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BERICHT/067: Die "wahre Grüne Revolution" - Saatgut und Welternährung (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt und Entwicklung - Rundbrief 4/2009
Schwerpunkt Welternährung

Die "wahre Grüne Revolution"
Saatgut und Welternährung

Von Rudolf Buntzel


Das Saatgut ist der Beginn der Nahrungs- und Wertschöpfungskette. Aus ihm wächst die Nutzpflanze mit Hilfe der gärtnerischen Betreuung durch den Menschen. Aus der Biomasse und den Inhaltsstoffen der Pflanzen entstehen Nahrungsmittel, Futtermittel oder landwirtschaftliche Rohstoffe. Sie sind Ausgangpunkt für alle möglichen Lebensmittel, Rezepte, Waren und selbst Treibstoffe. Jede Sorte einer Art verlangt eine andere Art der Behandlung, hat Stärken und Schwächen. Deshalb präjudiziert die Sorte das gesamte Anbausystem. Wer das Saatgut kontrolliert, kontrolliert die Ernährungswirtschaft.


In den genetischen Eigenschaften der Nutzpflanzen verbergen sich alle Kräfte der Pflanzenwelt, um mit den widrigen Umständen der belebten und unbelebten Natur fertig zu werden. Die Problemlösungskapazitäten für die Überlebens- und Ertragsbedingungen von Pflanzen, mit denen es die Nutzung durch den Menschen zu tun hat, stecken in den Genen. Jahrtausendlange Domestizierung und Züchtung durch geschickte und intelligente Selektion und Kreuzung durch Bauern und Bäuerinnen haben eine Vielfalt an Linien und Sorten jeder Nutzpflanze hervorgebracht, die die Kulturpflanze äußerst anpassungs- und leistungsfähig gemacht haben: robust, krankheits- und schädlingsresistent, anpassungsfähig an Kälte und Hitze, dürretolerant, widerstandfähig gegen Dürre, Flut oder Unwetter, große geschmackliche Variabilität, unterschiedlichste Inhaltsstoffe und Ausprägungen (z.B. mehr Biomasse oder Frucht), Ertragsfähigkeit, Aussamungsverhalten, usw.


Vor Missbrauch schützen

Man sieht es dem Saatkorn nicht an, welche Eigenschaften in ihm stecken; diese müssen als dokumentiertes Wissen mit dem Saatgutverkehr kommuniziert werden. Deshalb müssen aber die Bauern und Bäuerinnen auch vor Betrug geschützt werden. Wer garantiert ihnen, dass das getauschte oder gehandelte Saatgut auch tatsächlich die Kulturpflanze mit den versprochenen Eigenschaften hervorbringt? Im nichtkommerziellen Saatgutverkehr beruhte das auf dem persönlichen Vertrauen der Landwirte in den Züchter; beim modernen Saatguthandel tritt die staatliche Sortenzulassung an die Stelle des Garanten.

Gerade am Saatgut macht sich ein Machtkampf in der Agrarentwicklung fest: Die globalen Agrarkonzerne versuchen die Züchtung zu beherrschen und die Saatgutmärkte mit Hilfe von restriktiven Zulassungsverfahren, einseitigen Regeln zur Inverkehrbringung und geistigen Eigentumsrechten in ihrem Sinne zu lenken. Wissenschaftler, Stiftungen und private Initiativen, oft mit viel Industriegeld ausgestattet, flankieren die Bemühungen der Saatgutkonzerne um rechtliche Rahmenbedingungen, die ihnen zuträglich sind. Sie treten nicht selten mit Heilsversprechungen auf, z.B. indem sie neue Supersorten als Allheilmittel für die Welternährung propagieren.

Die Strategie sieht meist vor, über die genetische Modifizierung den Pflanzen oder dem Erntegut Eigenschaften zu verschaffen, die die Landwirtschaft oder den Verbraucher bevormunden. Das Saatgut soll automatisch Funktionen übernehmen, deren Problemlösungskapazität man dem unaufgeklärten Bauern oder Verbraucher nicht von allein zutraut. Z.B. soll eine eingebaute Giftigkeit gegen Fraßschädlinge dem Bauern und Bäuerinnen die Entscheidung über den Pflanzenschutz aus der Hand nehmen, oder sollen genetisch aufgewertete Nährstoffinhalte dem Verbraucher die Verantwortung für eine ausgewogene Ernährung abnehmen.

Die Bauern und Bäuerinnen in Armutsgebieten mit niedrigen Erträgen und großen Stressbedingungen für den Pflanzenbau brauchen dringend verbessertes Saatgut und Saatgutsysteme, die sie ausreichend und zeitgerecht versorgen. Es trifft zu, dass ist am Kern der Ertragsproblematik und der Überlebensfähigkeit in Zeiten des Klimawandels. Doch welche Form der Züchtungsprogramme und der Versorgungssysteme sind in welcher Situation angebracht?


Die Warenrevolution in Grün

Saatgutverbesserung kann passieren bei den Bauern und Bäuerinnen selbst, mit ihren Sorten, auf der Grundlage ihrer Saatgutpflege, Selektionsweisen und Austauschsysteme, im Rahmen ihrer Betriebssysteme und ihres kulturellen und ökologischen Umfelds. Sie kann aber auch passieren durch die Einführung von Hochertragssorten, wie z.B. Hybride oder transgene Pflanzen, die fernab in Instituten und Labors der privaten oder öffentlichen Forschungseinrichtungen entwickelt wurden und mehr oder weniger global vermarktet werden. Dazwischen gibt es auch Mischformen auf einem Kontinuum zwischen den beiden Extremen.

Nach den enormen Erfolgen der ersten Grünen Revolution in Asien in den 70er und 80er Jahren wird jetzt - angesichts der Hunger- und Agrarprobleme Afrikas - eine neue Offensive dieser Art für Afrika gestartet: die "Neue Grüne Revolution für Afrika". Im Zentrum stehen moderne Züchtungsmethoden, die Ausbildung einer wissenschaftlich geschulten Generation von Pflanzenzüchtern und Molekularbiologen und die Entwicklung von Saatgutsverkehrssystemen, einem privaten Züchtersektor und Investitionsanreizen durch geistige Eigentumsrechte, so wie man das von den Industrie- und einigen Schwellenländern her kennt.

Mit sehr viel Geld und Intervention von außen mag dieser Ansatz in einigen Ländern Afrikas durchaus zum Erfolg führen. Aber er gibt wesentlich angepasstere Wege, die mit mehr Fingerspitzengefühl und intensiver Kommunikation zwischen Wissenschaftlern und Bauern breitenwirksamer zum Ziel der Ertragssteigerungen kommen. Ihr Vorteil ist, dass sie die Bauern und Bäuerinnen nicht entmündigen, sondern an ihrem Wissen und an ihrer Kontrolle über Saatgut und zu lösenden Problemen ansetzen.

Alle Programme der internationalen Organisationen gehen von der These der "supply side constrain" aus, d.h. dass die Erträge der Landwirtschaft gesteigert werden müssen, um mit der zunehmenden Nachfrage nach Agrarerzeugnissen mitzuhalten. Als wirkungsvolle und schnelle Abhilfe steht die verbesserte Versorgung der Bauern und Bäuerinnen mit variablen Betriebsmitteln, wie synthetischem Dünger, Pflanzenschutzmitteln und Saatgut im Vordergrund. Die Herkunft, Art der Anpassung an die örtlichen Gegebenheiten und Überzeugung der Bauern und Bäuerinnen bleibt zweitrangig.

Man kann "unwissenden Bauern" nicht mit dem modernen Saatgut ein neues System unterjubeln, dessen Gebrauchsanleitung auf dem Saatgutsack oder der Gebrauchsanweisung steht. Landwirtschaft ist ein multifunktionales System, sie ist in natürliche und gesellschaftliche Kreisläufe eingebettet, die viele Regelkreise und Rückkoppelungen kennen. Fortschritt passiert mit dem fortschreitenden Kenntnissen der Bauern und Bäuerinnen und ihren wachsenden Problemlösungskapazitäten. Im Mittelpunkt der Anbausysteme steht immer noch die wissensreiche Beziehung zwischen den Bauern bzw. Bäuerinnen, ihrem Saatgut, ihren Böden und den Umweltbedingungen.

Diese wissensintensive Intensivierung der Landwirtschaft ist gerade für die Weiterentwicklung der tropischen, armutsorientierten Agrarentwicklung essentiell, denn sie ist die einzige Alternative zu einem kapitalintensiven und energieintensiven Agrarsystem. Sie ist für das Überleben der Bauernfamilien bei der komplexen unternehmerischen Entscheidungsfindung unter großer Unsicherheit und Verwundbarkeit, die die tropische Landwirtschaft der armen Leute kennzeichnen, absolut zentral.


Was NGOs zur Rolle der Saatgutpolitik für die Hungerbekämpfung fordern

NGOs lehnen den simplen Ansatz der Saatgut- und Düngemittelhilfe ab. Die "Neue Grüne Revolution" in Afrika ist "das Pferd von hinten aufgezäumt". Die existierenden Systeme der Nutzung der Agrobiodiversität müssen die Grundlage für die dreifache simultane Problemlösung sein: Ertragssteigerung, Umwelterhaltung und Armutsbekämpfung. Die Weiterentwicklung und ihre systematische Verbesserung in einem engen Kommunikationszusammenhang zwischen agrarwissenschaftlich ausgebildetem Personal und den Bauern und Bäuerinnen mit ihrem wertvollen lokalen Umweltwissen und ihren intimen Kenntnissen über ihre gesellschaftlich-kulturellen Begrenzungen ist der Schlüssel.

Besonders die Pflanzenzüchtung für semi-aride Gebiete im Umgang mit extremen Witterungserscheinungen ist ohne partizipatorische Züchtung nicht denkbar. Geistige Eigentumsrechte mit Ausschließungsrechten (Patente) an Sorten, Rassen, Pflanzen, Linien, Pflanzenteile, Gewebekulturen, Gene und Gensequenzen darf es nicht geben. Die Bauernrechte müssen voll als echte Rechte anerkannt werden, nicht nur als "Privileg", das die kommerziellen Züchter großzügig den Bauern gewähren. Eine Sorten- oder Patentanmeldung irgendwo auf der Welt ohne Nachweis der Herkunft und der legalen Entnahme der pflanzengenetischen Ressourcen darf es nicht geben.

Die Gesetze zur Regulierung des Saatguts müssen an die spezifischen Bedingungen in der jeweiligen Gesellschaft angepasst sein. In den meisten Entwicklungsländern gibt es nur einen rudimentär entwickelten privaten Züchtersektor; hier wird das meiste Saatgut noch lokal in Form von Hofsorten getauscht. Ein Saatgutrechtssystem in der Fassung etwa Europas wäre total unangepasst und würde die Ernährungssicherheit gefährden. Deshalb muss die "sui generis Klausel" des WTO-TRIPS Vertrags weit ausgelegt werden: Rechtssysteme der "eigenen Art" sind nötig, die an die jeweiligen Landesverhältnisse gut angepasst sind. UPOV und andere globale Systeme, die mit vorgefertigten Rechtsstandards operieren, die universelle Gültigkeit beanspruchen, sind abzulehnen.


Der Autor ist Beauftragter für Welternährungsfragen beim Evangelischen Entwicklungsdienst (EED).

Weitere Informationen:
Die Rechte der Bauern am Saatgut - das indische Saatgutrecht als Modell für die Entwicklungsländer, Studie herausgegeben vom EED und Forum Umwelt und Entwicklung. Download unter www.forumue.de


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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 4/2009, S. 8-9
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Januar 2010