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INTERNATIONAL/062: Bangladesch - Landwirtschaft verlagert sich aufs Wasser (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 10. Oktober 2012

Bangladesch: Landwirtschaft verlagert sich aufs Wasser

von Naimul Haq


Minati Sen ist glücklich über ihren schwimmenden Garten - Bild: © Naimul Haq/IPS

Minati Sen ist glücklich über ihren schwimmenden Garten
Bild: © Naimul Haq/IPS

Baikantapur, Bangladesch, 10. Oktober (IPS) - Die Regenfälle werden im Bezirk Gopalganj in Zentralbangladesch jedes Jahr stärker. Im Dorf Baikantapur kann man mittlerweile kaum noch durch die Straßen laufen, ohne nasse Füße zu bekommen. Bijoy Kumar Sen blieb nichts anderes übrig, als seine traditionelle Reisbewirtschaftung aufzugeben und Gemüse auf sogenannten 'Bairas' - schwimmenden Gärten - anzubauen.

Doch er und sein Bruder Dhiren Chandra Sen sind zufrieden. Mit den Bohnen, Karotten, Flaschenkürbissen und Kräutern sowie dem Spinat und Rettich können sie auf dem Wochenmarkt viel mehr verdienen als früher mit ihrem Reis. Darüber hinaus ist die Anbauweise umweltfreundlicher und besser für die Gesundheit von Produzenten und Konsumenten.

Baikantapur liegt rund 170 Kilometer von der Hauptstadt Dhaka entfernt. Die 900 Familien, in der Mehrheit Hindus, sahen sich in den vergangenen 50 Jahren immer stärkeren Regengüssen ausgesetzt. Der 78-jährige Kartik Mondal Sen erinnert sich noch gut an die Zeiten, als sich Reisfelder in der Gegend bis zum Horizont erstreckten. "Wir haben ganz gut vom Anbau und Verkauf von Reis gelebt", erzählt er. "Unsere Region war bis in entfernte Gegenden bekannt für die guten Ernten und unseren feinen Baikantapur-Reis."

Noch vor 50 Jahren habe man problemlos durch das Dorf fahren oder laufen können. Jetzt sind die Straßen und Wege in einem Umkreis von 40 Quadratkilometern das ganze Jahr über überschwemmt. Doch die Bewohner des kleinen Dorfes haben nicht kapituliert. Sie versuchen, das Beste aus der Situation zu machen, indem sie auf die in Teilen des Landes traditionelle Bewirtschaftungsform der Bairas zurückzugreifen.


"Es geht ums Überleben"

Geholfen hat ihnen dabei das nichtstaatliche Bangladeschische Zentrum für weiterführende Studien (BCAS). "Anfangs war es schwierig, die Menschen von den Vorteilen der Bairas zu überzeugen", erzählt Pranab Saha, ein Mitarbeiter von BCAS. "Es hat eine Weile gedauert, bis sie verstanden, dass es um ihr Überleben geht", sagt er.

Die schwimmenden Gärten kommen ohne Erde aus. Verrottete Wasserhyazinthen und Wassergras bilden die Grundlage, auf denen das Gemüse angepflanzt wird. Die Pflanzen schlagen ihre Wurzeln in diese hydroponischen Strukturen. Die Bairas benötigen nur wenig Pflege. Sie brauchen keinen Dünger und keine Pestizide, da das Wasser, in dem sie schwimmen, und die kompostierten Pflanzen, die den Nährboden bilden, alle notwendigen Nährstoffe bieten. Da es keinen Boden im klassischen Sinne gibt, werden die Pflanzen selten krank, und auch Unkraut bildet sich fast gar nicht.

"Wir bereiten die Bairas zu Beginn jeder Saison vor. Vor der Wintersaison säen wir die Kräuter und vor dem Frühling das Gemüse", erläutert Minati Sen aus Baikantapur.


Günstiger als traditionelle Anbauweise

Ein Großteil der Erträge wird auf den lokalen Märkten verkauft. Das Gemüse ist meist günstiger als jenes aus dem traditionellen Anbau, da die Bauern den teuren Dünger und die teuren Pestizide sparen konnten.

"Hier in Bangladesch sind die Auswirkungen des Klimawandels besonders sichtbar", sagt BCAS-Exekutivdirektor Atiq Rahman gegenüber IPS. Um diesen Herausforderungen adäquat zu begegnen, müssten Regierung, Nichtregierungsorganisationen und lokale Gemeinschaften an einem Strang ziehen. "Bairas gibt es schon seit Hunderten von Jahren. Wir sorgen lediglich dafür, dass das Wissen um diese traditionelle Technik weiterlebt und angewendet wird." Ziel sei es, den lokalen Gemeinschaften zu helfen, sich besser an die sich häufenden Überflutungen anzupassen.

Das dicht besiedelte Bangladesch mit seinen 150 Millionen Einwohnern hat schon immer sensibel auf Naturkatastrophen und Umweltveränderungen reagiert. Doch da die Bevölkerungszahlen immer weiter steigen und auch die Naturkatastrophen zunehmen, ist es eines der für den Klimawandel besonders anfälligen Länder.

Der Anstieg des Meeresspiegels in den vergangenen 20 Jahren hat bereits 150.000 Hektar Ackerland zerstört. Übertretendes Flusswasser vernichtete weitere 120.000 Hektar. Damit ist die Fläche, auf der Landwirtschaft möglich ist, immer weiter geschrumpft. Und dieser Trend wird sich fortsetzen. Experten zufolge wird sich die Agrarfläche in Bangladesch bis zum Ende des Jahrhunderts um 30 Prozent verringert haben. Mehrere Zehntausende Bauern mussten bereits ihre traditionellen Anbauformen aufgeben und wurden teilweise zu sogenannten Klimaflüchtlingen. (Ende/IPS/jt/2012)


Links:

http://www.bcas.net/
http://www.ipsnews.net/2012/10/farming-in-bangladesh-stays-afloat-literally/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 10. Oktober 2012
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Oktober 2012