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BERICHT/072: Vertragsmast - Abhängigkeit und Preisverfall (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 328 - Dezember 2009
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Vertragsmast: Abhängigkeit und Preisverfall
Bericht von einer Landvolk-Werbeveranstaltung für "Wiesenhof"

Von Eckehard Niemann


Die Tische im Gasthaussaal im niedersächsischen Dorfmark sind eingedeckt mit Getränken und belegten Brötchen, den Werbe-Broschüren ("Verantwortung für Mensch, Tier und Umwelt"). Kugelschreiber liegen neben jeder Kaffeetasse bereit. Eingeladen hat das Landvolk bzw. das "Kuratorium für Landberatung" - zur Unterstützung der Geflügel-Firma Wesjohann ("Wiesenhof"). Fast täglich gibt es solche Veranstaltungen überall in Ost- und Südniedersachsen - mit "Wiesenhof" oder auch mit deren Konkurrenten Rothkötter ("Emsland Frischgeflügel") und Stolle. Landesregierung und Bauernverband fahren eine massive Kampagne zu Gunsten der Geflügelschlachtereien, weil das Emsland und seine Nachbarkreise mittlerweile mehr als "dicht" sind mit Agrarfabriken - jetzt sollen die dort nicht mehr möglichen Bauanträge (allein im Kreis Emsland für 10 Millionen zusätzliche Mastplätze) umgelenkt werden in die "Ausweichregion" Ost-Niedersachsen. Es sind 70 Teilnehmer gekommen, nicht die erwarteten 100: Vor allem junge Paare und Senioren mit ihren Jungbauern, aber auch einige Vertreter der Banken.


Wesjohanns "Familienbetrieb"

Peter Wesjohann, der junge Manager, gibt sich bauernnah, beschreibt seinen Konzern als "Familienbetrieb", zeigt alte Photos von Haus, Vorfahren, seinen in der Konzernzeitung mitarbeitenden Geschwistern und seinem Vater Paul Heinz ("letzter Dinosaurier der Geflügelbranche"). Der Wesjohann-Konzern ist weltweit Marktführer bei Geflügelimpfstoffen und Futteradditiven, mit eigenen Futtermühlen, mit Futtergewinnung aus Fett, Blut- und Federmehl und mit Humanernährungswerken. Dass sein Onkel weltweit die Geflügelzucht dominiert, erwähnt Wesjohann nicht. Stattdessen berichtet er von seiner "geschlossenen Integrationskette" bei Hähnchen, Puten und Enten: mit Elterntierfarmen, 8 Brütereien, 5 Mischfutter-, Futteradditiv- und Geflügelproteinwerken, 4 Geflügelschlachtereien. Die 2 Milliarden Euro Umsatz erwirtschaften weltweit 5.000 Beschäftigte. Bezeichnend: Die 700 Vertragslandwirte seien "hierbei nicht mitgezählt".

Peter Wesjohann verspricht Sicherheit für die landwirtschaftlichen "Partnerbetriebe" bei "Wiesenhof": In der Vergangenheit hätten die Landwirte bei anderen Unternehmen manchmal "keinen Scheck mehr gekriegt" - wegen Konkursen. Nicht nur der hohe Eigenkapitalanteil von mehr als 40 Prozent sei ein spezifischer Vorteil bei Wesjohann: Hohe Investitionen in die Brütereien ("Hygienebunker") gewährleisteten eine höhere Qualität der 150 Millionen Wesjohann-Küken gegenüber Wettbewerbern und verringerten die Kosten für Medikamente um 3 bis 5 Cent pro Tier. Man biete den Mästern Verträge mit ein bis zehn Jahren Laufzeit an. Alle zwei Monate, so Wesjohann, würden die Preise "verhandelt". "Wir gewinnen und verlieren gemeinsam", behauptet er.

Wesjohann sieht sich als Vorreiter bei dem Verbot von Tiermehlen im Futter (1996), von antibiotischen Leistungsförderern (1997), von gentechnisch verändertem Soja (2000) und von salmonellenfreiem Futter (2002) und damit weitgehend salmonellenfreiem Fleisch. Damit fingen Wettbewerber jetzt erst an - das bedeute bei denen künftige Kostensteigerungen und Wettbewerbsnachteile.


Schlechter Markt

Trotz "positiver Trends im Geflügelverbrauch" (in den letzten 10 Jahren durchschnittlich 400 g Zuwachs jährlich) bewertet Wesjohann die Marktaussichten vorsichtig und kurzfristig sogar skeptisch. Nach Abzug der Importe (100 g) bleibe bestenfalls ein Wachstum von 300 Gramm - und das bei einem Selbstversorgungsgrad von bereits 100 Prozent. Der kurzfristige Absatz-Anstieg in den letzten Jahren beruhe auf dem Einstieg der Discounter in den Markt - aber der sei ja nun vollzogen und nicht wiederholbar.

Trotzdem werde man eigene Schlachthöfe aus- und neubauen, auch mit Blick auf den Export: "Aber Andere machen das auch" - dieser deutlicher Hinweis zielte offensichtlich auf das aggressive Erobern von Marktanteilen durch den konkurrierenden Rothkötter-Konzern. Der plant in Wietze bei Celle eine weitere Riesen-Schlachterei und will dafür zunächst 100 bis 150 neue Vertragsmäster anwerben. Dies wiederum treibt die Konkurrenten Wesjohann, Stolle und Sprehe ihrerseits zu einer massiven Anwerbung zusätzlicher "eigener" Mäster. Laut Wesjohann stocken wegen des schwachen Pfunds die Lieferungen holländischer und belgischer Geflügelfleischproduzenten nach Großbritannien und drängen jetzt auf den deutschen Markt - er rechne in zwei Monaten auch hier mit minus 5 bis 6 Cent. Das ist der derzeitige Gewinn guter Mäster pro Tier.


Nur ein Viertel rentabel

Kammerberater Henning Pieper hält angesichts des Preisverfalls in anderen Agrarzweigen den Einstieg in die Hähnchenmast vor allem für Ackerbauern für überlegenswert. Man könne steigenden Pachtpreisen ausweichen, Arbeitstäler durch zusätzliche 900 Jahresarbeitsstunden pro Stall ausgleichen, auf "volatile Märkte" mit schwankenden Preisen reagieren, sich auf eventuelle kommende Zeiten ohne EU-Flächenprämien vorbereiten, eigenes Getreide zufüttern, die Humusbilanz durch Trockenkot verbessern und Mineraldünger einsparen. Herr Pieper weist auch auf die hohen Stall-Investitionen hin und errechnet durch Kalkulationen einen Gewinn (zur Entlohnung von Arbeit und Eigenkapital) von etwa 22.000 Euro für einen 40.000er-Stall bei 7 bis 7,5 jährlichen Durchgängen pro Platz. Als er die tatsächlichen Ergebnisse der Betriebszweigauswertungen der letzten Jahre an die Wand projiziert, zeigt sich: Ein Drittel der Betriebe arbeitet ohne Kostendeckung. Nur ein Viertel aller Betriebe erzielt - über ihre Arbeitsentlohnung hinaus - Gewinne zur Verzinsung. des Eigenkapitals, und zwar in Höhe von 16.000 Euro - demgegenüber steht eine Investition in Höhe von 450.000 Euro. Die Marge wird über die Jahre immer enger. Meine Interpretation: Offenbar kalkuliert der "Integrator" auch die Vorteile der Landwirte bei der Verfütterung eigenen Weizens mit ein, wenn er durch das beiderseitige Drehen an den Preisschrauben für Küken, Futter und Hähnchen die Spanne für die Mäster so einstellt, dass ein Teil bei Laune bleibt und der Rest zur Selbstausbeutung getrieben wird.


Überproduktion und Kalkulationen

Ich verweise auf die drohende Überproduktion durch regional 300 Stallneubauten und bundesweit etwa 600 neue Ställe im Emsland (250 Ställe), in NRW, Weser-Ems und Hessen, Ostbayern und Ostdeutschland (mehrere 350.000er-Ställe): Dafür wäre eine absolut unrealistische Steigerung des Jahresverbrauchs um mindestens 3 kg Hähnchenfleisch nötig (Faustzahl: 200 Ställe à 40.000 Plätze produzieren eine Menge, die einem Kilo Fleischverzehr je Bundesbürger entspricht). Den Preisverfall würden die Schlachtereien auf die Landwirte abwälzen. Auf Nachfrage hin gesteht Peter Wesjohann, dass in Krisen die Ställe der Vertragsmäster auch mal länger leer stehen könnten. Sitzungsleiter Beermann untersagt solche Fragen nicht hähnchenmast-interessierter "Nicht-Unternehmer". Was mich freut: Nur ein Drittel der Anwesenden klopft ihm hierfür Beifall - offenbar finden Viele solch kritische Fragen wichtig. Leider stellt kaum ein Landwirt eigene Fragen. Unklar, ob das der eigenen Unsicherheit und wirtschaftlichen Lage geschuldet ist, der Hoffnung auf einen rettenden Strohhalm oder der schon vorweg "gefühlten Einschränkung entscheidungsfreier Ackerbauern" (Pieper) - in einer Vertragsmast, bei der die Integratoren die Produktion und die Preise von Futter, Küken oder Hähnchen bestimmen, in der einige der Mäster gerade so bei Laune gehalten und andere zu weiterer Selbstausbeutung getrieben werden.

Ein "Wiesenhof"-Experte stellt seine Kalkulationen zu Stallbau, Abluft, Heizung, Einstreu, Beleuchtung sowie zu den Abständen zu Wäldern, Biotopen und Wohnbebauung vor. Nur kurz erwähnt wird die neue EU-Haltungs-Richtlinie, die einen Tier-Besatz von 39 kg je Quadratmeter erlaubt (das entspricht ca. 25 Tieren). Bei der "Betreuung" komme es darauf an, zweimal täglich den Zustand der Tiere und deren Gewichte zu registrieren, nach lahmen, struppigen, zu leichten und federlosen Tieren zu sehen und tote und vom Halter "gemerzte Tiere" als "Strecke zu legen", zu zählen und aufzuschreiben.

Die Ausstallung passiere durch subunternehmerische "Fängerfirmen", eventuell auch die Trocken- und Nassreinigung sowie die Desinfektion mit flüssigen und gasförmigen Mitteln. An Trockenkot, auf dem die Tiere bis zum Schluss stehen, fallen 50 Tonnen je Durchgang an. Er erwähnt beiläufig, dass die Fußballen der Junghühner bzw. Junghähnchen trocken bleiben müssten - sonst käme die gefürchtete Fußballen-Dermatitis (bei der sich die Tiere nur noch mit Schmerzen bewegen können und die Futtertröge und Wassernippel nicht mehr erreichen). Berichtet wird nicht über die einseitige Zucht, bei der die Tiere bei der "Schlachtung im Konfirmandenalter" (Pieper) schon einen gewaltigen Fleischansatz bei zurückgebliebenem Skelett und Herz-Kreislaufsystem (er-)tragen müssen.


Werbefilm und "positives Image"

Die beworbenen Landwirte in Dorfmark gehen eher nachdenklich und stumm aus dem Saal. Der Landvolk-Vorsitzende weist noch auf zwei weitere Veranstaltungen hin: Eine ähnliche Präsentation findet demnächst extra für die Vertreter der Banken statt.

Eher fraglich, ob sich nach dieser Veranstaltung die sonst üblichen 5 bis 10 Prozent von "ernsthaft Interessierten" melden. Das Fazit der "Böhme-Zeitung": "Für kritische Stimmen zu einem - besonders in ethischen Gesichtspunkten wie Massentierhaltung - brisanten Thema war an diesem Vormittag kein Platz..."


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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 328 - Dezember 2009, S. 10-11
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Februar 2010