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LANDWIRTSCHAFT/1711: Wettbewerb der Agrarsysteme (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 407 - Februar 2017
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Wettbewerb der Agrarsysteme
Bio oder konventionell: Ist das wirklich die Frage?

von Marcus Nürnberger


Tierschutz, Pestizide, Nitrat im Grundwasser. Das Modell der konventionellen, industrialisierten Landwirtschaft steht in der Kritik wie selten zuvor. Inzwischen sind nach vielen externen Beobachtern auch Vertreter des Deutschen Bauernverbands zu einem kritischen Blick auf das eigene Handeln gekommen. Im Papier des Westfälisch-Lippischen Bauernverbands werden Fehler eingeräumt und von einer Nachhaltigkeitsstrategie gesprochen, die es anzustreben gelte.

Nach vielen Jahren einer aktiven Bewegung, die immer zu Beginn der Grünen Woche in Berlin zur Demonstration "Wir haben es satt" aufruft, ein breites Bündnis von Bäuerinnen und Bauern, Verbraucherinnen und Verbrauchern, getragen von Verbänden des Natur- und Umweltschutzes, der Entwicklungshilfe usw., scheint ein Prozess in Gang gekommen zu sein: ein Prozess, der eine Umgestaltung, einen Umbau der Landwirtschaft in Deutschland zum Ziel hat. Begleitet wird dies gerade in diesem Frühjahr anlässlich der Grünen Woche durch zahlreiche Studien unterschiedlicher Institutionen, Verbände und Organisationen, die ihre Kritik an der bisherigen und ihre Forderungen an eine zukünftige Agrarpolitik zum Ausdruck bringen wollen.

Bio 3.0

Schon seit mehreren Jahren diskutieren führende Wissenschaftler und Verbände der Biobranche über die Zukunft der Landwirtschaft. Bio soll raus aus der Nische und sich als System dem Wettbewerb mit einer konventionellen Landwirtschaft stellen. "Die Triebfeder der Akteure des Biolandbaus bleibt aber der Umbau der Land- und Lebensmittelwirtschaft zu einem System, welches langfristig die natürlichen Lebensgrundlagen sichert und verbessert - und nicht verbraucht", schreiben die Autoren in ihrem Papier Bio 3.0. Gleichzeitig aber stellen sie auch die Unabhängigkeit der landwirtschaftlichen Betriebe heraus: "Täglich legen sich Betriebe durch Investitionsentscheidungen für ein bestimmtes Produktionssystem fest." Die Menschen, die diese Betriebe leiten und auf ihnen arbeiten, entscheiden sich für oder gegen eine Wirtschaftsweise. Ob konventionell oder ökologisch, intensiv oder extensiv, vielfältig oder hochspezialisiert, alles nur Ansätze, um die Vielfalt der Betriebe zu beschreiben. Ökologischer Landbau ist dabei mehr als nur ein Verzicht auf Mineraldünger und chemischen Pflanzenschutz. Hinter Bio stand und steht auch heute noch bei den allermeisten Betrieben, unabhängig von der Verbandszugehörigkeit, eine tiefe innere Überzeugung, ökonomisch, sozial, kulturell und ökologisch nachhaltig wirtschaften zu wollen.

Es muss sich ändern

Im Kursbuch Agrarwende 2050 formuliert Greenpeace eine Vision von einer zukünftigen Landwirtschaft. Diese wird, so die Annahme, getragen von 70 Prozent einer "ökologisierten" Landwirtschaft und 30 Prozent Biolandbau. Die Annahme ist nicht 100 Prozent Bio, weil dies den Autoren, trotz dessen grundsätzlicher Vorzüglichkeit als nachhaltigster Bewirtschaftungsform als Ziel innerhalb der kommenden 23 Jahre unrealistisch erscheint. Der prozentuale Anteil von Bio ist aber vor dem Hintergrund der Zielvorgabe, die Ressourcen, Wasser, Boden, Biodiversität, usw. zu schützen, nachrangig. Ganz anders sieht dies Felix zu Löwenstein auf dem Empfang des Bundesverbands Ökologischer Landbau anlässlich der Grünen Woche in Berlin, wenn er vom Ökolandbau als Problemlösung spricht: "Wer Wasser, Klima und Boden schützen will, der kann", und gemeint sind die Politiker in Berlin und den Bundesländern, "den Ökolandbau in den Titel der Koalitionsvereinbarungen schreiben".

Agrarökologie versus ökologisch

Die Vertreter der Bioverbände betonen immer wieder, auch in ihrem Papier Bio 3.0, das Ziel, den Ökolandbau aus seiner Nische führen zu wollen. Ganz konkret stellen sie die Systemfrage, wenn sie von einem "Wettbewerb der Agrarsysteme" sprechen und analysieren, weshalb dieser "bisher nicht eindeutig für den Ökolandbau entschieden" wurde. Diese Formulierung impliziert, dass es eine finale Entscheidung geben müsse. Neben einer auch von einer Mehrheit der Gesellschaft abgelehnten industriellen Tierhaltung und Landbewirtschaftung wird damit aber auch eine agrarökologische Wirtschaftsweise ausgeschlossen.

Neben nicht ausreichenden Preisen machen die Autoren vor allem eine "langsame Innovation im Biolandbau" als Wachstumsbremse aus. Seien Betriebe unterschiedlich gut entwickelt und es bestünden "große Forschungs- und Beratungslücken. Sowohl im Pflanzenbau als auch in der Tierhaltung ist der Ertragsunterschied zwischen ökologischer und konventioneller Produktion in den letzten 20 Jahren größer geworden, was betriebswirtschaftlich nicht bei allen Produkten durch Mehrpreise und durch die Bioprämie kompensiert wird."

Der nachhaltige Eindruck entsteht, und der wird auch durch aktuelle Aussagen beim BÖLW-Empfang in Berlin bestärkt, es gehe vor allem um Produktionssteigerung. Zum einen, was die Gesamtfläche angeht, auf der ökologisch produziert wird, aber auch um eine Steigerung der Menge pro Hektar. Dem steht prinzipiell nichts entgegen und man darf getrost davon ausgehen, dass die Bäuerinnen und Bauern sehr sorgfältig analysieren, welche Möglichkeiten ihnen diesbezüglich zur Verfügung stehen. Es geht vielen Biobäuerinnen und Bauern aber eben um viel mehr. Einen Wettbewerb der Bewirtschaftungssysteme vor dem Hintergrund eines so prominent formulierten Bewertungskriteriums Ertrag auszurufen, wird dem Ökolandbau nicht gerecht.

Freisinger Kreis

Einen ganz anderen, eher ganzheitlichen und weniger kämpferischen Ansatz verfolgt der Freisinger Kreis. Eine Gruppe von Menschen "aus biobäuerlichen Kreisen", die sich nach dem Ort ihres Treffen in Freising bei München benannten. Sie beschreiben Landwirtschaft als Teil der Natur mit einer Verantwortung gegenüber der Umwelt und lassen damit bewusst auch Raum für agrarökologisch wirtschaftende konventionelle Betriebe. Es gehe nicht um den Ausbau einer "globalisierten Konkurrenzökonomie", so die Autoren. Auch sei eine immer weiter voranschreitende Rationalisierung und Technisierung nicht der richtige Weg, um die Ernährungssouveränität, die Agrarökologie und die Unabhängigkeit der Bauern zu ermöglichen. Entgegen den Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte fordern die Unterzeichner: "Das Land braucht mehr Bäuerinnen und Bauern." Gleichzeitig aber auch mehr Handwerker, Verarbeiter und Händler. Es geht also um den Erhalt sowie den Wiederaufbau von regionalen Strukturen, kulturellem Leben, Wirtschaftsstrukturen und die Schaffung von Arbeitsplätzen rund um die Landwirtschaft und die Lebensmittelerzeugung in ländlichen Regionen.

Mensch und Tier

Das Tier wird nicht als Produktionsfaktor, sondern als Mitgeschöpf betrachtet, dessen natürliche Bedürfnisse es zu respektieren und zu befriedigen gilt. Tiere werden als ein wichtiges Glied im Betriebs- und Nährstoffkreislauf gesehen.

Den Nährstoffkreislauf zu optimieren bedeutet, so die Autoren, auch für den Ackerbau, "mehr gärtnerisch und vielleicht sogar waldgärtnerisch zu denken". Die Sonnenenergie ist die zentrale Energiequelle der Landwirtschaft. Sie steht im Mittelpunkt allen Wachstums. So soll auch eine auf Erdöl basierte Wirtschaftsweise von einer durch regenerative Energien getragenen ersetzt werden.

Keine Gentechnik

Kurz, aber deutlich der Abschnitt zum Verständnis der Lebensmittelqualität. Abgelehnt wird die reduzierte Betrachtung ausschließlich von Inhaltsstoffen. Nahrungsmittel sind mehr als Zucker und Kohlehydrate. "Lebensmittelqualität schließt die Herkunft und Vorgeschichte unserer Lebensmittel mit ein." Eingriffe wie die Genmanipulation werden abgelehnt.

Verantwortung

"Wie kann es sein", so die Autoren, "dass unsere Wirtschaftsweise zur Vertreibung von Bäuerinnen und Bauern in den Ländern des Südens führt, damit auf ihren Feldern Futterpflanzen für die hiesige Tierhaltung angebaut werden können." Hier gelte es, sich auf eine internationale Solidarität zu besinnen und nicht Profite zu Lasten von Menschen in anderen Ländern und Kontinenten der Welt zu machen. In diesem Zusammenhang wird der Markt als ein "im Prinzip sehr wichtiger Partner der Bäuerinnen und Bauern" gesehen. Allerdings müsse dazu das oftmals ungerechte und schädliche Machtgefälle zwischen den handelnden Akteuren, zu Lasten der Bauern, aufgehoben werden. Natürlich stehen sich diese beiden Papiere nicht kontrovers gegenüber. Viele der Positionen des Freisinger Kreises sind Grundwerte des ökologischen Landhaus. Und doch gilt es aktuelle Herausforderungen, neue Marktpotentiale, Wachstumsbestrebungen und Produktionsmethoden an dem eigenen Wertesystem zu überprüfen.

Wachstumsökonomie

Muss Bio sich einem im konventionellen Landbau so ruinösen "Immer mehr Ertrag bei weniger Kosten" stellen? Steht nicht zu befürchten, dass die aktuell gute Erlössituation der Biobetriebe bei einem deutlichen Wachstum wie im konventionellen Bereich durch ein Überangebot zulasten der landwirtschaftlichen Betriebe einbricht? Es scheint verlockend, immer neue Absatzwege zu finden. Doch wenn Unternehmen wie Davert mit ungeschriebenen Branchenvereinbarungen brechen und ihre Markenprodukte statt exklusiv über den Fachhandel inzwischen auch im Discount anbieten, wird das schlussendlich die Preise unter Druck setzen und am Ende zulasten der Bauern gehen. Während der Fall Davert die Entscheidung eines selbstständigen Unternehmens ist, erfolgte die Aufnahme der in der ÖDL zusammengeschlossenen konventionellen Handelsunternehmen Budnikowski, dm, Globus, REWE Group und tegut im BÖLW durch die hier zusammengeschlossenen Unternehmen, die einen Großteil der Biobranche repräsentieren. Die Händler würden dazu beitragen, dass Bio in vielen Super- und Drogeriemärkten boomt, so der Verband. Nur am Rande erwähnt werden sollen hier die vielen Importe von Soja und Weizen aus Südosteuropa, die, auf Verbandsniveau aufgewertet, die Ware von heimischen Betrieben preislich unter Druck setzen. Für nicht wenige Beobachter ist dies ein Wachstum, bei dem man Gefahr läuft, die eigenen Konturen zu verlieren. Das freilich sieht man beim BÖLW und den führenden Verbandsvertretern ganz anders.

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 407 - Februar 2017, S. 11 + 13
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
Bahnhofstr. 31, 59065 Hamm
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(verbilligt auf Antrag 30,00 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Mai 2017

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