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ASYL/1464: Geflüchtete vor Corona schützen! (Flüchtlingsrat Niedersachsen)


Flüchtlingsrat Niedersachsen - 20. März 2020

Geflüchtete vor Corona schützen!

Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V. fordert weitgehende Maßnahmen zum Schutz von Geflüchteten und Personal in Unterkünften und Behörden zur Eindämmung der Pandemie


Der Ausbruch des Corona-Virus betrifft die gesamte Gesellschaft, auch Geflüchtete. Diese sind aufgrund der sozial beengten Unterbringung in den Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes und kommunalen Gemeinschaftsunterkünften (Massenunterkünfte) besonders von einer Infektion mit dem Coronavirus bedroht. Aufgrund der schnellen Verbreitung wird sich der Virus in solchen Unterkünften schnell und einfach zwischen den Bewohner*innen übertragen. Dort kann weder ein Sicherheitsabstand eingehalten, noch können soziale Kontakte vermieden werden. Wer sich Gemeinschaftsküchen teilt, in Mehrbettzimmern wohnt, aus derselben Kantine versorgt wird und die Sanitäranlagen gemeinsam nutzt, ist immer mit anderen Menschen in Kontakt. Zudem müssen Geflüchtete regelmäßige Termine bei Behörden wahrnehmen. Deshalb setzt sich der Flüchtlingsrat Niedersachsen für erhöhte Schutzmaßnahmen ein und fordert:

1. Zugang zum regulären Gesundheitssystem für alle Geflüchteten

2. Entzerrung der Unterbringung und Einhaltung allgemeinverbindlicher Hygienestandards

3. Quarantänemaßnahmen auf Infizierte und Kontaktpersonen beschränken

4. Umfassende, tagesaktuelle und mehrsprachige Information aller Geflüchteten

5. Absage aller Behördentermine & unbürokratische Verlängerung von Aufenthaltspapieren

6. Stopp des Erlasses negativer Entscheidungen durch BAMF und Ausländerbehörden

7. Abschiebungen ausnahmslos aussetzen und Abschiebungshaftanstalt schließen


1. Zugang zum regulären Gesundheitssystem für alle Geflüchteten

Die Gesundheitsversorgung und die freie Arztwahl müssen für alle Flüchtlinge gesichert sein. Geflüchteten muss bei einem Verdacht auf Infektion wie für alle anderen Gesellschaftsmitglieder auch der Zugang zum regulären Gesundheitssystem und zu Corona-Tests ermöglicht werden.

2. Entzerrung der Unterbringung und Einhaltung allgmeinverbindlicher Hygienestandards

Das Land muss in Kooperation mit den Kommunen die Anzahl der Bewohner_Innen in den Massenunterkünften deutlich reduzieren, um das Infektionsrisiko zu senken. Hierfür ist es erforderlich, möglichst viele Geflüchtete dezentral unterzubringen, wobei sämtliche freie Kapazitäten auszuschöpfen und erforderlichenfalls zusätzliche Wohnräume anzumieten sind. Besonders gefährdete Personen (Personen über 60 sowie Personen mit Vorerkrankungen) sind prioritär und unverzüglich aus den Massenunterkünften in dezentrale Unterkünfte zu verlegen, um sie bestmöglich zu schützen.

Sofern in Massenunterkünften Zimmer leerstehen, sind diese unverzüglich zu öffnen, um die Belegung zu entzerren.

Alle von Institutionen wie dem Robert-Koch-Institut oder der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung angeratenen Hygiene- und Schutzmaßnahmen für Massenunterkünfte müssen in vollem Umfang auch in Flüchtlingsgemeinschaftsunterkünften umgesetzt werden.

3. Quarantänemaßnahmen auf Infizierte und Kontaktpersonen beschränken

Sofern ein_e Bewohner_in einer Massenunterkunft positiv auf das Corana-Virus getestet wurde, sind allen anderen Bewohner_Innen kostenfreie Tests anzubieten.

Die negativ getesteten Bewohner_Innen sind umgehend in dezentrale Unterkünfte zu verlegen, um eine (schnelle) Ausbreitung des Virus zu verhindern. Die Verlegung der Gesunden erlaubt eine adäquate Betreuung der Erkrankten.

Für Bewohner_innen, die aufgrund eines Infektionsverdachts oder eines positiven Testergebnisses in Quarantäne genommen werden (müssen), ist ein adäquate soziale, medizinische und psychologische Versorgung sicherzustellen. Überdies ist sicherzustellen, dass diese Personen weiterhin mit Freund_innen und Familie, Sozialarbeiter*innen, Ehrenamtlichen und Behörden kommunizieren können, indem ihnen der Zugang zum Internet ermöglicht und ihnen hierfür erforderlichenfalls ein Smartphone und/oder Laptop zur Verfügung gestellt wird. Abzulehnen ist in jedem Fall die pauschale Inquarantänenahme von Geflüchteten und die pauschale Abriegelung von Massenunterkünften durch die Polizei oder Sicherheitsdienste, da diese nicht als Schutz. sondern vielmehr als Internierung wahrgenommen wird.

4. Umfassende, tagesaktuelle und mehrsprachige Information aller Geflüchteten

Da Geflüchtete aufgrund fehlender oder geringer Deutschkenntnisse vom öffentlichen Informationsfluss abgeschnitten sind, bedarf es verlässlicher, tagesaktueller mehrsprachiger Nachrichten und Informationen. Deshalb sind offizielle Informationsmaterialien schleunigst zu übersetzen und in den Massenunterkünften in den Sprachen der dort untergebrachten Geflüchteten zu verbreiten sowie online zugänglich zu machen. Zudem sind Telefon-Hotlines mit Dolmetscher_innen für alle Geflüchteten und Migrant*innen einzurichten, um drängende Fragen direkt beantworten zu können.

5. Absage aller Behördentermine & unbürokratische Verlängerung von Aufenthaltspapieren

Da Termine bei Behörden ein unabsehbares Infektionsrisiko bergen, weil sich hier besonders viele Menschen in engen Wartebereichen über längere Zeit aufhalten (müssen), sind alle nicht zwangsweise notwendigen Termine zur persönlichen Vorsprache - und zwar auch solche bei Botschaften und Konsulaten - abzusagen, um Infektionsgefahren zu minimieren.

Solange die Landes- oder Bundesregierung die Corona-Maßnahmen aufrecht erhalten, sind Aufenthaltsgestattungen, Aufenthaltserlaubnisse und Duldungen seitens der Ausländerbehörden unbürokratisch von Amts wegen zu verlängern und ihren Inhaber_innen postalisch zuzustellen.

Sämtliche öffentliche Stellen wie Jobcenter, Sozialämter, Polizei, Zoll sowie Arbeitgeberverbände, Immobilieneigentümer_innen sind darüber zu informieren, dass für in Niedersachsen wohnhafte Ausländer_innen befristete Aufenthaltstitel und Duldungen auch nach Ablauf als fortbestehend gelten, solange die Landes- oder Bundesregierung die Corona-Maßnahmen aufrecht erhalten.

Die Auszahlung des menschenwürdigen Existenzminimums durch die Sozialbehörden ist sicherzustellen. Sofern Geflüchete nicht über ein Konto verfügen, auf das der Betrag überwiesen werden kann, ist die Auszahlung, soweit möglich, vor Ort in der Unterkunft zu organisieren.

6. Stopp des Erlasses negativer Entscheidungen durch BAMF und Ausländerbehörden

Da Beratungsstellen und Kanzleien nach und nach schließen und damit der Zugang zu einer effektiven Rechtsberatung nicht mehr gewährleistet ist, fordern wir für das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge einen Stopp negativer Entscheidungen. Auch den Ausländerbehörden ist zu untersagen, ablehnende Bescheide zu erlassen, solange die Landes- oder Bundesregierung die Corona-Maßnahmen aufrecht erhalten.

Da im Rahmen des Familiennachzugs gebuchte Flüge und Visa verfallen, weil nicht-Europäer_innen die Einreise verboten ist, sind Visa unkompliziert und ohne erneute Überprüfung durch die deutschen Botschaften zu verlängern. Bund und Länder müssen finanzielle Unterstützungsleistungen bereit stellen, sodass die Familienangehörigen zeitnah nach einer Corona Entwarnung neue Tickets buchen und einreisen können.

7. Abschiebungen ausnahmslos aussetzen und Abschiebungshaftanstalt schließen

Soweit es trotz des eingeschränkten Luft- und grenzüberschreitenden Verkehrs überhaupt noch zu Abschiebungen kommt, sind auch diese unverzüglich einzustellen, da sie sowohl für die abzuschiebenden Geflüchteten als auch die Landes- und Bundespolizeibeamt_innen sowie das Flugpersonal ein inakzeptables Infektionsrisiko bergen. Zudem besteht die Gefahr, dass der Coronavirus in andere Länder weitergetragen wird. Deshalb sind, solange die Landes- oder Bundesregierung die Corona-Maßnahmen aufrecht erhalten, sämtliche Abschiebungen auszusetzen und die Betroffenen zu dulden. Der Betrieb des Abschiebungshaftgefängnisses in Langenhagen ist - weiterhin - einzustellen.

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Quelle:
Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V.
Röpkestr. 12, 30173 Hannover
Telefon: 0511/98 24 60 30, Fax: 0511/98 24 60 31
Mo-Fr: 10.00 bis 12.30, Di+Do: 14.00 bis 16.00
E-Mail: nds@nds-fluerat.org
Internet: www.nds-fluerat.org


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. März 2020 ,

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