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GENTECHNIK/535: Neue Gentechnik-Verfahren durch die Hintertür? (ubs)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 394 - Dezember 2015
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Neue Gentechnik-Verfahren durch die Hintertür?
Gegen den Druck der Industrie gilt es das Vorsorgeprinzip zu verteidigen!

Von Eva Gelinsky, IG-Saatgut und Annemarie Volling, AbL


In den letzten Jahren wurde eine Vielzahl von neuen Methoden entwickelt, mit denen "präziser" in das Erbgut von Pflanzen (und Tieren) eingegriffen werden kann - so die Behauptung. Die EU-Kommission will noch in diesem Jahr eine juristische Einordnung vornehmen, ob die Methoden als Gentechnik einzustufen sind oder nicht. Über diese Frage gibt es seit Monaten einen juristischen und wissenschaftlichen Streit. Natürlich spielen auch hier wirtschaftliche Interessen eine wichtige Rolle. Werden die Verfahren als Gentechnik eingestuft, müssten sie wie die "normale" Gentechnik einer Risikoprüfung, Kennzeichnung und Zulassung unterworfen werden. Dieser Prozess ist zeitaufwendig und kostspielig. Werden sie nicht als Gentechnik eingestuft, könnten die neuartigen Pflanzen ohne Risikobewertung, Kennzeichnung usw. einfach angebaut werden.

Präzedenzfall CIBUS?

Ein Präzedenzfall scheint in dieser Hinsicht der herbizidresistente Raps der US-Firma CIBUS zu sein. Dieser wurde mit einem der neuen Verfahren (ODM, s. Kasten unten) entwickelt. CIBUS wollte die Kommissionsentscheidung nicht abwarten, sondern hat die Behörden verschiedener gentechnikfreundlicher Mitgliedstaaten (England, Schweden, Finnland und Deutschland) nach einer Bewertung gefragt. Ergebnis: Sämtliche Behörden haben CIBUS bescheinigt, dass ihr Raps "nicht als Gentechnik im Sinne des Gentechnikgesetzes eingestuft" wird. Nun könnte dieser Raps angebaut werden. Nur in Deutschland wird die mögliche Aussaat bislang verhindert, weil Klage gegen den Behördenbescheid eingereicht wurde (s. Bauernstimme, Sept. 2015).

Konzerne und private Forschungseinrichtungen haben sich auf EU-Ebene zu einer "New Breeding Techniques Platform" zusammengeschlossen. Mitglieder sind u. a. Syngenta, KeyGene und Rijk Zwaan. Auch Dow und Bayer haben an Lobbygesprächen der Plattform beispielsweise mit der EU-Kommission teilgenommen.

In einem gemeinsamen Positionspapier vom Juni 2015 betonen der europäische und der amerikanische Verband der Saatgutindustrie (ESA und ASTA), dass die künftige Nutzung der neuen Verfahren stark vom Regelungsumfeld und einer unterstützenden Politik abhängig sein werde. Sollten die EU und/oder die USA einige oder alle neuen Züchtungstechniken als Gentechnik regulieren, so werde dies weitreichende negative Folgen haben. Innovationen in der Saatgutindustrie würden massiv behindert, was die Wettbewerbsfähigkeit dieses Sektors schwächen werde. Insgesamt sehen weder die ESA, noch der ASTA einen "spezifischen Regelungsbedarf" für die neuen Verfahren.

Wer redet mit?

Zunächst hieß es, dass das EU-Parlament und die Mitgliedstaaten kein Mitspracherecht bei der rechtlichen Einordnung der neuen Verfahren durch die EU-Kommission haben sollen. Nun will die Kommission anscheinend doch so genannten Stakeholdern, aber auch den Mitgliedstaaten, die Möglichkeit geben, zu ihrer Rechtsauffassung vorab zumindest Stellung zu nehmen. Dass Mitgliedstaaten in die Diskussion eingreifen wollen, verdeutlicht ein Antrag des BMEL, das Thema auf die Tagesordnung des EU-Agrarministerrats im Oktober zu setzen. In ihrem Statement weist das BMEL darauf hin, dass eine Einstufung als Gentechnik "umfangreiche Konsequenzen für die Vermarktung innerhalb und außerhalb der EU" haben werde. Damit stützt das BMEL die Argumentation der Saatgutindustrie: "Die Auslegung des EU-Rechts kann weitreichende Auswirkungen auf die Entwicklung und den Einsatz neuer Techniken haben." Dies betreffe u. a. die Forschung, die Zucht von Pflanzen und Tieren, die Entwicklung und Produktion von (Tier-) Arzneimitteln und Impfstoffen, die Wettbewerbsfähigkeit der Züchter, die Nutzung der neuen Techniken durch kleine und mittlere Unternehmen sowie den Handel mit Drittländern. Auch die Vertreter aus England, den Niederlanden und Ungarn machten auf die Handelskonsequenzen einer Gentechnik-Einstufung aufmerksam.

Ganz anderer Ansicht sind verschiedene Bauern- und Umweltverbände in Deutschland und anderen EU-Staaten. In einem offenen Brief fordern acht Organisationen von der EU-Kommission, dass diese eine Regulierung sämtlicher neuer Verfahren gemäß der EU-Gentechnik-Gesetzgebung sicherzustellen habe. Sprich, dass vor einer möglichen Zulassung eine Risikobewertung erfolgen muss und dass das Saatgut sowie Lebens- oder Futtermittel zu kennzeichnen sind, damit eine lückenlose Rückverfolgbarkeit gewährleistet ist.

Hintertür zumachen!

Aus Sicht der Industrie und der industriefreundlichen Politik steht derzeit also einiges auf dem Spiel. Die großen Saatgut- und Chemiefirmen, aber auch kleinere Start-ups, die in die neuen Techniken beidseits des Atlantiks investiert haben, setzen sich vehement dafür ein, dass diese nicht als gentechnische Verfahren eingestuft werden. Mit Begriffen wie "neue Pflanzenzuchtverfahren" versuchen sie, den schlechten Ruf der "alten" Gentechnik abzuschütteln. Vor allem aber möchten sie die Auflagen und hohen Kosten umgehen, die eine Gentechnikregulierung mit sich bringen würde. Eine breite Anwendung der neuen Verfahren wäre kaum möglich, wenn Saatgut und Produkte gekennzeichnet, Freisetzungsversuche und Anbau angemeldet, Koexistenzmaßnahmen eingehalten und im Kontaminationsfall auch Schadensersatz gezahlt werden müsste. Auch für die gentechnikfreie Land- und Lebensmittelwirtschaft steht also einiges auf dem Spiel. Die neuen gentechnischen Verfahren - so sollten sie eigentlich genannt werden - dürfen nicht dazu führen, dass die Gentechnikregulierung unterlaufen wird.

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Neue Gentechnik-Verfahren

Zu den neuen gentechnischen Verfahren gehören beispielsweise die Zinkfinger-Nuklease und die TALEN-Technik, Reverse Breeding, Oligonukleotid-gerichtete Mutagenese (ODM), CRISPR-Cas, Agroinfiltration und RNA-abhängige DNA-Methylierung. Ein Überblick über die Techniken findet sich u. a. bei der IG-Saatgut oder Testbiotech. Beim CIBUS-Raps wird die so genannte ODM-Technik verwendet. Hier werden kurze DNA-Abschnitte, so genannte Oligonukleotide, in die zu verändernden Zellen eingeführt. Die Reparaturmechanismen der Zelle führen dazu, dass sich das Erbgut der Pflanzen der Struktur der im Labor synthetisierten DNA anpasst. Wie "präzise" Methoden wie ODM sind und ob unerwünschte Effekte ausgeschlossen werden können, ist wissenschaftlich umstritten. ODM erfüllt das Kriterium der EU-Richtlinie 2001/18, nach der alle Verfahren, bei denen genetisches Material im Labor aufbereitet und in die Zellen eingeführt wird, als gentechnische Verfahren angesehen werden müssen.

Von Annemarie Volling

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 394 - Dezember 2015, S. 17
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
Bahnhofstr. 31, 59065 Hamm
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Internet: www.bauernstimme.de
 
Erscheinungsweise: monatlich (11 x jährlich)
Einzelausgabe: 3,30 Euro
Abonnementpreis: 39,60 Euro jährlich
(verbilligt auf Antrag 28,40 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Februar 2016

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