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MARKT/2202: Milchmarktpraxis unter kartellrechtlicher Lupe (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 403 - Oktober 2016
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Milchmarktpraxis unter kartellrechtlicher Lupe
Die Suche nach dem funktionierenden liberalen Markt und seine Regeln

Von Christine Weißenberg


Das Bundeskartellamt als oberster Wettbewerbshüter beobachtet die Geschäftsbeziehungen und Machtverhältnisse innerhalb des Milchmarktes schon seit geraumer Zeit. Andreas Mundt, der Präsident des Amtes, hat sich an verschiedensten Stellen kritisch dazu geäußert. In der anhaltenden Milchkrise gab er Ende Juli dem Infodienst Agra-Europe ein Interview und urteilte so deutlich wie scharf: "Ohne eine wirksame Mengensteuerung wird der Milchmarkt auch in Zukunft nicht wettbewerblich funktionieren." Die Steuerung soll sich nach Ansicht der Behörde durch den Markt, d. h. durch Handlungen der Akteure, geleitet durch betriebliche Entscheidungen im Rahmen des wirtschaftlichen Wettbewerbs ergeben - getreu dem hauseigenen Motto: offene Märkte, fairer Wettbewerb. Doch nach wie vor ist zu viel Milch auf dem Markt.


Unfaire Lieferbedingungen

Die Gründe dafür vermuten die Kartellrechtler u. a. in den Lieferbedingungen der Molkereien, die sie deshalb seit dem Frühjahr in einem Verwaltungsverfahren unter die Lupe nehmen - in einem Pilotverfahren zunächst die der norddeutschen DMK (Deutsches Milchkontor). Geprüft werden laut Pressemitteilung u. a. die langfristigen Verträge, 100%ige Milchandienungspflichten und das auch für den Lebensmitteleinzelhandel transparente Preissystem: "Der Wettbewerb der Molkereien um die Rohmilch wird hierdurch möglicherweise eingeschränkt und eine wirksame Mengensteuerung über den Markt behindert. Das ginge zu Lasten der Landwirte." Auch das übliche Vorgehen, die Erzeugerpreise erst nachträglich festzulegen, steht auf dem Prüfstand: "Das wirtschaftliche Risiko trägt hier einseitig der Landwirt." Mögliche Konsequenzen ordnet Mundt folgendermaßen ein: "Unser Verfahren kann nicht die aktuelle Krise am Milchmarkt lösen. Kartellrechtskonforme Lieferbedingungen können aber dazu beitragen, dass der Milchmarkt mittelfristig besser funktioniert."


Krisenlösung

Und jetzt? "Die Milchmenge ist wohl ein entscheidender Faktor bei der Suche nach einer nachhaltigen Lösung der Krise", so Mundt gegenüber Agra-Europe, "(...) es ist sehr zweifelhaft, ob die Molkereien, die sich hieran [an Mengenabsprachen untereinander] nicht freiwillig beteiligen wollen, hierzu gezwungen werden können. Sinnvoller dürfte es sein, über Anreize dafür zu sorgen, dass Erzeuger ihre Produktionsmenge freiwillig senken." Grundsätzlich und langfristig wies das Kartellamt schon in seinem Zwischenbericht zur Sektoruntersuchung Milch aus dem Jahr 2010 auf die Notwendigkeit der Bündelung der Interessen von Milchbäuerinnen und -bauern zur Verbesserung ihrer Lage hin. Denn die "wettbewerbsrechtlich zulässigen Kooperationsmöglichkeiten sind also auf der Marktstufe, die keine signifikante Marktmacht hat, höher als auf anderen Marktstufen. Von dieser Möglichkeit haben die Erzeuger bislang jedoch lediglich ansatzweise Gebrauch gemacht."


Eine Frage der Ziele

Zu beachten ist bei allen Bewertungen der Kartellrechtler: Es handelt sich um eine Prüfbehörde, die von liberalisierten Märkten mit ungestörtem Wettbewerb als vorgegebener politischer Zielrichtung ausgeht. Jegliche lenkende Eingriffe werden als kurzfristig betrachtet und mit politischen Motiven begründet: "Wie viele Notfallmaßnahmen der liberalisierte Milchmarkt noch braucht, muss letztlich die Agrarpolitik entscheiden; das ist kein kartelirechtliches Thema", klärte Mundt das Selbstverständnis im Agra-Europe-Interview. Auch den sich verschärfenden Strukturwandel betrachtete die Behörde im Zwischenbericht nüchtern als logische Konsequenz: "Für eine Änderung der Liberalisierungspolitik der Europäischen Kommission und eine entsprechende Abkehr vom damit eingeleiteten Strukturwandel gibt es aktuell (...) keinerlei Hinweise. Der Wandel (...) ist (...) politisch gewollt und von der Europäischen Kommission dementsprechend eingeleitet worden. Die Folgen der Reformen, auch für die Marktstufe der Milcherzeuger, sind dabei in Kauf genommen worden, wenn nicht sogar beabsichtigt." Das heißt wiederum, Widerstand gegen die Marktentwicklungen beinhaltet die Kritik an der Handelspolitik. Richtungsvorgaben zu diskutieren ist nicht Sache des Kartellamtes. Das ist Sache der Gesellschaft - wir müssen untereinander aushandeln, wie wir wirtschaften und welche Regeln es dabei geben soll. Gegenüber marktwirtschaftlich ausgerichteten Unternehmensinteressen liefert die Einschätzung des Bundeskartellamtes eine passende, kritische Argumentation auf gleicher Ebene. Deutlich wird, dass es nicht einfach rund läuft, wenn man "es dem Markt überlässt". Weil es Vorbedingungen gibt, Konzentrationsprozesse, geschaffene Regeln. Der "freie Markt" ist ein Kunstprodukt und wird in der Realität von Menschen gemacht, die als Gesellschaft mehr Ziele haben als den Freihandel.

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 403 - Oktober 2016, S. 12
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Dezember 2016

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