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INTERNATIONAL/056: Dachgärten in palästinensischen Flüchtlingslagern (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 18. September 2012

Nahost: Dachgärten in palästinensischen Flüchtlingslagern

von Jillian Kestler-D'Amours


Asmahan Ramadan in ihrem Gewächshaus im Flüchtlingslager Dheisheh - Bild: © Jillian Kestler-D'Amours/IPS

Asmahan Ramadan in ihrem Gewächshaus im Flüchtlingslager Dheisheh - Bild: © Jillian Kestler-D'Amours/IPS

Flüchtlingslager Dheisheh, Westjordanland, 18. September (IPS) - Asmahan Ramadan und ihre Familie machen auf dem Dach ihres Hauses Fotos - nicht von sich selbst oder dem überfüllten Flüchtlingscamp Dheisheh im Westjordanland, in dem sie leben. Ihr Interesse gilt dem Gemüse, das hier angepflanzt wird.

"Es ist so, als würde man Kinder großziehen", sagt Ramadan, als sie das Gewächshaus über der Wohnung ihrer Familie betritt, in dem sie Tomaten, Gurken, Auberginen, grüne Bohnen und anderes Gemüse züchtet. Durch dünne schwarze Rohre mit abnehmbaren Tüllen wird der Dachgarten zwei Mal täglich bewässert. "Wir leben von meiner Hände Arbeit", sagt Ramadan. "Das macht mich stolz und stark."

Nachbarn schauen regelmäßig vorbei, um die Entwicklung der Pflanzen zu begutachten. Denn sie überlegen, ob sie nicht Ramadans Beispiel folgen sollen. Elf Familien versorgen inzwischen Gewächshäuser auf den Dächern ihrer Häuser in dem Flüchtlingslager nahe Bethlehem. Auch in anderen Camps wie Aida macht das Beispiel inzwischen Schule.

Den Anstoß dazu gab Anfang des Jahres die Palästinenserorganisation 'Karama' in Dheisheh, die Bildungsprogramme für Frauen und Jugendliche anbietet. Familien erhalten das Nötigste, um Gemüse selbst zu ziehen. Finanziert wird das Projekt mit 8.000 US-Dollar, die ein ehemaliger Helfer gespendet hat.


Selbstbewusstsein von Frauen stärken

Wie Yasser Al Haj, ein Ehrenamtler der Organisation, berichtet, wurden zunächst besonders finanzschwache Familien ausgesucht. "Sie sparen Geld, wenn sie Tomaten, Gurken und Bohnen nicht mehr kaufen müssen", sagt er. Oberstes Ziel ist es aber, das Selbstbewusstsein palästinensischer Frauen zu stärken, indem sie die Chance erhalten, zum Unterhalt ihrer Familien beizutragen.

Wie Al Haj erklärt, soll die Initiative auch zeigen, wie sich palästinensische Flüchtlinge von ausländischer Unterstützung unabhängig machen können. "Wir versuchen ihnen so zu helfen, dass sie sich nicht wie Bettler fühlen", meint er. "Darin liegt eine Herausforderung für uns und die Familien: selbst produktiv zu werden, statt sich auf internationale Hilfe zu verlassen."

Etwa 13.000 Palästinenser leben in dem Lager, das völlig überfüllt und infrastrukturell unterentwickelt ist. Auch an Schulen mangelt es in Dheisheh. Ein Drittel der Lagerbewohner sind arbeitslos und 15 Prozent der Häuser nicht an die Kanalisation angeschlossen.

Nach Erkenntnissen des UN-Hilfswerks für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) hat sich die Nahrungssicherheit in den von Israel besetzten Gebieten zwischen 2010 und 2011 um insgesamt sieben Prozent verbessert. In den Flüchtlingslagern hat sich die Lage dagegen eher verschlechtert. Dort waren im letzten Jahr 29 Prozent der Menschen von Ernährungsunsicherheit bedroht.

Alaa Tartir vom palästinensischen Netzwerk 'Al Shabaka' ist Ko-Autor des Berichts 'Farming Palestine for Freedom'. Seiner Ansicht nach kann die Landwirtschaft den Palästinensern zu einer nachhaltigen und autarken Wirtschaft und letztlich auch zur Ernährungssicherheit verhelfen.

"Die Menschen brauchen dann nicht mehr auf Lebensmittelpakete des UNRWA, der Palästinensischen Autonomiebehörde oder der Staatengemeinschaft zu warten", sagt er. "Wenn wir anfangen, auf unserem Land und unseren Dächern Anbau zu betreiben, werden wir eine ernährungssichere Nation schaffen."

Asmahan Ramadan fühlt sich durch das Gärtnern stärker an die Familientradition gebunden. Ihre Verwandten hatten früher in Zakaria in der Nähe von Jerusalem Landwirtschaft betrieben. "Meine Angehörigen waren Bauern, und ich bin zu unseren Wurzeln zurückgekehrt." (Ende/IPS/ck/2012)


Links:

http://al-shabaka.org/policy-brief/economic-issues/farming-palestine-freedom?page=show
http://www.unrwa.org/
http://www.ipsnews.net/2012/09/losing-land-and-finding-a-roof/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 18. September 2012
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. September 2012