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FORSCHUNG/1061: Schmerzhafte Ferkelkastration - EU-Forschungsnetzwerk sucht nach Alternativen (idw)


Universität Hohenheim - 02.02.2017

Schmerzhafte Ferkelkastration: Neues EU-Forschungsnetzwerk sucht nach Alternativen

Uni Hohenheim koordiniert neues Netzwerk aus Forschung, Industrie und NGOs zum Austausch rund um Ebermast und Immunkastration


Es riecht unangenehm und lässt sich kaum verkaufen: Fleisch von unkastrierten Ebern kann einen urinartigen Eigengeruch entwickeln. Doch Ferkel ohne Betäubung zu kastrieren - wie bisher üblich - fügt den Tieren enorme Schmerzen zu. In Deutschland ist diese Praxis nach 2018 verboten, und auch die EU will Alternativen vorantreiben. Doch Stand der Forschung und Problembewusstsein variieren stark in den verschiedenen europäischen Ländern. Nun haben sich Forschung, Industrie, Verbände und NGOs aus 21 europäischen Ländern unter Leitung der Universität Hohenheim vernetzt, um schneller maßgeschneiderte Lösungen zu finden. Am 23.2.2017 findet das Auftakttreffen in Prag statt. Die EU fördert das Projekt in Hohenheim für vier Jahre mit rund 480.000 Euro und macht es damit zu einem Schwergewicht der Forschung.

Eberfleisch kann stinken. Seit rund 2.000 Jahren kastrieren Schweinehalter daher ihre Tiere, um diesen sogenannten Geschlechtsgeruch zu vermeiden. Dass diese Praxis mit dem Tierschutz nicht vereinbar ist, rückt erst seit wenigen Jahrzehnten ins Bewusstsein der Menschen. Vor allem auf Druck der Tierschutzverbände wollen die EU-Länder bis 2018 Alternativen zur betäubungslosen Ferkelkastration finden. Deutschland geht noch einen Schritt weiter: Hier ist das Verfahren nach 2018 verboten.

Der Druck auf die Forschung ist daher groß: "Alternative Verfahren gibt es zwar bereits, sie bereiten aber alle noch Probleme, die wir lösen müssen", erklärt Prof. Dr. Ulrike Weiler vom Fachgebiet Verhaltensphysiologie von Nutztieren an der Universität Hohenheim. "Außerdem sehen wir große Unterschiede zwischen den Ländern Ost- und Westeuropas im Forschungsstand und in der Wahrnehmung des Problems."

Um dem möglichst rasch entgegenzuwirken, haben sich nun Hochschulen aus ganz Europa mit Industriepartnern, Verbänden und Politik vernetzt. Unter Leitung der Universität Hohenheim bilden sie Arbeitsgruppen. "Wir wollen die Forschung besser koordinieren und Nachwuchswissenschaftler fördern", erklärt Projektleiterin Prof. Dr. Weiler, "und so Innovationen in der Schweinefleischproduktion beschleunigen."

Alternativmethode Kastration mit Narkose: Wenig zuverlässig

Alle Alternativen zur bisherigen Praxis weisen jeweils Vor- und Nachteile auf. Schwierig ist eine Kastration unter Narkose. Dabei sind nicht nur die hohen Kosten ein Problem: "Die Ferkel haben nur wenig Energiereserven und müssen alle halbe Stunde trinken", erläutert Prof. Dr. Weiler. "Durch die Narkose verpassen sie Mahlzeiten, und auch die Gefahr, von der Mutter erdrückt zu werden, steigt."

Lokale Betäubung oder Kurzzeitnarkose mittels Gas sieht sie kritisch: "Untersuchungen haben ergeben, dass beides nicht sehr zuverlässig wirkt. Bei Gasnarkosen etwa haben nur rund 80 Prozent der Tiere eine ordentliche Betäubung."

Alternativmethode Immunkastration: Für Verbraucher- und Tierschutz

Eine Alternative zur chirurgischen Kastration besteht in einer Impfung gegen den Ebergeruch. "Die Forschung an dieser Methode hat an der Universität Hohenheim eine lange Tradition - bereits in den 1980er Jahren forschte hier Prof. Dr. Rolf Claus über die Hintergründe des Ebergeruchs und später auch über diese sogenannte Immunkastration", erklärt Prof. Dr. Weiler.

Dabei erhält der Eber zwei Impfungen, nach der zweiten stellt er die Hormonproduktion ein und der Pubertätseintritt verzögert sich. "Die Methode bringt Verbraucherschutz und Tierschutz unter einen Hut", meint Prof. Dr. Weiler. "Sie ist bereits verfügbar, der Bio-Verband Naturland sieht darin die Methode der Wahl und setzt sie ein."

Die Kosten betragen etwa 2,50 Euro pro Injektion, und der Landwirt darf sie selbst durchführen. Bedenken der Landwirte kann Prof. Dr. Weiler ausräumen: "Man verwendet eine spezielle Sicherheitspistole, mit der man sich nicht versehentlich selbst impfen kann. Eine Wirkung würde außerdem erst nach einer zweiten Injektion eintreten, und die Hemmung ist reversibel, d.h. nach einigen Wochen setzt die Hormonproduktion wieder ein."

Das Problem sei hier vor allem die Verbraucherakzeptanz: "Vielen Menschen wissen überhaupt nicht, dass Schweine kastriert werden müssen, damit das Fleisch eine gute Qualität hat. Daher sind sie skeptisch wenn über eine Impfung geredet wird, deren Nutzen sie nicht kennen", meint Prof. Dr. Weiler. "Zusätzlich haben sie auch immer Bedenken wegen Nebenwirkungen. Dabei ist sichergestellt, dass der Impfstoff nicht bei Verzehr wirkt." Hinzu käme eine allgemeine Skepsis gegenüber der Pharmaindustrie. Das Verbraucherverhalten und eine richtige Informationsstrategie sind daher auch Thema der Arbeitsgruppen.

Alternativmethode Kastrationsverzicht: Geruch und Verhalten bereiten Probleme

Möglich ist auch, die unkastrierten Eber zu mästen. Doch das Hauptproblem bei dieser sogenannten Ebermast sei vor allem der Geruch, den das Fleisch mancher Eber aufweise, erklärt Dr. Katharina Hölzle, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt an der Universität Hohenheim: "Dieses Herrenparfüm des Ebers entsteht durch das Pheromon Androstenon, das urinartig riecht, aber nicht von allen Menschen wahrgenommen wird. Dazu kommt Skatol, dessen Geruch an Fäkalien erinnert."

Ein weiteres Problem sei das Verhalten der Tiere. "Unkastriert sind Eber recht aggressiv und weisen natürlich auch Sexualverhalten auf. Sie fechten Kämpfe aus und springen aufeinander auf. Penisbeißen ist weit verbreitet - 10 Prozent der Tiere haben teils erhebliche, sehr schmerzhafte Verletzungen", berichtet Dr. Hölzle.

Doch die Methode hat auch Vorteile: "Wenn man unkastrierte Eber mästet, wachsen die Tiere effizienter und benötigen 10 bis 15 Prozent weniger Futter. Und die Tiere scheiden weniger Stickstoff aus, ein klarer Umweltvorteil", so Dr. Hölzle. Aber die Probleme müssten die Forscher lösen - und dazu die Möglichkeiten der Fütterung, der Haltungsbedingungen und der Züchtung ausloten. "Außerdem suchen die Arbeitsgruppen zum Beispiel nach Methoden, wie man Schlachtkörper mit Ebergeruch erkennen und anderweitig verarbeiten kann."

Netzwerk sucht nationale Lösungen

Ziel des neuen, europaweiten Netzwerkes ist es aber nicht, eine EU-weit einheitliche Standardmethode zu suchen. "Wir brauchen nationale Lösungen, die auch von der Tradition und den Konsumentengewohnheiten abhängen. In Großbritannien etwa hat man auch jetzt schon kein Problem mit dem Ebergeruch. Aber dort essen viel weniger Leute Schweinefleisch, dafür mehr Rind und Lamm, und sie sind bei Schwein an den merkwürdigen Geruch gewöhnt. Für Deutschland ist das aber sicher keine Lösung", verdeutlicht Prof. Dr. Weiler.

Der Austausch aller Beteiligten sei enorm wichtig. "Im Februar wird ein erstes Treffen in Prag stattfinden. Wir wollen Arbeitsgruppen einrichten, darunter einen Thinktank für junge Wissenschaftler gründen und deren Mobilität fördern. Und letztlich vor allem die Brücke zur Praxis und zu den Verbrauchern schlagen."


Hintergrund: Projekt IPEMA

Das Projekt "IPEMA" (Innovative approaches in pork production with entire males, http://www.cost.eu/COST_Actions/ca/CA15215) fördert die Europäische Union im Rahmen ihrer COST-Netzwerke. COST steht für "European Cooperation in Science and Technology" und fördert seit 1971 die Bildung von Netzwerken im Bereich Wissenschaft und Technologie. Die Universität Hohenheim leitet das Projekt IPEMA. Sie erhält dafür 480.000 Euro für vier Jahre. Der Startschuss fiel am 1.11.2016, am 31.10.2020 soll es beendet sein.

Hintergrund: Schwergewichte der Forschung

31,2 Millionen Euro an Drittmitteln akquirierten Wissenschaftler der Universität Hohenheim 2015 für Forschung und Lehre. In loser Folge präsentiert die Reihe "Schwergewichte der Forschung" herausragende Forschungsprojekte mit einem finanziellen Volumen von mindestens 250.000 Euro bei den Experimental- bzw. 125.000 Euro bei den Sozial- und Gesellschaftswissenschaften.

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution234

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Universität Hohenheim, Florian Klebs, 02.02.2017
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Februar 2017

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