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BERICHT/028: Landraub durch Staaten und Multis (Archipel)


Archipel Nr. 168 - Zeitung des Europäischen Bürgerforums - Februar 2009

LAND - WIRTSCHAFT:
Landraub durch Staaten und Multis

Von Jacques Berguerand (Longo maï)


Dieser Artikel ist die Zusammenfassung eines Berichts der NGO Grain vom Oktober 2008. Das zeitliche Zusammenfallen von einer Nahrungsmittel- und Finanzkrise löste weltweit massiven Aufkauf von Ackerland aus.


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Einerseits reißen sich Regierungen, die für die Ernährung der Bevölkerung auf Importe angewiesen sind, große Ländereien im Ausland unter den Nagel, um so die Ernährungssicherheit offshore zu garantieren.

Andererseits wittern Nahrungsmitteltrusts (Cargill, Dreyfus, Bunge, Dol, Chiquita, Pokphand - thailändischer Hühnermulti, der den Skandal der Vogelgrippe auslöste) und private Geldanleger, die angesichts der Verschärfung der Finanzkrise nach neuen Profitquellen suchen, große Chancen beim Aufkauf von landwirtschaftlichen Böden im Ausland.

Fruchtbares Land wird so immer mehr privatisiert und in wenigen Händen konzentriert. Wenn dieser Vorgang weiterhin unkontrolliert bleibt, könnte diese weltweite Enteignung von Land das Verschwinden der kleinen Bauernhöfe und der Subsistenzlandwirtschaft in vielen Regionen der Welt bedeuten.


Landraub

Landraub gibt es seit Jahrhunderten. Von der «Entdeckung» Amerikas an und der brutalen Vertreibung der dortigen einheimischen Bevölkerung ist diese Vorgehensweise bis heute aktuell. Es vergeht kaum ein Tag ohne Presseberichte über Auseinandersetzungen um Land, in China, in Indien, auf den Philippinen oder in Südamerika. Die neue Industrie für Agrartreibstoffe, gefördert als Antwort zur Klimaerwärmung und zur angekündigten Erdölkrise, breitet sich vor allem durch Vertreibung der ansässigen Landbevölkerung aus. Zwei parallele Strategien zeichnen sich in dieser Bewegung des Ausverkaufs von Ackerland ab.

Zum einen handelt es sich um eine Strategie der Ernährungssicherheit. Gewisse Länder, die über große Liquiditäten verfügen, sind auf Nahrungsmittelimporte angewiesen und machen sich Sorgen um Spannungen und Engpässe auf dem Nahrungsmittelmarkt. Sie bemächtigen sich des Bodens, um langfristig die billige Ernährung ihrer Bevölkerung sicherzustellen. Saudiarabien, Japan, China, Indien, Südkorea, Libyen und Ägypten (Uganda überlegt sich, 900.000 Hektar zur Verfügung stellen) gehören zu dieser Kategorie.

Die Suche nach fruchtbaren Böden findet vor allem in Uganda, Brasilien, Pakistan, Kambodscha (das Welternährungsprogramm WFP schickt in dieses Land große Mengen an Nahrungsmittelhilfe), Madagaskar, Indonesien, den Philippinen und im Sudan statt; alles arme und sehr arme Länder.

Angesichts der Krise in Darfour, wo das WFP 5,6 Millionen Flüchtlinge ernährt, scheint es eigentlich völlig unglaublich, dass andere Länder dem Sudan Ackerland abkaufen. Aber im Allgemeinen geben die umworbenen Regierungen ihre Einwilligung zu den ausländischen Investitionen.

Bei der zweiten Strategie handelt es sich vor allem um finanzielle Auswirkungen. Wegen des aktuellen Finanzdebakels interessieren sich Vertreter der Finanzwelt und der Nahrungsmittelmultis für Landbesitz, sowohl für die Nahrungsmittel- und Agrartreibstoffproduktion als auch, um sich neue Profitquellen zu erschließen. Das Zusammentreffen von Nahrungsmittel- und Finanzkrise machte die Landwirtschaftsböden zu einem neuen strategischen «Aktivposten», zu einem «Fluchtwert». Vielerorts auf der Welt sind die Nahrungsmittelpreise teuer, der Bodenpreis hingegen eher tief.

Die zwei Wege treffen sich, denn in beiden Fällen hat der Privatsektor die Kontrolle über die Projekte. Die Regierungen führen die Operation als Programm der öffentlichen Politik durch. Die Regierungsvertreter verhandeln und schließen die Verkaufsverträge im Namen der Nahrungsmittelsicherheit ab, aber die Ausführung des Projektes wird dem Privatsektor überlassen.


Nahrungsmittelsicherheit

Die Liste der wichtigsten staatlichen Landkäufer, um die Nahrungsmittelsicherheit zu garantieren, ist beeindruckend: China, Indien, Japan, Malaysia und Südkorea in Asien; Ägypten und Libyen in Afrika; Bahrain, Jordanien, Kuwait, Quatar, Saudiarabien und die Vereinigten Arabischen Emirate im Mittleren Osten.

Die Situation in diesen Ländern ist natürlich sehr verschieden.

Mit 40 Prozent der Bauern weltweit verfügt China bloß über 9 Prozent an Landwirtschaftsland. Diese Böden verschwinden zum Teil durch die industrielle Entwicklung und sind oft Grund für schwere Konflikte. Peking begann schon lange vor dem Ausbruch der Nahrungsmittelkrise im Jahre 2007, einen Teil seiner Nahrungsmittelproduktion ins Ausland zu verlegen. Dreißig Abkommen für landwirtschaftliche Zusammenarbeit wurden in den letzen Jahren unterzeichnet, im Austausch zu Industrietechnologie, Entwicklungsgeldern und Ausbildungsprogrammen.

Von Kasachstan nach Queensland (Australien) über Mosambik und die Philippinen (China kaufte dort 1,2 Millionen Hektar) umfasst die landwirtschaftliche Tätigkeit den Anbau von Reis, Soja, Mais, sowie Agrartreibstoffpflanzen Zuckerrohr, Maniok und Hirse. Der im Ausland hergestellte Reis stammt von aus China importiertem Hybridsaatgut.

Die Golfstaaten stecken in einer völlig anderen Realität. Sie verfügen nur über wenig Wasser und Land, aber sie besitzen Unmengen an Erdöl und Geld. Die Lebensmittelkrise war für sie ein großer Schock. Die Kosten für Lebensmittelimporte stiegen in den letzten Jahren sprunghaft an, von fünf auf zwanzig Milliarden Dollar. Ihre Bevölkerung besteht zum großen Teil aus schlecht bezahlten Einwanderern: eine soziale Bombe mit Spätzünder. Die Ausländer machen über 60 Prozent der Gesamtbevölkerung der Golfstaaten aus. In den arabischen Emiraten sind es gar 82 Prozent ImmigrantInnen, vorwiegend aus Asien; sie ernähren sich vor allem von Reis. Saudiarabien will sein Getreide im Ausland produzieren und kaufte 1,6 Millionen Hektar in Indonesien. Die Golfstaaten wollen mit den islamischen Bruderländern Abkommen abschließen im Austausch von Erdöl und Geld: Es handelt sich um den Sudan, Pakistan, Burma, Kambodscha, Indonesien, Laos, die Philippinen, Thailand, Vietnam, die Türkei, Kasachstan, Uganda, die Ukraine, Georgien, Brasilien...

Japan beschafft sich 60 Prozent seiner Nahrungsmittel im Ausland und kauft Ackerland in Brasilien und China für Milch und Sojaproduktion. Dies mit Hilfe seiner fünf Handelskonglomerate, die den Nahrungsmittelmarkt Japans beherrschen (der größte unter ihnen ist Mitsubishi). Unter der Nahrungsmittelindustrie sind wahrscheinlich die japanischen und arabischen Handelsketten und Verarbeitungsindustrien die aktivsten im Aufkauf von ausländischem Kulturland.

Die Nahrungsmitteltrusts Südkoreas kaufen bereits in der Mongolei und Ostrussland Böden. Korea kauft alljährlich mehr als 10 Millionen Tonnen Mais auf dem internationalen Markt. Es ist der viertgrößte Importeur überhaupt. Daewoo, ein südkoreanisches Industriekonglomerat, unterzeichnete Ende 2008 ein Abkommen mit Madagaskar, um auf der großen Insel 1,3 Millionen Hektar für 99 Jahre zu pachten, was fast der Hälfte der Fläche Belgiens entspricht. Daewoo will Agrartreibstoff mit Mais und Ölpalmen produzieren. Im Abkommen verpflichtet sich der Multi bloß, selber die notwendigen Infrastrukturen für den industriellen Anbau zu finanzieren.

Auch Indien produziert Ölpflanzen, Leguminosen und Baumwolle anderswo. Burma baut Linsen an, die in Indien ein wichtiges Nahrungsmittel sind. Indonesien liefert Palmenöl. Die indische Zentralbank versucht, Gesetze so zu verändern, dass sie indischen Privatunternehmen Kredite zusprechen darf, damit diese im Ausland Anbauflächen erwerben können.


Ein neuer Anziehungspunkt

Die Deutsche Bank und Goldman Sachs wollen die Kontrolle der chinesischen Tierzucht übernehmen. Morgan Stanley, die sich auch in die Warteschlange einreihte, um vom amerikanischen Finanzdepartement eine Geldspritze zu kriegen, kaufte neulich 40.000 Hektar in der Ukraine. Eine russische Investmentgesellschaft beschaffte sich 300.000 Hektar Landwirtschaftsboden im gleichen Land. Black Earth Farming, eine schwedische Finanzgruppe, erwarb die Kontrolle über 331.000 Hektar in der Region der Schwarzen Erde in Russland. Alpcot-Agro, ein anderes schwedisches Unternehmen, bemächtigte sich in der gleichen Region 128.000 Hektar. Landkorm, eine britische Gesellschaft, erwarb in der Ukraine 100.000 Hektar Land und will bis 2011 weitere 350.000 Hektar aufkaufen.

Die Biotechnologiemultis Syngenta, Bayer und Monsanto stehen nicht abseits. Sie sind daran, diese Länder mit genmanipuliertem Saatgut zu verseuchen und ihre Pestizide abzusetzen. Die Regierungsvertreter von Burkina Faso vereinbarten mit Monsanto, auf 15.000 Hektar gentechnisch manipulierte Baumwolle anzubauen. Mehrere Tonnen Saatgut wurden bereits geliefert.

Der Slogan «in die Landwirtschaft investieren» ist bei praktisch allen Behörden und Experten, die mit der Lösung der Nahrungsmittelkrise beauftragt sind, zu einem Glaubensbekenntnis geworden. Die Explosion von Landraub im großen Stil ist in diesem Zusammenhang zu sehen.


Tiefgreifende Veränderung der internationalen Bodenpolitik

Die Weltbank, ihre internationale Finanzgesellschaft und die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE) bereiten den Weg für diese Investitionen und überzeugen die Regierungen, ihre Bodengesetze zu reformieren, um den Erfolg dieses Prozesses zu ermöglichen. Die Bodenpreise steigen, was zu noch schnellerem Handeln anspornt.

China führt eine große Reform durch, um den Bauern zu ermöglichen, ihr Anbau-Recht zu verkaufen. Das Land bleibt aber in Staatsbesitz. Es ist zu befürchten, dass dies zu einer riesigen Umstrukturierung der Landwirtschaftsbetriebe führen wird. Die sudanesische Regierung, die den Großteil der Agrarböden besitzt, gewährt Pachtverträge auf 99 Jahre gratis oder für einen äußerst geringen Preis. Die Regierung von Kasachstan verändert ihr Bodenrecht, um ausländische Investoren anzulocken.

Es ist anzunehmen, dass die Ukraine das Verbot, landwirtschaftliche Böden an Ausländer zu verkaufen, bald aufheben wird.

Laut Verantwortlichen der Weltbank ist die Anpassung des Bodenrechts Teil des Finanzpakets von 1,2 Milliarden Dollar zur Bekämpfung der Nahrungsmittelkrise in Afrika. Die EBWE macht ihren Einfluss in Europa und Zentralasien geltend, vor allem für die Reform der Bodenpolitik als Antwort auf die Nahrungsmittelkrise. Sie ist im speziellen an den wichtigsten Getreideexporteuren interessiert, an Russland, der Ukraine, Rumänien, Bulgarien und Kasachstan.


Was ist der Sinn der Sache?

Der Boom des Bodenkaufs zeigt, dass die Regierungen ihren Glauben an den Markt verloren haben. Das eigentliche Ziel dieser Verträge ist nicht landwirtschaftliche Entwicklung und noch viel weniger ländliche Entwicklung, sondern die Förderung der Industrielandwirtschaft und das Einstreichen von Profit. Nur wer diesen Punkt versteht, kann auch die versteckten Widersprüche der Dynamik des Landraubs erkennen.

Die Arbeiter, die Bauern und die lokalen Gemeinschaften werden unausweichlich den Zugang zum Boden für eine lokale Produktion von Nahrungsmitteln verlieren. Diese Aktivitäten werden die Nahrungsmittelkrise keineswegs verringern. Und sie bringen den lokalen Gemeinschaften auch keine Entwicklung. Viele der betroffenen Länder sind unter dem Strich selber Importeure von Lebensmitteln und erleben schwere Konflikte um Landwirtschaftsland, in Pakistan, Indonesien, den Philippinen, Ägypten, Brasilien, China, Indien und anderswo.

Diese Transaktionen verstärken eine exportorientierte Landwirtschaft. Sie fördern das Modell der Industrielandwirtschaft, das Armut schuf, Zerstörung der lokalen Systeme, diverse Verschmutzungen, Zerstörung der Umwelt und Verarmung der Biodiversität, Waldrodung und Bauernvertreibung bewirkte. Sie verschlimmern die Situation in allen Ländern.

Sogar Jacques Diouf, Generaldirektor der FAO, warnt vor dieser Form von «Neokolonialismus», wo arme Länder die Nahrung für die reichen Länder produzieren, zum Schaden ihrer eigenen, hungernden Bevölkerung.

Quellen:
http://www.grain.org/front/
und Stop OGM Infos

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Quelle:
Archipel - Monatszeitung des Europäischen Bürgerforums
Nr. 168, Februar 2009, S. 4-5
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. März 2009