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BERICHT/050: Politik zwingt Milcherzeuger zu Notwehr-Maßnahmen (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 324 - Juli/August 2009
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Politik zwingt Milcherzeuger zu Notwehr-Maßnahmen

Die AbL-Vorsitzenden zur Auseinandersetzung um den Abbau der
Übermengen am Milchmarkt als Voraussetzung für kostendeckende Preise

Von Maria Heubuch und Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf


Soviel geballte Trecker-Motorenkraft hat Europa bisher noch nicht gesehen. 1.000 Schlepper sind nach Brüssel gerollt. Dort redeten 27 Staats- und Regierungschefs der EU über die existenzbedrohende Situation der europäischen Milcherzeuger. Viele Berufskollegen saßen über eine Woche lang auf dem Schlepper, damit nicht nur geredet, sondern endlich gehandelt wird. Doch auch diese machtvolle Aktion hat die Regierungschefs nicht davon abgehalten, die Sache zu vertagen, auf einen Termin nach der Bundestagswahl.

Dabei ist die Lage eindeutig: Es wird weiter täglich mehr Milch erzeugt als abgesetzt werden kann. Das ist die Ursache von Milchpreisen zwischen 18 und 23 Cent. Wenn nicht weiter Kapital und Substanz vernichtet werden soll, muss die Produktion schnell und koordiniert reduziert werden. Das wissen alle! Das Instrument dazu gibt es, aber es wird nicht angewendet. Im Gegenteil, die Quote wird - wie einst am Brüsseler Verhandlungstisch beschlossen - weiter ausgedehnt.

Damit die Milch überhaupt zur Chefsache geworden ist, brauchte es schon eine ganz besondere Aktion. 200 bis 300 Milchbäuerinnen harrten Anfang Mai eine ganze Woche lang Tag und Nacht vor dem Berliner Kanzleramt aus, sechs Frauen traten in den Hungerstreik. Schnell wurden einmal mehr die Herzen der Bevölkerung erreicht. Da kam es nicht gut an, dass die Kanzlerin die Diskussion mit den Bäuerinnen vor ihrer Tür abblockte. Und so lud Frau Merkel Ende Mai doch noch zum Gespräch. Sie hörte aufmerksam zu und kündigte an, die Milch zum EU-Gipfel-Thema zu machen. Für die Motivation und das Ansehen der Milchbäuerinnen und Milchbauern in der Gesellschaft war die Aktionswoche ein Riesenerfolg. Aber die Politik bewegte sich nur scheinbar, am Ende steht jetzt das Brüsseler Vertagen.

Das erinnert stark an unsere Erfahrungen vom letzten Sommer. Nach der bis dahin ungekannten Solidarisierung unter den Milchbauern und Bäuerinnen im Milchstreik und dem großen positiven Widerhall in der gesamten Bevölkerung lud der - damalige Minister Seehofer zum Milchgipfel. Zum Schluss wurde mit allen Beteiligten, auch den Länderministern, die Umsetzung der politischen Forderungen des BDM zur Mengenreduzierung angekündigt. Allerdings wurde die Abstimmung auf einen Termin nach der Bayernwahl gelegt. Das endete mit dem Wortbruch im Bundesrat.

Die Politik weicht uns eins aufs andere Mal aus. Sie bedient weiter die Interessen der Industrie, wie schon in den letzten Jahrzehnten. Die Industrie hat kein Interesse daran, dass der Milchpreis wieder 40 Cent erreicht. Auch die Export-Subventionen haben nicht das Ziel, unser Milchgeld zu erhöhen, sondern der Industrie Absatzmärkte im Export zu sichern. Das ist kein Mittel, um unsere Krise einzudämmen. Es dehnt unsere Krise noch auf andere Kontinente aus, setzt auch dort Bäuerinnen und Bauern unter Druck und fällt am Ende auf uns zurück. Wir wollen keine Subventionen. Wir wollen vom Milchpreis leben und dazu braucht es eine Anpassung der Milcherzeugung an den tatsächlichen Bedarf des Marktes. Aber diejenigen, die die politische Macht dazu hätten, handeln anders, handeln gegen uns. In sinkende Absatzmärkte haben sie die Quoten seit April 2008 faktisch um fast fünf Prozent erhöht.

Es ist brutal. Es sind die politischen Entscheidungen, die die Milchviehbetriebe in die Verschuldung treiben. Es ist deshalb richtig, wenn die Verbände aus 14 europäischen Ländern im European Milk Board (EMB) eigene Notwehrmaßnahmen ins Spiel bringen. Das EMB hat der Politik bis Ende Juni Zeit gegeben, um zu reagieren. Wenn bis dahin die Quotenerhöhungen nicht kurzfristig zurückgenommen werden, behalten sich unsere Verbände "die Umsetzung auch härtester Maßnahmen zur Verteidigung der Milchviehbetriebe vor".

Die Politik hat nicht reagiert. 20 Cent für den Liter Milch halten viele Betriebe nicht mehr lange durch. Die Politik zwingt uns dazu, die Sache in die eigenen Hände zu nehmen, d.h. die Milchmenge selbst an den Bedarf anzupassen, schnell und wirksam.

Der Milchstreik 2008 richtete sich letztlich noch an die Politik, als eine Art Warnstreik, damit die Politiker in unserem Sinne handeln. Jetzt geht es darum, die Übermengen selbst vom Markt zu holen. Wir sind ohnehin immer dann besonders stark, wenn wir da aktiv sind, wo wir selbst direkt etwas bewegen können. Besonnen, entschlossen und gemeinsam - Bäuerinnen und Bauern, europaweit.

Das größte Risiko ist nicht, ob wir den Markt wirksam bereinigen können, das wird uns gelingen. Die größte Sorge ist vielmehr, ob wieder 70 Prozent der Bauern mitmachen, weil einige insgeheim hoffen, dass wir für sie die Kohlen aus dem Feuer holen. Deshalb müssen wir eine konzentrierte Mengenrückführung strategisch verbinden mit der weiteren Bündelung der Milch in der Erzeugergemeinschaft Milch Board. Auch da werden nicht alle mitmachen, doch wir können das Milch Board so stark machen, dass Preis und Menge nicht mehr an uns vorbei bestimmt werden können.

Es ist verrückt. In anderen Branchen werden Milliarden Euro in Kurzarbeit gesteckt, damit die Halden schrumpfen, statt zu wachsen. Bei der Milch würde das noch nicht einmal Geld kosten, aber es wird verweigert. Es geht um unsere Betriebe und um die Grundlage der bäuerlichen Milcherzeugung in Europa. Dafür tragen wir letztlich die Verantwortung. Also müssen wir sie jetzt wahrnehmen.


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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 324 - Juli/August 2009, S. 12
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. September 2009