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MARKT/2133: Milch - Nicht zu diesem Preis (ubs)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 391 - September 2015
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Nicht zu diesem Preis
Die Menge reduzieren, Preis stabilisieren und Existenzen sichern

Von Marcus Nürnberger


Überall in Europa demonstrieren Bauern gegen niedrige Milchpreise. Zum Teil mit drastischen Maßnahmen, wie in Belgien, wo Landwirte mit rund 300 Traktoren den Flughafen in Lüttich-Bierset blockierten, Autoreifen anzündeten und mit Nachdruck Molkerei und Verbandsvertreter aufforderten, sich einer konstruktiven Auseinandersetzung für einen kostendeckenden Milchpreis zu stellen. Ähnliche Aktionen werden aus Frankreich, Spanien und England gemeldet. Auch in Deutschland zogen Bauern vor die Tore der Molkereien, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen. Eine Staffelfahrt aus allen Teilen der Republik findet am Dienstag, dem ersten September ihren Abschluss in München. Sie bildet den Auftakt zur vorn European Milk Board (EMB) initiierten Demonstration am siebten September in Brüssel anlässlich des Treffens der Agrarminister der Mitgliedsstaaten. Die Agrarminister reagieren mit der Zusammenkunft auf den wachsenden Druck, der ihnen von Seiten der Milchviehhalter und ihrer Interessenvertreter entgegenschlägt.

Mit Ansage

Immer wieder war vor der jetzt zur vollen Ausbreitung gekommenen Krise am Milchmarkt gewarnt worden. Schon im vergangenen Jahr machten der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter (BDM) und die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) fortgesetzt darauf aufmerksam, dass die stark gewachsene Produktionsmenge zwangsläufig zu einem Überangebot und in der Folge zu einem Preisverfall führen muss. Schon zu einem Zeitpunkt, an dem die Milchquote, die am ersten April dieses Jahres auslief, noch bestand, hatten viele Betriebe in der Hoffnung auf eine günstig ausfallende Saldierung ihre Produktionsmenge über die in der Quote erfasste Menge hinaus gesteigert. Erst die Hochrechnung der Molkereibranche und die Warnungen vor einer überdurchschnittlich hohen Superabgabe für die Überlieferer führte Ende 2014 und im ersten Quartal 2015 zu einem leichten Rückgang der Anlieferungsmenge und zu einer Stabilisierung des Milchpreises. Mit dem Wegfall der Milchquote verlor diese "Lieferdisziplin" ihre Grundlage. Die Folge war ein kontinuierlicher Anstieg der Milchmenge. Dieser ließ erst Mitte Juli aufgrund der heißen Temperaturen um 3,3 Prozent nach und fiel unter das Vorjahresniveau.

Faktoren der Preissenkung

Außer der gestiegenen Produktion sorgten Veränderungen am Weltmarkt für eine zusätzliche Verschärfung der Situation. Immer wieder und teilweise als einzige Ursache für die Krise angeführt wird das russische Lebensmittelembargo. Als politische Reaktion liegt es außerhalb des regulären Geschehens der Märkte. Die Krise wäre bei dieser Art der Betrachtung, mit dem Embargo als einziger Ursache, kein Marktversagen, sondern allein in der politischen Auseinandersetzung zwischen der EU und Russland begründet. So angenehm derart monokausale Erklärungen für den Leser sind, so schnell wird dem kritischen Beobachter auch deutlich, dass sie die Komplexität des Marktgeschehens nicht abbilden. Selbst das für seine marktliberale Position bekannte Thünen-Agrarforschungsinstitut nennt gleich eine Reihe weiterer Einflüsse: die hohe Produktion in Neuseeland und den stagnierenden Absatz in China. Aber auch in den USA ist die Produktionsmenge gestiegen.

Allein gelassen

Für die Bauern sind die aktuellen Preise von unter 30 Cent eine ökonomische Unmöglichkeit. Die Betriebe könne derartige Auszahlungspreise, die in Nord- und Ostdeutschland teilweise nur noch bei 25 Cent liegen, nur überstehen, indem sie ihre Rücklagen aufbrauchen, Abschreibungen auflösen oder, vor allem bei großen Betrieben mit Lohnkosten, Überbrückungskredite beantragen. Die Empfehlung von Sascha Weber vom Thünen-Institut, stärker auf alternative Einkommensquellen wie beispielsweise Ferienwohnungen zu setzen, greift Empfehlungen des ehemaligen Präsidenten des Deutschen Bauernverbands (DBV) Sonnleitner auf, der dies schon 2009 empfahl. Die Reaktion der Politik ist die Ankündigung vorgezogener Auszahlungen der Direktzahlungen, das Versprechen von Zinsvergünstigungen und Liquiditätshilfen. Die Verantwortlichen auf Bundes- und EU-Ebene weigern sich aber, das Konzept der Marktliberalisierung, welches zur ersatzlosen Streichung der Milchquote geführt hat, aufzugeben. EU-Agrarkommissar Paul Hogan erklärte in der französischen Zeitung "Le Tribune": "Wir leben in einer Epoche volatiler Märkte", was einer außergewöhnlich hohen Produktion auf allen Märkten, insbesondere in den USA und in Neuseeland, aber auch hier in der EU geschuldet sei.

Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt bewertet das Ende der Milchquote in einem Interview in der "Welt" positiv: "Jeder Milcherzeuger hat jetzt die Freiheit, aber auch die Verantwortung, zu entscheiden, wie viel Milch er erzeugt. Ziel sollte es im Interesse der Milchwirtschaft sein, nur so viel Milch zu produzieren, wie abgesetzt werden kann." Nicht erwähnt wird die in den vergangenen Jahrzehnten immer weiter gestiegene Unfreiheit der Milchbauern bei der Wahl ihrer Molkerei. Der immer weiter vorangetriebene, vom Deutschen Bauernverband und dem Raiffeisenverband. auch aktuell noch befürwortete, Konzentrationsprozess im Molkereisektor lässt den Lieferanten immer weniger Wahl ihrer Molkerei und drängt den Wettbewerb immer weiter zurück. Diese Abhängigkeit belegte auch die vom Bundeskartellamt im Januar 2012 abgeschlossene Sektoruntersuchung Milch.

Export ist keine Lösung

Die Milch ist da. Verkaufen wir sie. So einfach, könnte man denken, ist der Umgang mit der Krise beim DBV. Denn die zentrale von Präsident Rukwied vorgebrachte Forderung ist eine Exportoffensive. Finanziert aus den Mitteln der Superabgabe. Die Strafzahlungen derjenigen, die im vergangenen Milchwirtschaftsjahr den Milchüberschuss verursacht und damit den Preisverfall vorangetrieben haben, kämen ihnen zumindest teilweise wieder zugute. Unerwähnt bleibt von Seiten des DBV, dass er zum Ende des letzten Milchwirtschaftsjahres im März 2015 davon ausgegangen war, dass die Superabgabe in diesem letzten Quotenjahr gar nicht mehr rechtskräftig wirksam sei und daher juristisch dagegen vorzugehen versuchte.

Volle Märkte, geringe Preise

Ob eine Exportoffensive wirklich dazu geeignet ist, die Preise zu heben, das lassen zumindest die Zahlen der GEFA (German Export Association for Food and Agriproducts e.V.) fraglich erscheinen. Demnach sind die Exporte von Molkereiprodukten im ersten Halbjahr 2015 mengenmäßig fast gleich geblieben (+0,2 %), der Exportwert allerdings fiel bei dieser exportstärksten deutschen Warengruppe im Agrarbereich um 13,6 Prozent deutlich. Vor diesem Hintergrund kritisch fragen muss man, welche Interessen der DBV, der immer eng mit der Molkereiindustrie verbunden war, mit seiner Exportoffensive tatsächlich verfolgt. Vielleicht ist das Ziel: gute Absatzmärkte für die Molkereien bei gleichzeitig günstigen Rohstoffpreisen mit unterwürfigen Produzenten.

Menge gestalten

Für den Bundesverband deutscher Milchviehhalter (BDM) liegen Ursache und Lösung der Krise eng beieinander. Die Ursache, darin sind sich alle Marktbeobachter einig, ist das Überangebot an Milch. Die Lösung sieht der BDM in einer gezielten Mengenreduktion. Keine Wiedereinführung der Quote, sondern eine im Krisenfall einsetzende schrittweise Mengenreduktion schlägt der Verband mit seinem Marktverantwortungsprogramm vor. Auch die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft unterstützt diese Forderung. Gleichzeitig drängt sie auf eine Qualitätsinitiative. Die Milch soll von der Weide gemolken werden, Importsoja durch heimische Eiweißpflanzen ersetzt und die Zuchtleistung auf Langlebigkeit statt auf hohe Milchmenge ausgerichtet werden. Vor allem aber sollten sich die Erzeuger zusammenschließen, um wieder Marktmacht zurückzugewinnen.

Inzwischen rollen die Traktoren, ob nach München oder kommende Woche nach Brüssel. Viele erwarten schnelle Reaktionen der verantwortlichen Politiker. Wie schon 2009 scheinen die Geduld und die Kraft am Ende. Ein letztes Aufbäumen. Wenn es so ist, haben die Marktliberalen schon gewonnen. Sie werden kleinste Schritte gehen, die Bauern zu besänftigen versuchen. Der Milchstreik 2009 hat neben vielem anderem leider auch gezeigt, wie schwerfällig Politik, wie mächtig die Lobby der Molkerei- und Exportwirtschaft ist und wie schnell berechtigte Bauernproteste vergessen werden. So wichtig die Kundgebungen in München und Brüssel sind, bilden sie vor allem den Auftakt zu einem Prozess, der die Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft, aber auch die Verbraucher kontinuierlich mit den Forderungen nach fairen Preisen für die Landwirtschaft konfrontiert.

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 391 - September 2015, S. 11 - 12
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
Bahnhofstr. 31, 59065 Hamm
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Erscheinungsweise: monatlich (11 x jährlich)
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(verbilligt auf Antrag 28,40 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Oktober 2015

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