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INTERNATIONAL/023: Kleinsthöfe in Rumänien - Auslaufmodell oder Zukunftschance? (UBS)



Unabhängige Bauernstimme, Nr. 347 - September 2011
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Kleinsthöfe in Rumänien: Auslaufmodell oder Zukunftschance?

Eindrücke einer Reise: Selbstversorgungs- und Nebenerwerbslandwirtschaft sind wenig anerkannt und doch die Regel

von Sonja Korspeter

Bei meiner Wanderung durch die Region bei Slatina in Nordrumänien sehe ich im Laufe des Tages einmal einen Trecker, doch ansonsten sind es Menschen, die unterstützt von einem Pferd Unkraut zupfen, Gras und Getreide mähen, ernten und auf Wagen nach Hause transportieren. Überall sieht man die Heuschober auf den Wiesen stehen. Zu Hause haben viele drei Kühe, ein paar Schweine und Hühner. Das ist nicht überall in Rumänien so wie hier im Norden des Landes in der Bukowina. Im Süden prägen mehrere hundert Hektar große Güter, die mit modernen Maschinen arbeiten, das Landschaftsbild. Doch neben diesen und etwa 100.000 mittelgroßen Betrieben gibt es 3,5 Millionen landwirtschaftliche Betriebe im Land, die kleiner als zwei Hektar sind. Sie bewirtschaften mehr als die Hälfte des rumänischen Agrarlandes und werden oft im Nebenerwerb oder auch einfach zur Selbstversorgung der Familie betrieben. Trotz fruchtbaren Bodens und eines niedrigen Lebensstandards importiert Rumänien über 40 Prozent der Lebensmittel, zum großen Teil aus der EU. Agrarexporte sind im wesentlichen unverarbeitete Rohwaren.


Kleinsthöfe als Auslaufmodell

Ich frage einen ehemaligen Mitarbeiter des Agrarministeriums, Doro Irimie, wie es denn aus Sicht der Regierung in Zukunft mit der Landwirtschaft und dem ländlichen Raum weitergehen soll. Er antwortet mit Schulterzucken. Konzeptlosigkeit und auch eine gewisse Gleichgültigkeit gegenüber dem Lande und der Bedeutung der Landwirtschaft seien in der Politik spürbar. Die kleinen Strukturen würden eingehen, man müsse schauen, dass die Hofgröße mindestens 20 ha betrage, alles darunter mache keinen Sinn. Und man müsse versuchen, die Importerzeugnisse verstärkt durch rumänische Produkte zu ersetzen und zugleich den Export auszuweiten. Irimie weiter: "Ein Grund dafür, dass Rumänien bisher nur 12,4 Prozent der EU-Fördergelder, die dem Land bis 2013 zustehen, in Anspruch genommen hat, ist dass die bestehenden Programme häufig nicht auf die Bedürfnisse der kleinstrukturierten Landwirtschaft und damit einer großen Mehrheit der Landwirte zugeschnitten sind."


Ökonomische und soziale Bedeutung

Die Kleinbauern können ihr Land nicht einfach verkaufen und mit der Erzeugung von Lebensmitteln aufhören, um größeren Betrieben Platz zu machen. Die Aussicht auf Arbeitsplätze in anderen Bereichen außer der Landwirtschaft ist je nach Region und vor allem in den Berggebieten sehr begrenzt, die Sozialversicherung oft völlig unzureichend. Die Preise für Lebensmittel in den Supermärkten sind fast so hoch wie in Deutschland, auf den regionalen Märkten sind die Waren erschwinglicher, aber haben auch ihren Preis. Viele junge Leute wandern ab, weil sie auf dem Land keine Perspektive sehen. Kleinsthöfe können ihren Bewohnern durch die Produkte vom eigenen Land die Rente aufbessern oder für frisches Obst und Gemüse für die Familie sorgen. Als Nebenerwerbsbetriebe schaffen sie Unabhängigkeit und ermöglichen in Kombination mit einer halben Stelle außerhalb des Hofes soziale Sicherheit. Die Felder dieser Kleinsthöfe geben der Landschaft ein wunderschönes Gesicht. Vielfältig und voller Tier- und Pflanzenleben bleiben die Regionen attraktiv für Erholungssuchende und Touristen. Neue Einkommensmöglichkeiten im Tourismus, dem Handwerk und dem Einzelhandel können entstehen. Bäuerinnen und Bauern, die miteinander kooperieren, können auch langfristig die Dorfladenstruktur, die es heute noch gibt, erhalten und weiter beleben.

Für die Vermarktung höherpreisiger Produkte auf Regionalmärkten und in Supermärkten gibt es durchaus Potenzial. Die Nachfrage nach Biolebensmitteln beispielsweise ist in den letzten Jahren stetig gestiegen, wird jedoch bisher stark aus Importen bedient. Die Konkurrenzfähigkeit auch der Produkte von Kleinsthöfen mit den Importprodukten aus Westeuropa ist zum Teil sicher gegeben. Hierzu braucht es jedoch das Erreichen von EU-Standards bei Qualität und Verarbeitung.


Verbesserung der Bewirtschaftung

Viele der Selbstversorger und Nebenerwerbslandwirte haben Fortbildungsbedarf, weil sie entweder erst seit 1990 Landwirtschaft in dieser Form betreiben oder weil es während des Kommunismus keine Forschung und Beratung im Bereich kleinstrukturierter Landwirtschaft gab. Die Erträge auf den Flächen sind zum Teil sehr niedrig, die Milchmenge pro Kuh weit niedriger als es bei guter Fütterung sein könnte. Und anders als man vielleicht erst denkt, ist die Bewirtschaftung oft auch nicht ökologisch nachhaltig. Viele Bauern haben zudem eine große Abneigung gegen betriebliche Zusammenschlüsse und wenig Erfahrung in eigenständiger Projektplanung und der Erschließung von Absatzmärkten. Der Kommunismus hat seine Spuren hinterlassen. Um die Produkte von Kleinsthöfen effektiv vermarkten zu können und die Wertschöpfung in der Region zu erhöhen, sind deshalb Bildungsangebote und Finanzierungshilfen über Kredite wichtige Voraussetzungen.


Kleinsthöfe als Zukunftschance

Aus Sicht vieler Politiker in Rumänien sind die 3,5 Millionen Kleinsthöfe ein Auslaufmodell. Doch allein wegen der bestehenden sozialen Situation im ländlichen Raum ist es sinnvoll, sich Gedanken zu machen, welchen Beitrag diese Höfe auch weiterhin zur Versorgung der Familien und des Landes mit guten Lebensmitteln leisten können und welche Unterstützung es dafür braucht.

Rumänien verfügt aktuell noch über großartige, artenreiche Kulturlandschaften, 34,5 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche liegt in benachteiligten Regionen. Es wäre ökologisch sinnvoll, diese Landschaften nicht durch eine pure Wachstumsstrategie, die sich allein an der Steigerung der Produktivität orientiert, zu zerstören, sondern verstärkt nachhaltige und klimafreundliche Formen der Landwirtschaft, die sich für diese kleinen Flächen besonders gut eignen, einzusetzen. In jedem Falle wird es entscheidend sein, neben spezifischen Maßnahmen, die Förderung der Kleinstbetriebe immer auch im Zusammenhang mit der Entwicklung der jeweiligen Region zu sehen. Verarbeitungskapazitäten und Vermarktungsstrukturen müssen ebenso mit in den Fokus gerückt werden wie Tourismus, Handwerk und Einzelhandel. Weitere Einkommensmöglichkeiten können entstehen und Lebensqualität und Attraktivität der ländlichen Regionen auch für junge Leute und Touristen (wieder) zunehmen.


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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 347 - September 2011, S. 20
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
Bahnhofstr. 31, 59065 Hamm
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(verbilligt auf Antrag 26,00 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. November 2011