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ASYL/1179: Sicherheit für Flüchtlinge auch im Zielland stärken (Flüchtlingsrat Niedersachsen)


Flüchtlingsrat Niedersachsen - Pressemitteilung vom 19. Juni 2017

Zum Weltflüchtlingstag: Flüchtlingsrat warnt vor einer nachhaltigen Beschädigung des Asylrechts

Am 20. Juni ist Weltflüchtlingstag. Neuer Höchststand: 65,6 Millionen Menschen auf der Flucht


Am 16. Juni 2017 veröffentlichte der UNHCR seine aktuelle Weltjahresstatistik "Global Trends", der zufolge Ende 2016 insgesamt 65,6 Mio. Menschen von Flucht und Vertreibung betroffen waren - 300.000 mehr als im Vorjahr. 10,3 Mio. Menschen seien neu auf der Flucht gewesen. Dies bedeute, dass 2016 statistisch alle drei Sekunden ein Mensch fliehen musste. Unter den 65,6 Millionen sind 40,3 Millionen Menschen, die innerhalb des Heimatlandes geflohen sind, die größte Gruppe. Es folgen 22,5 Millionen Flüchtlinge und 2,8 Millionen Asylsuchende.

Die Aufnahmebedingungen haben sich in Europa gleichzeitig deutlich verschlechtert. Im vergangenen Jahr wurden Grenzregime und Abwehrmechanismen auf- und ausgebaut, die es Geflüchteten faktisch unmöglich machen und auch unmöglich machen sollen, überhaupt erst einen Asylantrag in Europa stellen zu können. Die Mauern um die "Festung Europa" werden immer höher gezogen, um die Flüchtlingszahlen möglichst gering zu halten.

Ein großer Schritt in Richtung auf die Exterritorialisierung des Asylrechts stellt der sogenannte Türkei-Deal dar, der im Kern darauf hinausläuft, Flüchtlinge in das angeblich für sie sichere Drittland Türkei abzuschieben und dafür eine kontingentierte Zahl von syrischen Flüchtlingen in Europa aufzunehmen. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass diese gravierende Veränderung ausgerechnet durch Bundeskanzlerin Angela Merkel eingeleitet wurde, die für ihre Offenheit gegenüber Flüchtlingen im Jahr 2015 gefeiert wurde, aber auch schwersten Anfeindungen ausgesetzt war: Mit der Deklaration der Türkei zum "sicheren Drittstaat" wurde ein Land zur sicheren Fluchtalternative erklärt, das die Genfer Flüchtlingskonvention nicht einhält und die Europäische Menschenrechtskonvention mit Füßen tritt. "Die Bundesregierung sieht das EU-Türkei-Abkommen im Einklang mit dem EU-Recht und dem internationalen Verpflichtungen zum Flüchtlingsschutz. ... Die EU-Türkei-Erklärung stellt ausdrücklich fest, dass bei der Umsetzung das EU-Recht und das Völkerrecht uneingeschränkt gewahrt werden", heißt es in einer Antwort der Bundesregierung (18/8542) auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke (18/8205) vom 01.06.2016, an der die Bundesregierung bis heute festhält. Nichts drückt die Verlogenheit der Debatte um Menschenrechte und Flüchtlingsfragen deutlicher aus als diese von durchsichtigen Interessen geleitete Feststellung.

Zu befürchten ist, dass der Türkei-Deal nur die Blaupause darstellt für weitere Abkommen mit dem Ziel, eine Externalisierung der Flüchtlingsaufnahme zu erreichen. Längst wird mit anderen fragwürdigen Regimen wie etwa Ägypten, Libyen oder dem Sudan über die Verhinderung einer Flucht nach Europa verhandelt. Günter Burkhardt, Geschäftsführer von Pro Asyl, bringt die Diskussion auf den Punkt: "An Europas Grenzen steht die Zukunft des Flüchtlingsschutzes auf dem Spiel. Es geht um nicht mehr und nicht weniger als um die Frage, ob das Recht auf Asyl in Europa noch erreichbar ist. Es besteht die Gefahr, dass es zu einer Fata Morgana wird: Ein schönes, aber unerreichbares Trugbild."

Nicht nur im Asylbereich wird derzeit die Verfassung mit Füßen getreten. Auch das Grundrecht auf den Schutz des Familienlebens wird auf eine Weise verletzt, die fassungslos macht: Nicht nur die Aussetzung des Familiennachzugs für Flüchtlinge mit sog. subsidiärem Schutz, sondern auch die bürokratische Verzögerung und Verhinderung eines Familiennachzugs zu hier lebenden anerkannten Flüchtlingen sorgen dafür, dass Flüchtlingsfamilien oft über Jahre getrennt bleiben. Der Schutz von Ehe und Familie scheint in unserem Land nicht viel zu zählen, wenn es um Geflüchtete geht.

Sorgen macht uns auch der restriktive Kurs bei Abschiebungen: Bundesinnenminister de Maizière wird nicht müde, mehr "Härte" im Abschiebungszug zu fordern. Auch wenn in Niedersachsen manches anders läuft, erleben wir auch hier wieder, dass Familien ohne Ankündigung im Morgengrauen abgeholt und teilweise sogar unter Inkaufnahme von Familientrennungen abgeschoben werden.

Eine ausführliche Stellungnahme zu den politischen Entwicklungen im letzten Jahr und zur Flüchtlingspolitik in Niedersachsen lässt sich im diesjährigen Geschäftsbericht des Vorstands für das Jahr 2016/17 nachlesen, vorgelegt auf der Mitgliederversammlung des Flüchtlingsrats vom 17. Juni 2017.

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Quelle:
Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Juni 2017

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