-Konflikt in Mauretanien unterstützen können. Neben all diesen humanitären und vertrauensbildenden Maßnahmen müssen wir alles tun, um das seit langem geforderte Referendum über die Zukunft der Westsahara und die entsprechenden Gespräche zwischen den Konfliktparteien unter Einbindung von Algerien und Mauretanien zu unterstützen - auch wenn sie bislang nicht erfolgreich verlaufen sind.

Außer dieser Unterstützung arbeitet Deutschland besonders mit Blick auf Frankreich und Spanien an einer kohärenteren Haltung der Europäischen Union zum Westsahara-Konflikt und bemüht sich, auch Algerien konstruktiv in die Gespräche einzubinden. Die Regierung in Algier unterstützt die Frente POLISARIO und sieht den Westsahara-Konflikt hauptsächlich als Dekolonialisierungsproblem an. Darüber hinaus gibt es aber kaum diplomatische oder wirtschaftliche Hebel für die Bundesregierung, eine der Konfliktparteien kurzfristig zu entscheidenden Zugeständnissen zu drängen. Auch wenn dies vor dem Hintergrund des menschlichen Leids schwer fällt zu ak- zeptieren, so müssen wir auch unseren Einfluss realis- tisch einschätzen und dürfen ihn nicht überbewerten. Das wäre fatal und würde nur falsche Erwartungen und Hoffnungen bei den Betroffenen und Opfern schüren. Und das können wir auch nicht wollen.


Günter Gloser (SPD):

Bis zum heutigen Tage ist es nicht zu einem wirklichen Durchbruch im Sinne einer dauerhaften, völkerrechtlich verbindlichen Verhandlungslösung für den Konflikt um die Westsahara gekommen, der nun schon seit 1975 andauert. Seit 1991 besteht zwar formell ein Waffenstillstand zwischen der POLISARIO und Marokko. Der Konflikt und vor allem die durch ihn betroffenen Menschen in der Westsahara warten dennoch weiterhin auf eine dauerhafte und tragende Lösung. Ein Referendum in der Westsahara wäre, im Sinne des Selbstbestimmungsrechtes der Völker, ein wichtiger erster Schritt in Richtung einer Konfliktlösung gewesen. Doch schon der Versuch des ersten Schrittes, ein Referendum auf dem Gebiet der Westsahara durchzuführen, ist im Jahr 2000 am Streit über den Teilnehmerkreis gescheitert.

Die gewaltsame Räumung des Protestcamps im sahrauischen Camp Gdaim Izyk bei El Aaiun im November 2010 durch marokkanische Sicherheitskräfte zeigt, dass der Konflikt auch 36 Jahre nach seinem Ausbruch noch immer in tödliche Gewalt umschlagen kann. Dieser Gewaltausbruch am 8. November 2010 fiel ausgerechnet mit dem Beginn der dritten Runde der informellen Gespräche über den Status der Westsahara zusammen, zu denen sich Marokko, die POLISARIO und die Beobachterstaaten Algerien und Mauretanien in New York trafen.

Das Blutvergießen vom 8. November 2010 weckt große Befürchtungen hinsichtlich einer neuen Eskalation des Konfliktes und muss alle Mitglieder des Deutschen Bundestages und die Bundesregierung zu größter Sorge veranlassen. Den Konfliktparteien - insbesondere der Regierung des Königreiches Marokko - muss unmissverständlich erklärt werden, dass Gewaltverzicht eine Conditio sine qua non für alle weiteren Schritte zur humanitären Unterstützung und zur Konfliktbeilegung ist. Hier sehe ich die Bundesregierung in der Pflicht. Die erneute Gewalteskalation ist auch deshalb umso bedauerlicher, da es in der Vergangenheit umfangreiche Aktivitäten der Vereinten Nationen zur Einhegung und Beilegung des Konfliktes gegeben hat: So haben die Vereinten Nationen 1991 eine eigene Mission für die Einhaltung des Waffenstillstandes und zur Verbesserung der humanitären Situation, die MINURSO, ins Leben gerufen. Die Verlängerung des MINURSO-Mandates steht für den April diesen Jahres an.

Im Zuge dieser Mandatsverlängerung besteht nun ein Konflikt zwischen der POLISARIO und der marokkanischen Regierung über die Aufnahme eines Menschenrechtsmechanismus in das Mandat der MINURSO-Mission. Dieser Konflikt muss - im Sinne der Prävention einer weiteren Eskalation und für die Verbesserung der humanitären Lage der sahrauischen Bevölkerung - unbedingt schnell beigelegt werden. Die Bundesregierung muss in dieser Situation alles ihr Mögliche unternehmen, um die Verlängerung des MINURSO-Mandates zu erreichen. Ohne dieses Mandat wäre die Grundlage für das humanitäre Handeln der Vereinten Nationen in der Westsahara-Region gefährdet. Dies darf auf gar keinen Fall zugelassen werden.

Ich will es an dieser Stelle auch nicht versäumen, auf die Baker-Pläne I und II hinzuweisen, in denen die Vereinten Nationen ein umfangreiches Konfliktlösungsszenario entwickelten. Ich halte deren Ziele nach wie vor für aktuell:

Der Westsahara sollte entsprechend Baker-Plan II eine weitgehende Autonomie unter marokkanischer Souveränität zugestanden werden. Wesentlicher Bestandteil war ein Abkommen, das folgende Regelungen vorsah:
Freilassung der Verhafteten und Kriegsgefangenen. Drei Monate nach Unterzeichnung des Abkommens beidseitige Reduzierung der Streitkräfte. Nach einem Jahr sollen ein Parlament und ein Oberhaupt der Exekutive gewählt werden. Sie sollen den territorialen Haushalt der Westsahara verwalten und für die Steuereinnahmen und die Polizei zuständig sein. Allerdings wäre der marokkanische König der Souverän geblieben, der in den Außenbeziehungen, in Verteidigungsfragen und bei der Kontrolle der Waffen weisungsbefugt wäre.

Vier oder fünf Jahre nach der Unterschrift wäre nach dem Baker-Plan II ein Referendum durchgeführt worden, in dem die Wahlberechtigten über drei Optionen hätten abstimmen können:
Erstens, ob die Westsahara einen Autonomiestatus innerhalb Marokkos erhält; zweitens Unabhängigkeit oder drittens die volle Integration in das marokkanische Staatsgebilde.

Die Fraktionen von SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP haben im Jahre 2004 in ihrem interfraktionellen Antrag "Eine politische Lösung für den Westsaharakonflikt voranbringen - Baker-Plan unterstützen", Drucksache 15/2391, eindringlich für diesen Plan geworben. Obwohl die Vereinten Nationen mit ihrer Resolution 1495 vom 31. Juli 2003 alle Konfliktbeteiligten und Verhandlungspartner aufgefordert haben, dem Plan zuzustimmen, ist dieser aufgrund der Vorbehalte Marokkos gegen den offenen Endstatus gescheitert. Dies soll mich hier aber nicht davon abhalten, nochmals die Grundsätze und Forderungen des Baker-Planes und unseres Antrages von 2004 zu unterstreichen und für ihre Umsetzung zu werben.

Die Vereinten Nationen verfolgen die Umsetzung der Ziele des Baker-Planes nach dessen Scheitern durch direkte Verhandlungen. Hierin sind sie durch alle Bundesregierungen ebenso unterstützt worden wie bei den sogenannten "guten Diensten" wie zum Beispiel diskreten Verhandlungen um die Freilassung von gefangenen POLISARIO-Kämpfern.

Die EU engagiert sich mit ihrem ECHO-Programm seit vielen Jahren in der Konfliktregion in der humanitären Hilfe. Das Europäische Parlament hat in dem interfraktionellen Entschließungsantrag zur Lage in der Westsahara vom 24. November 2010 seine Besorgnis über die jüngste Entwicklung in der Region zum Ausdruck gebracht.

In die Frage des Zuganges zu den Fischressourcen im Atlantik vor der Küste der Westsahara ist Bewegung gekommen. Die Legitimität der Teilhabe der Sahrauis an den Fischvorkommen des eigenen Lebensraumes steht für mich außer Frage. Die marokkanische Regierung hat nach dem Gemeinsamen Ausschuss von EU und Marokko im Februar 2010 die Frage immerhin aufgegriffen, und die EU-Kommission erwartet nun nach dem EU-Marokko-Assoziationsausschuss vom 28. Oktober 2010 eine Wirkungsanalyse von Marokko. Diese Analyse ist unbedingt einzufordern und seitens der EU und der Bunderegierung kritisch zu begutachten.

Gerade angesichts der jüngst wiederaufflammenden Gewalt muss erneut alles dafür getan werden, dass substanzielle Verhandlungen zwischen den Konfliktparteien über eine dauerhafte Lösung des Konfliktes unter dem Dach der Vereinten Nationen auf den Weg kommen. Das Format der Verhandlungen ist dabei nachrangig. Entscheidend ist es, dass sie - im Sinne der Krisenprävention und Deeskalation - zunächst eine Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen in der Westsahara erreichen. Ich denke, dass alle, die sich länger mit dem Westsahara-Konflikt beschäftigt haben, nicht der Illusion anhängen, diesen Konflikt kurzfristig lösen zu können. Die internationale Gemeinschaft muss den Westsahara-Konflikt aber wieder verstärkt auf die politische Agenda setzen. In diesem Sinne appelliere ich an die Bundesregierung, in ihren Aktivitäten für die Menschen der Krisenregion im Rahmen der Vereinten Nationen, in der Europäischen Union und auch bilateral nicht nur nicht nachzulassen, sondern sie zu forcieren.

Ein Mehr an regionaler Stabilität im Nordwesten Afrikas ist nicht nur im Interesse der EU und der gesamten Weltgemeinschaft, es sollte vor allem im Interesse der Anrainerstaaten der Konfliktregion liegen. Die neuesten Entwicklungen im Maghreb zeigen, dass die Region in eine Phase sozialer und politischer Veränderungen eintritt. Aus diesem Grund liegt in der Verbesserung der regionalen Integration des Nordwestens des afrikanischen Kontinentes eine Entwicklungschance - auch für neue Wege zur Lösung der Westsahara-Frage. Die Staaten der Region müssten erkennen, welche Vorteile eine regionale Integrationspolitik zwischen den Nachbarn nicht nur außenpolitisch, sondern auch innenpolitisch und ökonomisch für sie brächte. Die unbestreitbaren Vorteile der Geschichte der Integration Europas nach dem Zweiten Weltkrieg könnten für sie eine Inspiration für mehr regionale Integration sein. Wir Europäer dürfen nicht müde werden, den größten Gewinn der EU-Integration, die Sicherung des Friedens innerhalb ihrer Grenzen, allen Weltregionen als nachahmungswürdig zu empfehlen. Daher möchte ich aus aktuellem Anlass mit dem Aufruf zu einer verbesserten Süd-Süd-Kooperation in Norden Afrikas enden.


Marina Schuster (FDP):

Der Westsahara-Konflikt kann nur unter Beteiligung der Vereinten Nationen gelöst werden, da er von vielen ungeklärten Fragen geprägt ist. Die Rechtsauffassungen divergieren, der völkerrechtliche Status der Westsahara ist ungeklärt. Bereits der Titel des Antrags der Linken ist tendenziös und der Antrag einer nachhaltigen Lösung in diesem Konflikt abträglich.

Selbstverständlich ist der Westsahara-Konflikt regelmäßig Gegenstand politischer Gespräche und Kontakte der Bundesregierung und in der Europäischen Union mit Partnern in der Region. Auch in dem Fall der sahrauischen Aktivistin Aminatou Haidar haben wir Parlamentarier klar Position für Frau Haidar und für die Menschenrechte bezogen.

Nach unserer Auffassung liegt der Schlüssel in einer erfolgreichen politischen Vermittlung durch die Vereinten Nationen. Wir setzen daher weiterhin auf Bemühungen der Vereinten Nationen, im Einverständnis zwischen den Beteiligten und auf Grundlage bestehender UN-Resolutionen, eine friedliche Lösung des Westsahara-Konflikts zu finden. Der Sondergesandte der Vereinten Nationen für die Westsahara, Christopher Ross, bereiste im Oktober 2010 erneut die Region. Er plant eine neue, dritte Runde informeller Konsultationen im Laufe des Novembers. Die zweite Runde informeller Konsultationen hatte Anfang Februar in den Vereinigten Staaten stattgefunden. Neben Marokko und der POLISARIO waren auch Algerien und Mauretanien präsent. Es kam jedoch wiederum nur zu einem Austausch bekannter Positionen. Die Konsultationen sollen auch zur Vorbereitung formeller Verhandlungen im Rahmen des sogenannten Manhasset-Prozesses dienen. Die FDP-Bundestagsfraktion appelliert daher an alle Parteien, die Gespräche unter der Führung des Sondergesandten Christopher Ross so schnell wie möglich fortzusetzen, um die Lösung des Konflikts aus sich heraus zu lösen.

Ebenso wie die Resolution des Sicherheitsrates 1754 (2007) ruft die Resolution 1871 (2009) die Parteien auf, Verhandlungen direkt zu führen. Das Mandat der Vereinten Nationen für das Referendum in der Westsahara, MINURSO, sichert diese Verhandlungen ab. Diesem Aufruf schließt sich die FDP-Bundestagsfraktion vollumfänglich an. Unabhängig vom völkerrechtlichen Status ist jedoch eines klar: Auch auf dem Gebiet der Westsahara müssen die Menschenrechte stärker geachtet und verteidigt werden. Es darf nicht sein - und wir werden dies nicht hinnehmen -, dass die Augen vor der Menschenrechtslage verschlossen werden. Deswegen sind Menschenrechte immer Thema bei Gesprächen mit Vertretern des Königreichs Marokko. Die Bundesregierung beobachtet die Entwicklung der Menschenrechtslage in den von Marokko besetzten Gebieten intensiv. Das Thema wird regelmäßig bei bilateralen Gesprächen auf allen Ebenen angesprochen. Außenminister Westerwelle hat im Gespräch mit seinem marokkanischen Amtskollegen am 15. November 2010 die Bedeutung einer friedlichen, konsensuellen Lösung des Westsahara-Konflikts im Rahmen der Vereinten Nationen unterstrichen. Der marokkanische Außenminister hat seinerseits die Bereitschaft zu und das Interesse Marokkos an fortgesetzten Verhandlungen auf Grundlage der Resolutionen der Vereinten Nationen betont. Dies gilt es weiter zu fordern und zu fördern.

Deutschland wird auch weiterhin alle Bemühungen der Vereinten Nationen unterstützen, um zu einer friedlichen und konsensuellen Lösung des Konfliktes zu gelangen. Das Auswärtige Amt trägt zu den vertrauensbildenden Maßnahmen des UNHCR bei. In den Jahren 2008 bis 2010 wurden hierfür zusammen gut 600.000 Euro zur Verfügung gestellt. Das BMZ hat von 1981 bis 2006 knapp 12 Millionen Euro im Rahmen der Nahrungsmittel-, Not- und Flüchtlingshilfe beigetragen. Über die EU, ECHO, wurden seit Bestehen des Konfliktes rund 130 Millionen Euro für die Flüchtlingshilfe zur Verfügung gestellt, das jährliche ECHO-Budget für die Flüchtlingslager beträgt rund 10 Millionen Euro. Über die Vereinten Nationen, Mediationsfonds, unterstützt Deutschland indirekt den Sondergesandten. Über das Programm "Deutsche Akademische Flüchtlingsinitiative" beim UNHCR werden derzeit Stipendien für über 20 sahrauische Studierende finanziert.

Auch im EU-Rahmen fordern die Bundesregierung und ihre Partner regelmäßig schriftlich und über Demarchen Aufklärung zu akuten Vorfällen bei den Konfliktparteien Marokko, der POLISARIO und den Nachbarstaaten, insbesondere Algerien. Im Rahmen der europäischen Nachbarschaftspolitik werden regelmäßig die Themen Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit angesprochen. Der politische Dialog des Aktionsplans mit Marokko sieht dies genauso vor wie das Assoziierungsabkommen, welches den Menschenrechten eine grundlegende Bedeutung für die Innen- sowie Außenpolitik der EU und Marokkos zuweist.


Sevim Dagdelen (DIE LINKE):

Ein von der Welt verdrängter Konflikt ist neu entflammt. In der Westsahara, dort, wo seit 35 Jahren Marokko völkerrechtswidrig als Besatzungsmacht regiert. Der Konflikt begann bereits mit der Berliner Afrika-Konferenz, sogenannte Kongo-Konferenz, 1884 bis 1885 in Berlin, als die Kolonialmächte Afrika unter sich aufteilten. Spanien wurde die Westsahara zugesprochen. Nachdem die UNO-Generalversammlung von Spanien ab 1965 wiederholt in Resolutionen die Dekolonialisierung der Westsahara verlangte, zog die spanische Kolonialmacht 1975 ab. Doch eine Dekolonisation scheiterte, da Marokko und Mauretanien die Westsahara militärisch besetzten. Nachdem sich Mauretanien 1979 zurückgezogen hatte, besetzte Marokko das gesamte Territorium und erklärte 1976 die Annexion des Territoriums.

Seitdem wurden Hunderttausende Sahrauis aus ihrer Heimat vertrieben. Sie leben in Flüchtlingslagern in Algerien, oft getrennt von ihren Familienangehörigen, die zurückblieben. Diejenigen, die nicht vertrieben wurden oder geflohen sind, müssen abgeriegelt hinter einem 2 700 Kilometer langen elektronisch gesicherten und verminten Wall leben. Sie sind den alltäglichen Schikanen und Diskriminierungen der marokkanischen Polizei und Besatzungsbehörden ausgesetzt. Regelmäßig kommt es zu willkürlichen Inhaftierungen und Anklagen. Hinsichtlich Inhaftierter berichtet Amnesty International über Folter. Prozesse insbesondere gegen Sahrauis, die sich für die Unabhängigkeit der Westsahara aussprechen, halten laut zahlreichen Menschenrechtsorganisationen nicht den internationalen Standards für faire Gerichtsverfahren stand.

Sowohl der Hungerstreik der Menschenrechtsaktivistin Aminatou Haidar im November/Dezember 2009, aber auch der Protest von circa 20.000 Sahrauis im Oktober 2010 in dem "Camp der Würde" drängte den letzten Kolonialkonflikt in Afrika in den Blickpunkt der Weltöffentlichkeit. Diese protestierten friedlich gegen ihre soziale Benachteiligung, gegen die massiven Menschenrechtsverletzungen durch die marokkanischen Sicherheitsbehörden und die Besetzung. Am Morgen des 8. November 2010 räumten marokkanische Sicherheitskräfte gewaltsam das Protestcamp in der Wüste vor den Toren der Stadt El-Aaiún. Dabei starben nach sahrauischen Angaben zwölf Menschen, Marokko spricht von zwei getöteten Polizisten und einem Feuerwehrmann. Mehrere Hundert Demonstranten wurden schwer verletzt. Das Camp wurde dem Erdboden gleichgemacht, die Zelte in Brand gesteckt. Dabei haben diese Menschen zu Recht gegen die völkerrechtswidrige Besetzung der Westsahara durch Marokko, gegen die illegale Plünderung ihrer Naturschätze sowie gegen ihre Diskriminierung protestiert.

Das alles passierte und passiert in unmittelbarer Nachbarschaft der EU, unweit von beliebten Reisezielen auch deutscher Touristinnen und Touristen wie den Kanarischen Inseln. Und die Bundesregierung schweigt. Aber sie schweigt nicht nur und schaut nicht einfach nur weg. Nein, die Bundesregierung belohnt auch noch Marokko dafür, dass es durch die Besatzung Völkerrecht bricht und sich kontinuierlich schwerster Menschenrechtsverletzungen schuldig macht. Sie lässt die sahrauische Bevölkerung für die schmutzigen Dienste Marokkos bei der vermeintlichen Bekämpfung des internationalen Terrorismus und der Flüchtlingsabwehr bezahlen.

Die Linke sagt deutlich, wie die Bundesregierung Marokko belohnt: Die Bundesregierung belohnt Marokko, indem sie seit 1966 militärische Ausbildungshilfe für die marokkanischen Streitkräfte leistet, obwohl sie an der völkerrechtswidrigen Besatzung der Westsahara beteiligt sind. Mehrere marokkanische Offiziere haben Lehrgänge an Ausbildungseinrichtungen der Bundeswehr und Studiengänge an den Hochschulen der Bundeswehr absolviert.

Die Bundesregierung belohnt zusammen mit der EU Marokko durch Ausrüstungs- und Ausstattungshilfen für marokkanische Polizei- und Gendarmeriekräfte, also genau jene, die auch an der Räumung des "Camps der Würde" und den Gewalttaten gegen die sahrauische Bevölkerung beteiligt waren und sind.

Die Bundesregierung belohnt Marokko auch, indem sie die humanitäre Hilfe des Auswärtigen Amtes zugunsten der Opfer des Westsahara-Konfliktes 2007 eingestellt hat. Nicht einmal mehr die zuletzt 2006 gezahlten 100.000 Euro wollte die alte Bundesregierung mehr für die Opfer aufbringen. Auch die Unterstützung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung für die sahrauischen Flüchtlinge im Rahmen der Nahrungsmittel-, Not- und Flüchtlingshilfe wurde bereits 2007 eingestellt.

Und auch die EU belohnt Marokko - mit wohlwollender Zustimmung der Bundesregierung - seit Jahren in der EU-Nachbarschaftspolitik mit einem hervorgehobenen Status. Marokko erhielt in diesem Rahmen 1 Milliarde Euro allein zwischen 2007 und 2010. Die Bundesregierung belohnt Marokko für seine völkerrechtswidrige Besatzungspolitik und die kontinuierlichen Menschenrechtsverletzungen auch im Rahmen der Flüchtlingsabwehr mit der Unterstützung für eine Verlängerung des EU-Fischereiabkommens - und das trotz der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Fischereiabkommens durch den UN-Rechtsberater Hans Corell in 2002. Damit missachten Bundesregierung und EU die unveräußerlichen Rechte der "Völker der Gebiete ohne Selbstregierung" auf ihre natürlichen Ressourcen. Das meint auch der Juristische Dienst des Europaparlaments. Dieser vertritt die Rechtsauffassung, dass der Fischfang im Rahmen eines partnerschaftlichen Fischereiabkommens zwischen der EU und Marokko weder in Konsultation mit der sahrauischen Bevölkerung der Westsahara stattfindet, noch die Bevölkerung die Einnahmen aus der Verwertung ihrer eigenen reichen Fischbestände erhält. Folglich ist das Abkommen völkerrechtswidrig.

Alle diese erwähnten Belohnungen waren nicht umsonst und sollen es natürlich auch in Zukunft nicht sein. Die reichen Fischgründe vor den Küsten und die großen Phosphatvorkommen im Inland der Westsahara sollen weiter quasi zum Nulltarif europäischen Fischfangflotten und internationalen Konzernen preisgegeben werden. Auch der nationale Energieplan Marokkos, der mithilfe der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit, GTZ, erstellt wurde und ganz selbstverständlich Standorte in der Westsahara miteinschließt, soll deutschen Profitinteressen dienen. Er sieht die Einführung und Privatisierung erneuerbarer Energien durch gewaltige Windparks und Solaranlagen vor, die als Vorstufe des Desertec-Projektes gelten. Der Plan des von deutschen Großunternehmen wie zum Beispiel Münchener Rück, Siemens, Eon, RWE und Deutsche Bank dominierten und von der Bundesregierung unterstützten Projekts besteht darin, bis 2050 15 bis 20 Prozent der in Europa verbrauchten Energie aus solchen Großanlagen in Nordafrika zu beziehen - ohne Befragung und Hinzuziehung der Saharauis oder deren Interessenvertretungen bei den Planungen. Die Linke lehnt das Projekt "Desertec" ab. Dieses Projekt wirft neben umweltpolitischen vor allem außenpolitische, menschenrechtliche und entwicklungspolitische Fragen auf, die auch mit der von Marokko völkerrechtswidrig besetzten Westsahara zusammenhängen.

Die Bundesregierung darf nicht weiter die sahrauische Bevölkerung für die schmutzigen Dienste Marokkos bei der vermeintlichen Bekämpfung des internationalen Terrorismus, der Flüchtlingsabwehr und den Profitinteressen der deutschen Wirtschaft opfern. Sie muss endlich die permanenten Rechtsverletzungen der marokkanischen Regierung deutlich öffentlich verurteilen und Konsequenzen ziehen. Sie darf Marokko nicht weiter darin bestärken, ungehindert das seit über 20 Jahren fällige Referendum über den Status der Westsahara und damit das Recht der Sahrauis auf Selbstbestimmung, das ihnen im Zuge der Dekolonisation zusteht, sabotieren zu können.

Ich stelle nun dar, welche Konsequenzen die Linke fordert:

Wir fordern die Bundesregierung auf, sich dafür einzusetzen, dass Marokko endlich die Resolution 690 des UN-Sicherheitsrates vom 29. April 1991 umsetzt und das Referendum über die Zukunft der Westsahara unter UN-Aufsicht nicht weiter blockiert.

Die Linke fordert die Bundesregierung auf, die gewaltsame Auflösung des Protestcamps Anfang November 2010 und die Niederschlagung der anschließenden Demonstrationen zu verurteilen und eine internationale Untersuchung der Vorfälle einzufordern.

Jegliche Ausbildungs- und Ausstattungshilfe für marokkanische Polizei- und Armeekräfte ist einzustellen.

Wir fordern, dass sich die Bundesregierung innerhalb der EU endlich energisch dafür einsetzt, dass das Assoziationsabkommen der EU mit Marokko sowie der fortgeschrittene Status der Beziehungen zur EU zumindest solange ausgesetzt werden, bis Marokko seine völkerrechtswidrige Besatzung beendet hat.

Die Bundesregierung wird von uns aufgefordert, sich in der EU dafür einzusetzen, dass das EU-Fischereiabkommen bis zum 27. Februar 2011 gekündigt wird, damit es sich nicht automatisch verlängert. Eine automatische Verlängerung des Fischereiabkommens zwischen der EU und Marokko muss so lange verhindert werden, wie die Westsahara nicht eindeutig vom Vertrag ausgeschlossen ist.

Die Linke fordert die Bundesregierung auf, insbesondere im Lichte der aktuellen Ereignisse in Tunesien und Ägypten, ihre Unterstützung gegenüber autoritären Regimen zu beenden und ihre Außenpolitik auf Rechts- und Sozialstaatlichkeit sowie auf das Völkerrecht zu orientieren.


Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Beide vorliegenden Anträge benennen die Schikanen und Menschenrechtsverletzungen durch marokkanische Behörden in Westsahara und die unerträgliche Situation, in der große Teile des Volkes der Sahrauis seit Jahrzehnten leben und weisen darauf hin, dass der Staat Marokko sich beharrlich weigert, die UN-Resolution 690 aus dem Jahre 1991 umzusetzen. Schon in den 70er-Jahren habe ich den Befreiungskampf der Frente POLISARIO gegen die Kolonialherrschaft Spaniens mit großem Interesse verfolgt. Wir haben versucht, diesen solidarisch zu unterstützen. Als Bundestagsabgeordneter befasse ich mich seit vielen Jahren mit der verzweifelten Lage der Sahrauis und dem ungelösten Problem des politischen und rechtlichen Status der Westsahara. Die Repression des marokkanischen Staates hat ständig zugenommen, wie auch die Ungeduld und Unzufriedenheit der Sahrauis.

Ich war im Gebiet Westsahara. Dort gibt es einen unpassierbaren Schutzwall, der Westsahara teilt. Die 140.000 Flüchtlinge, die in Lagern in der Sahara leben, können nicht ins Gebiet Westsahara reisen, Besucher der Lager werden nicht durchgelassen. So hätte auch ich Tausende von Meilen fliegen müssen, um über Algier zu den Flüchtlingen zu gelangen. Ich bin im andauernden Kontakt mit dem Vertreter der POLISARIO. Ich habe mich 2009 mit der Menschenrechtsaktivistin Frau Haidar solidarisiert, als diese über 30 Tage im Hungerstreik in Lanzarote festsaß, weil ihr die Rückkehr in ihre Heimat Westsahara von Marokko verweigert wurde. Ich weiß, dass 1991 die POLISARIO den Kampf eingestellt und einen Waffenstillstand verkündet hatte, weil die UNO einen Friedensplan vorgelegt hatte, der dem sahrauischen Volk versprach, mit einer Volksabstimmung darüber entscheiden zu können, ob es in einem eigenen Staat oder im Staat Marokko mit einem autonomen Status leben will. Dieses Versprechen wurde vom Weltsicherheitsrat der UN in der Resolution 690 bekräftigt.

20 Jahre warten die Sahrauis auf die Einlösung dieses Versprechens der Völkergemeinschaft vergebens. Marokko weigert sich, überhaupt ernsthaft über die Volksabstimmung zu reden. Die Sahrauis sind wütend und enttäuscht, auch von der UN und dem Sicherheitsrat. Sie sehen sich von der Völkergemeinschaft, der UNO im Stich gelassen, von der EU, den Regierungen der europäischen Länder verraten und vergessen. Zu Recht. Ich habe auch mit Vertretern Marokkos gesprochen, nicht nur mit dem Botschafter in Berlin, und auch mit Marokkanern in Marokko. Daher weiß ich, wie schwer eine Lösung des Problems heute ist. Durch das lange Zuwarten mit der Umsetzung der UN-Resolution ist großer Schaden entstanden.

Große Teile der Bevölkerung Marokkos sehen heute Westsahara als untrennbaren Teil des eigenen Landes. Das gilt nicht nur für den König und die Regierung Marokkos. Schon 1975 hatte der König 350.000 Marokkaner nach Westsahara in Marsch gesetzt. Seither ist weit mehr als ein Vierteljahrhundert vergangen. Viel hat sich geändert. Es wurden Fakten geschaffen. Viele Marokkaner wurden inzwischen in Westsahara angesiedelt. So ist es zum Beispiel heute ein Problem, zu bestimmen, wer in Westsahara bei dem Referendum abstimmungsberechtigt ist.

Die Zugehörigkeit von Westsahara zu Marokko ist zur nationalen Frage hochstilisiert worden. Schon als Kinder haben die Marokkaner in der Schule gelernt, dass Westsahara ein Teil Marokkos ist. Ein durchaus liberal eingestellter Regierungsvertreter Marokkos hat mir dazu gesagt, keine Regierung könnte sich im Amt halten, die der Loslösung der Westsahara von Marokko zustimmen würde. Die Propaganda ist allgegenwärtig. Die Überhöhung der Westsahara-Frage habe ich in Marokko in den Medien, in der Öffentlichkeit und in der Bevölkerung vielfach bestätigt gefunden. Gerade das macht heute eine vernünftige Lösung so schwer. Kein Premier verhandelt gern über eine Lösung, die seinen Sturz bedeutet. Das heißt nicht, dass die Verschleppung des Referendums honoriert werden darf, weil die Durchsetzung schwieriger geworden ist. Das rechtfertigt vor allem nicht die Aufrechterhaltung der Vertreibung von 160.000 Sahrauis in Lager in der Wüste Sahara, nicht die Gewalt gegen die 15.000 Menschen in dem Zeltlager bei El Ajun, die Tötung des 14-jährigen Nayem El-Garhi, die willkürliche Verhaftung von Sahrauis durch marokkanische Sicherheitskräfte, die Einschränkung der Medienfreiheit und all die vielen Menschenrechtsverletzungen. Marokko tut seinen wohlverstandenen Interessen keinen Gefallen und verspielt sein internationales Prestige. Immer mehr Verbote, Repression und Gewalt sind falsche Reaktionen auf das Freiheits- und Unabhängigkeitstreben der Sahrauis.

Deshalb fordern wir die marokkanische Regierung auf: Öffnet den Schutzwall zwischen den Flüchtlingslagern und dem übrigen Land. Auch diese Mauer muss weg. Alle Sahrauis, Journalisten, humanitären Organisationen, internationalen Beobachter und Abgeordnete müssen freien Zugang nach Westsahara und die Möglichkeit haben, sich frei zu bewegen. Gefängnisse und Strafverfahren müssen internationalen Standards entsprechen. Die Meinungs- und Pressefreiheit muss auch in Westsahara und für Sahrauis gelten. Diese Forderungen zu erfüllen, ist eine Selbstverständlichkeit und im Interesse Marokkos. Das wäre der richtige Beitrag zur Deeskalation. Die Bundesregierung muss das deutsche Verhältnis zu Marokko von der Erfüllung dieser Forderung abhängig machen.

Ansehen und Glaubwürdigkeit der UNO und der Völkergemeinschaft leiden, wenn UN-Beschlüsse durch jahrzehntelanges Nichtstun und Nichtbefolgung faktisch außer Kraft gesetzt werden können und stattdessen Menschenrechte verletzt werden. Deshalb sollte die UNO ihre Verantwortung wahrnehmen, die Ereignisse der letzten Monate, die Todesfälle und das Verschwinden von Personen durch ein internationales Gremium untersuchen, die Einhaltung der Menschenrechte überwachen und eine konstruktive Rolle bei der Lösung des Westsahara-Konflikts übernehmen. Das heißt, Gespräche und Verhandlungen müssen aufgenommen werden, um eine faire, dauerhafte und für alle Seiten akzeptable politische Lösung im Einklang mit den UN-Resolutionen zu erreichen. Die Bundesregierung als Mitglied des Sicherheitsrates muss die Initiative dafür ergreifen. Ehemals reiche Fischgründe und Ölfunde vor der Küste Westsaharas sowie Bodenschätze im Land dürfen nicht zum Fluch werden, sondern können eine große Chance für die geschundene sahrauische Bevölkerung und die Lösung der Probleme sein. Auch Marokko könnte davon profitieren.

Der Westsahara-Konflikt muss auf der Tagesordnung
bleiben, hier und international, bis er gelöst ist.


Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf Drucksache 17/4271 und 17/4440 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Damit sind Sie, wie ich sehe, einverstanden. Die Überweisungen sind so beschlossen.


Anmerkung der Redaktion Schattenblick:

Die Plenarprotokolle des Deutschen Bundestages sind sowohl als PDF- als auch als Textdokument erhältlich
http://www.bundestag.de
Startseite → Dokumente & Recherche → Protokolle


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Quelle:
Auszug aus dem Plenarprotokoll 17/87
Deutscher Bundestag - Stenografischer Bericht
87. Sitzung - Berlin, Donnerstag, den 27. Januar 2011
http://www.bundestag.de/dokumente/protokolle/plenarprotokolle/17087.pdf


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Januar 2011