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LANDWIRTSCHAFT/1712: "Wir brauchen eine klare Nutztierstrategie" (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 409 - April 2017
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

"Wir brauchen eine klare Nutztierstrategie"
Überlegungen zum Umbau in Landwirtschaft und Tierhaltung auf der AbL-Tagung NRW

von Christine Weißenberg


Es muss was getan werden! Ankündigungen, dass es so nicht weiter gehen kann, gibt es genug. Es reicht an immer wieder kehrenden unakzeptablen Bildern aus vermeintlich modernen Ställen, an immer weiter und immer schneller voranschreitendem Strukturwandel, der den Begriff gar nicht mehr verdient, weil er eine moderate Geschwindigkeit beim Verschwinden bäuerlicher Betriebe suggeriert. Es gilt die gesellschaftliche Akzeptanz für die Landwirtschaft zurück zu gewinnen, mit Taten, jetzt! Es muss endlich Geld in die Hand genommen werden für den Umbau der Tierhaltung, für eine umweltgerechte Erzeugung. Es muss endlich Geld umverteilt werden auf bäuerliche Betriebe.


Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) in Nordrhein-Westfalen hatte Mitte März zum Dialog Landwirtschaft eingeladen. Als Einstieg sortierte Hugo Gödde, Neuland- und Bio-Fleischvermarktungspionier in NRW, aus seiner Sicht die aktuelle Lage, vor deren Hintergrund sich die zur Zeit stattfindende Diskussion rund um die Tierhaltung abspielt. Mit besonderem Blick auf den Schweinemarkt unterteilte er vier Bereiche:

Zum einen die viel gepriesenen Wachstumserfolge bei gleichzeitig sich verschlechternder wirtschaftlicher Lage der meisten Schweinemäster und der Sauenhalter, inklusive vieler Betriebsaufgaben; als zweites die zunehmende Globalisierung mit steigender Bedeutung von Exportmärkten für die marktführenden Schlachtunternehmen. Drittens ein hauptsächlicher Inlandsabsatz von Frischfleisch über Rabattangebote des Lebensmitteleinzelhandels (LEH) und als Viertes die anstehende Veränderungen für mehr Tierwohl auf Grund gesellschaftlich höherer Ansprüche, deren konkrete Ausgestaltung sich momentan im vielgestaltigen, unkoordinierten Chaos nicht verlässlich ausmachen lässt. "Die Lösung dafür ist, da muss die Politik eingreifen", so Hugo Gödde. "Damit nicht im LEH alle eigene Standards vorgeben, um sich gegen die anderen zu profilieren, muss da staatlich eine Linie rein gebracht werden. Wir brauchen eine klare Nutztierstrategie und klare Übergangsfristen."

Finanzierungsideen

Um einen Umbau der Tierhaltung zu finanzieren, hatte der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik des Bundeslandwirtschaftsministeriums eine grobe Spanne mit dem optimistischen unteren Wert von drei Milliarden Euro jährlich angesetzt. Dieses Geld sei nicht bei den Bauern zu holen, machte Gödde klar. Es müsse auf anderen Wegen verfügbar gemacht werden. Sein Vorschlag: als Grundlage ein verbindliches, Klarheit vorgebendes Ordnungsrecht. Die erste Milliarde könne durch die Umschichtung von Finanzmitteln der EU-Agrarpolitik aus der 1. Säule der Direktzahlungen in die 2. Säule der programmgebundenen Mittel kommen, um den wesentlichen Aspekt der Umbauförderung abzudecken. Die zweite Milliarde müsse am Markt erlöst werden, u. a. durch transparente Kennzeichnung, Mehrwertvermarktung durch die gesamte Wertschöpfungskette - und die Abkehr von der Angebotsmacherei. Die dritte Milliarde sei der schwierigste Bereich. Abzuwägen sei, wie durch eine Art Umlage Geld in einen Fonds fließen könne.

Konsens ausdiskutieren

Grundsätzlich muss jedoch alles auf einem langfristig verlässlichen gesellschaftlichen Konsens aufgebaut werden. Die Diskussionen dazu seien momentan Hauptaufgabe, so Gödde - neben allen konkreten Vorschlägen zur Gestaltung von Veränderungen. Rund um die Tierwohlanforderungen beobachte er bisher zwei verschiedene Seiten in der Auseinandersetzung, die es schwer machten zusammenzukommen: zum einen einen Großteil der Bauern und ihrer öffentlichen Vertreter, die zwar ganz richtig sagen: "Wir machen nicht alles falsch." Gleichzeitig bezeichneten sie sich aber, aus einer Art Hilflosigkeit heraus, mit einer blockierenden Arroganz als die einzigen mit Ahnung vom Tierwohl. Auf der anderen Seite tauchten aus dem Vielklang derer, die sich für Veränderungen in der Landwirtschaft aussprechen, z. T. auch Angriffe gegen die Landwirtschaft auf, die nicht notwendig seien. Sehr erfreut habe ihn deshalb der Vorstoß des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbands (WLV) mit seiner Nachhaltigkeitsoffensive. Auch wenn eine überraschte Skepsis bliebe: Die kritische Analyse und die Veränderungsvorschläge werte er als Zeichen, dass man es ernst meine und in den Austausch treten wolle.

Gedanken aus dem Bauernverband

Anschließend erläuterte Henner Braach, Milchbauer im Sauerland und Vizepräsident des WLV, wie das Verbands- und Diskussionspapier "Offensive Nachhaltigkeit" entstanden ist. Sie sähen die gesellschaftlichen Anforderungen nicht als Zeitgeistphänomen, das einfach vorüber gehe. Bei den anstehenden, noch unklaren Veränderungen stünden die Landwirte mit ihren Anliegen jedoch ziemlich allein da. Der Wunsch, sich einfach auf die Wissenschaft zu verlassen, trage nicht. Denn "die Spitzenwissenschaftler, die nach wie vor unsere Spitzenkräfte, die Kammerberater und die Berufsschullehrer ausbilden - die erklären nun: So sei die Landwirtschaft nicht zukunftsfähig. Die gleichen Leute, die maßgeblich zu der Entwicklung beigetragen haben, sind so schnell damit fertig." Es ginge deshalb darum, selbst den Takt zu bestimmen und sich nicht treiben zulassen. Vor einer Stärken- und Schwächenanalyse sei eine Vision formuliert worden, "um vor Augen zu haben: Da wollen wir hin." Die Öffentlichen, z. T. sehr ehrlich benennenden Aussagen gingen manchen Bauern zu weit, sie empfinden sie als unerträgliche Kritik an ihrem Lebenswerk. Das Gespräch über die Inhalte und die Gestaltung von Veränderung sei anstrengend, meinte Braach: "Es sind turbulente innerverbandliche Prozesse - aber wir haben lange nicht so intensiv miteinander diskutiert. Es geht um das Selbstverständnis - das ist eben eine ganz besondere Dimension."

Entschleunigen und reden

Hugo Gödde kam auf das Spannungsfeld zwischen unterschiedlichen Ausgangspositionen und Geschwindigkeiten zurück: "Das ist ein ganzes System, und dann fangen wir an jeder Ecke zugleich an und schieben alles ineinander. Wir müssen uns da entschleunigen." Vielen könne es auf der einen Seite nicht schnell genug gehen, aber auf der anderen Seite seien die, die es umsetzen müssten, die Bauern, noch nicht damit durch. Viele bräuchten etwas mehr Zeit, damit im Kopf die Bereitschaft zur Veränderung entsteht - und um ihre Sicht und eigene Vorschläge einzubringen. "Wir müssen Übergänge schaffen, dafür müssen wir Ideen sammeln und miteinander diskutieren", ermunterte Gödde, der vorher schon gewarnt hatte: "Aber ab sofort dürfen wir nicht mehr weiter wachsen, weil das nur wenigen nützt und den Druck, auch für den Einzelnen, erhöht."


Hintergründe:

Im März 2015 veröffentlichte der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft sein Gutachten "Wege zu einer gesellschaftlich akzeptierten Nutztierhaltung". Die zentrale Aussage: Sie halten "die derzeitigen Haltungsbedingungen eines Großteils der Nutztiere für nicht zukunftsfähig" - vor dem Hintergrund einer "verringerten gesellschaftlichen Akzeptanz der Nutztierhaltung" auf Grund "erheblicher Defizite vor allem im Bereich Tierschutz, aber auch im Umweltschutz", kombiniert mit "einer veränderten Einstellung zur Mensch-Tier-Beziehung". Im November 2016 startete der WLV eine Offensive für mehr Nachhaltigkeit. Teil der Vision ist u. a. der Wunsch nach einer neu gewachsenen, vertrauensvollen Verbindung zwischen Bauernfamilien und Bevölkerung. In der Stärken- und Schwächenanalyse wird als zentrale Stärke die Erzeugung von hochwertigen Lebensmitteln herausgestellt. Unter den Schwächen sorgte neben der existentiellen Feststellung "Wir müssen uns verändern, weil unser bisheriges Wachstum sowohl betrieblich als auch in den Familien an Grenzen stößt" vor allem ein anderer Satz für bundesweite Aufmerksamkeit: "Wir müssen uns verändern, weil wir als Berufsstand durch unsere Art und Weise der landwirtschaftlichen Erzeugung dazu beitragen, dass Boden, Wasser, Luft und Tiere sowie Elemente der Kulturlandschaft geschädigt werden." Verstanden werden solle dies, laut Braach, als das bewusste Hinschauen, wo heutige Produktionsweisen in Konflikt zu anderen Belangen stünden. Konkret wurden Leitprojekte ausgearbeitet, für die Zeitrahmen gesetzt, Ziele abgesteckt und eine jährliche begleitende Auswertung und Diskussion vorgesehen wurden.

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 409 - April 2017, S. 11 - 12
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
Bahnhofstr. 31, 59065 Hamm
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Erscheinungsweise: monatlich (11 x jährlich)
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Abonnementpreis: 41,40 Euro jährlich
(verbilligt auf Antrag 30,00 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Mai 2017

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