Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → ERNÄHRUNG


LANDWIRTSCHAFT/1702: "Wir müssen uns vieles in der Tierhaltung neu erarbeiten" (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 404 - November 2016
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

"Wir müssen uns vieles in der Tierhaltung neu erarbeiten"
Handlungsfelder zur Veränderung der Tierhaltung aus Bauernsicht

von Christine Weißenberg


Bei allem Gezauder von Politik und berufsständischer Vertretung sind viele Bäuerinnen und Bauern auf ihren Höfen schon weiter: Aus eigenen Überlegungen heraus gehen sie andere Wege, verändern ihre Tierhaltung, bauen neuartige Ställe, machen sich auf die Suche nach "unkonventionellen" Lösungen: "Mir kamen immer mehr Zweifel, ob das in die richtige Richtung geht", erklärte Martin Ramschulte, Münsterländer Schweinemäster, dessen Potentialanalyse zum Stallumbau in der Bauernstimme (BS) 11/2015 beschrieben wurde, seine Nachdenklichkeit: "die Tiere nicht mehr draußen, sondern trotz geregelter Zwangsbelüftung ständig umgeben vom Ammoniakgeruch und in so reizarmer Umgebung, dass ihnen die Schwänze gekürzt werden müssen, damit sie sich die nicht abkauen."

Bauernstimmen

"Einfach ist langweilig", meinte Matthias Erle, der auf seinem Stück für Stück gewachsenen Betrieb für Sauen und Mastschweine unterschiedlichste Haltungsformen, viele davon mit Stroheinstreu, kombiniert. Er gab zu bedenken: "Schweinehaltung soll heutzutage, damit sie sich rechnet, einfach sein. Die gesellschaftliche Debatte zwingt jetzt dazu, das Denken wieder anzufangen. Es gilt, von Anfang an für alle Schweine gute Bedingungen zu schaffen" (BS 05/2015). Margret Schulze Heil, die mit ihrem Mann Elmar gerade einen PigPort-Stall für die Schweinemast gebaut hatte, freute sich: "Die Luft ist im Außenklimastall einfach anders, das ist auch ein viel angenehmeres Arbeiten als in den geschlossenen Ställen" (BS 12/2015). Für Karl Österle, der in Baden-Württemberg Sauen hält und schon lange Ferkel entsprechend der Neuland-Kriterien aufzieht, ist "der Schweineschwanz generell so was wie ein Stimmungsbarometer: Ist er aufgerollt zum Ringelschwanz, oder hängt er runter - dann ist irgendwas. Wir müssen halt immer genau hinschauen und sofort reagieren" (BS 03/2016).

"Ich wollte etwas verändern. So wie Schweine bisher gehalten werden, mochte ich nicht weitermachen", erklärte Andreas Brunner Anfang 2016 in der Reportage "Unser Land" des bayerischen Fernsehens. Er hat den Mastbetrieb von seinen Eltern übernommen und einen Offenfrontstall mit 800 Mastplätzen gebaut: "Die Schweine haben mehr Platz und einen Außenauslauf - viele Verbraucher legen ja Wert auf Tierwohl." Über direkte Verträge mit interessierten Metzgern hat er sich in mühevoller Arbeit einen höherpreisigen Qualitätsmarkt erschlossen.

Wende in der Tierhaltung

In der Bauernstimme 05/2015 beschrieb der Sauenhalter Günter Völker im Kommentar, mit welcher Intensität die Bauern und Bäuerinnen gegen ihren erheblichen Widerstand seit den 1960er Jahren von Wissenschaft und Politik in Richtung Intensivierung gelenkt wurden. "Zeiten ändern sich und Ziele auch", meinte in der gleichen Ausgabe Matthias Erle, eigentlich bezogen auf seine betriebliche Entwicklung. Das passt auch gesamtgesellschaftlich in Zeiten verstärkter Kritik an der Tierhaltung. Als "Notbremse" bezeichnete Völker die Aussagen des Gutachtens des Wissenschaftlichen Beirates Agrarpolitik vom März 2015: "Die Anforderungen, die sich aus dem Gutachten ergeben, sind nur mit Einschränkungen in alten Ställen umsetzbar. Um Klimazonen, Stallstruktur und Zugang zu Stroh zu schaffen, reicht es nicht, die Spalten zuzubetonieren. Die Wende in der Tierhaltung braucht ebenso viel Entwicklungsstrategien, Beratung, Ausbildung, Förderung und Zeit, wie sie die Intensivhaltung begleitet haben. Erfahrungen aus dem Neuland-Programm können eine Grundlage sein." Das ist auch aus Sicht des Rindermästers Bastian Ehrhardt stimmig: "Die Neuland-Idee ist die richtige: Verbraucher bekommen eine Tierhaltung, wie sie sie sich wünschen, und bäuerliche Betriebe eine wirtschaftliche Perspektive" (BS 09/2016).

Findungsphase

Heute gefragt, nimmt Günter Völker in der Landwirtschaft vor allem große Verunsicherung wahr: "In der Tendenz sind alle sehr vorsichtig. Alle wollen wissen, wo es sich hin entwickelt. Man rennt nur noch durch den Stall und schaut: 'Wie kann ich umbauen?' Die Menge der Bauern muss überlegen: 'Wie geht es weiter?' Wir können die alten, nicht mehr gewollten Ställe nicht auslagern wie 'Bad Banks' bei den Banken." Er bedauert alle, die jetzt noch einen konventionellen Stall bauen, z. T. nur, weil sie noch gültige Baugenehmigungen haben und befürchten, bei Änderungsanträgen gar keine Genehmigung mehr zu bekommen. "Da liegt ein großes Problem, das dringend geklärt werden muss", betont Völker. "Die Bauordnungsämter können mit Außenklimaställen für Schweine nichts anfangen. Sie können die Emissionen nicht rechnen, wie es für eine Genehmigung notwendig ist. Bei einem 'normalen' zwangsbelüfteten Stall muss die Luft mit drei Metern pro Sekunde aus dem Abluftkamin entweichen - aber wie sieht es bei ständigem bodennahem Luftaustausch mit der Umgebung aus?" Für Völker "ist jetzt eine Findungsphase, in der alles erst mal beschwerlicher, arbeitsaufwendiger ist. Das muss gar nicht so bleiben, aber tierfreundlicher wird es werden." Er Selbst baut mit großer Neugier versuchsweise für sechs Sauen einen Gruppenabferkel- und -säugebereich.

Mehrerlös statt Niedrigkosten

Es gibt sie also, die Pioniere der Veränderung. Auch wenn einige den höheren Aufwand zunächst sogar ohne eine höherpreisige Vermarktungsmöglichkeit stemmen - langfristig ist sie unbedingt nötig, auch zur Wegbereitung, damit sich weitere Betriebe mit einer Perspektive vor Augen auf den Weg machen. Familie Österle bekommt nach langen Jahren ohne Honorierung mittlerweile als Ferkellieferant für Neuland- und Tierwohllabelbetriebe einen besseren Erlös. Sie sind Teil einer Wertschöpfungskette, die von den Erzeugerkosten aus Preise kalkuliert hat und mit langfristigen Verträgen für Edeka Südwest produziert. Österles sind, wie es der Berater für alternative Schweinehaltung, Rudolf Wiedmann, beschreibt (BS 07/2016), aus dem gängigen landwirtschaftlichen Wirtschaftsmodell der Kostenführerschaft ausgeschert - um Erlösmaximierer zu werden. Bei dieser Strategie, die auf extra, sich von der ansonsten zur Zeit undifferenzierten Produktmasse abhebende Vermarktungswege mit z. T. kleineren Strukturen und auf deutliche Kommunikation der jeweiligen Leistungen angewiesen ist, bestehen zusätzliche Herausforderungen. So ist die gute Verwertung und Vermarktung des ganzen Tieres nicht ganz leicht.

Keine herkömmlichen Ställe mehr

Auch die Beratung ist gefordert, sich umzustellen. Wer Unterstützung finden will, muss bisher hartnäckig suchen. Erfahrene Berater für artgerechte Tierhaltung, wie der PigPort-Entwickler Rudolf Wiedmann sowie die langjährigen Neuland-, Bio- bzw. Tierschutzlabel-Experten Jan Hempler und Bernd Kuhn, raten bei Anfragen zu Neubauten eindringlich: Konsequent mitdenken, dass der Stall weitere Optionen zulässt - bis einschließlich Neuland- und Biostandard. Fälle, wie sie Andreas Brunner erlebt hat, sind für einen Umbau der Tierhaltung kontraproduktiv: "Von der Beratung waren alle erst mal zurückhaltend - ich solle doch einen normalen Stall bauen, da gäb' es die Garantie, der funktioniert. Die Bank war auch ein bisschen skeptisch." Zu diesem Punkt weiß Günter Völker aus einer Diskussionsveranstaltung in Gütersloh Wegweisendes zu berichten: "Dr. Ludger Breloh, Chefeinkäufer bei Rewe, riet einem anwesenden Bankenvertreter eindringlich: 'Finanzieren Sie keine herkömmlichen Ställe mehr!' Die Richtung ist klar - wir Bauern müssen uns vieles in der Tierhaltung neu erarbeiten. Und darum ringen, dass sich das auch in unseren Preisen widerspiegelt."

*

Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 404 - November 2016, S. 12
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
Bahnhofstr. 31, 59065 Hamm
Telefon: 02381/490 22 20, Fax: 02381/49 22 21
E-Mail: redaktion@bauernstimme.de
Internet: www.bauernstimme.de
 
Erscheinungsweise: monatlich (11 x jährlich)
Einzelausgabe: 3,45 Euro
Abonnementpreis: 41,40 Euro jährlich
(verbilligt auf Antrag 30,00 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Januar 2017

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang