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ASYL/1482: Flüchtlingsrat fordert Landesaufnahmeprogramm (Flüchtlingsrat Niedersachsen)


Flüchtlingsrat Niedersachsen - 18. Mai 2020

Flüchtlingsrat Niedersachsen fordert Landesaufnahmeprogramm

Landesaufnahme jetzt! Menschen von den griechischen Inseln evakuieren!


Genau ein Monat ist seit der Aufnahme von 47 Kindern aus den griechischen Elendslagern vergangen. Ein weiterer Monat, in denen deutsche Behörden nicht gehandelt haben, um Menschen in Not zu helfen. Weiterhin sitzen 40.000 Menschen unter menschenunwürdigen Bedingungen in katastrophalen Lagern in Griechenland fest. Seit dem Besuch des niedersächsischen Innenministers Pistorius (Ende Oktober/Anfang November 2019) im Camp Moria auf Lesbos sind sogar mehr als sechs Monate vergangen, in denen die Bundesregierung die Evakuierung der Schutzsuchenden verweigert und es bei Alibihandlungen belässt.

Sascha Schießl vom Flüchtlingsrat Niedersachsen:

"Da die Bundesregierung blockiert, müssen jetzt die Bundesländer aktiv werden. In Berlin und Thüringen werden Landesaufnahmeanordnungen vorbereitet, um Menschen aus den griechischen Lagern aufzunehmen. Niedersachsen muss sich diesen Bestrebungen anschließen und jetzt eine eigene Landesaufnahmeanordnung erlassen."

Innenminister Pistorius hat sich seit Monaten sehr für die Aufnahme von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen aus den griechischen Lagern eingesetzt. Das ist wichtig, auch wenn Pistorius seine Aufnahmebereitschaft nicht nur auf diese Gruppe beschränken sollte. Doch selbst diese Bestrebungen hat die Bundesregierung wieder und wieder ausgebremst. Nach monatelangen Diskussionen hat Deutschland nur 47 Kinder aus den Elendslager aufgenommen, wenige hundert weitere sollen folgen. Das ist beschämend. Denn alle Menschen müssen aus den griechischen Lagern evakuiert werden. Es ist an der Zeit, dass die Bundesländer selbst aktiv werden und handeln.

Hierzu muss auch Niedersachsen einen Beitrag leisten. Niedersachsen muss der Bundesregierung zusätzliche Aufnahmeplätze anbieten und sie dazu drängen, endlich weitere Aufnahmen durchzuführen. Solange die Bundesregierung aber weiter blockiert, müssen die Bundesländer eigenständig vorangehen. Mit eigenen Landesaufnahmeanordnungen können die Länder eigenständig Menschen von den griechischen Inseln aufnehmen. Dass dies rechtlich möglich ist, zeigen zwei juristische Gutachten von Anfang 2020 (Gutachten von Helene Heuser [1] und Gutachten von Ulrich Karpenstein/Roya Sangi [2]). Politisch geboten ist es schon längst, die Kapazitäten sind in einem großen Flächenland wie Niedersachsen mit acht Millionen Einwohner_innen auch vorhanden.


Hintergrund

Am 18. April 2020 landete ein Flugzeug mit 47 unbegleiteten Kindern und Jugendlichen in Hannover-Langenhagen, die zuvor im Elend auf den griechischen Inseln Lesbos, Samos und Chios lebten. 13 von ihnen verblieben nach Angaben des niedersächsischen Innenministeriums nach einer zweiwöchigen Quarantänezeit im Landkreis Osnabrück in niedersächsischen Kommunen (Städte Braunschweig, Hannover, Lüneburg, Osnabrück, Landkreis Friesland und Region Hannover). 18 Minderjährige leben jetzt bei Verwandten in Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein. Daneben nahmen die Bundesländer Berlin und Hamburg je acht Minderjährige auf.

Hintergrundinformationen zur Situation im Lager Moria auf der Insel Lesbos

Während auch in Griechenland das öffentliche Leben stillgelegt ist, um körperlichen Kontakt zu minimieren und damit der Ausbreitung von Covid-19 entgegen zu treten, müssen seit Mitte März 2020 rund 41.000 Schutzsuchende in meist informellen Unterkünften innerhalb und außerhalb der fünf EU-Hotspots auf den ägäischen Inseln ausharren. Über die Hälfte sind Frauen, Kinder und Jugendliche.

Das Lager Moria auf Lesbos ist ein einziger Albtraum: Ende Januar 2020 gab es dort drei Ärzte, acht Krankenschwestern und sieben Dolmetscher_innen für knapp 20.000 Menschen. In Teilen des Lagers müssen sich bis zu 500 Personen eine Dusche teilen. Zwischen September 2019 und Januar 2020 wurden sieben Todesfälle bestätigt. Es gibt keinen ernstzunehmenden Notfallplan für den Fall, dass Covid-19 das Lager erreicht. Simple Präventionsmaßnahmen wie regelmäßiges Händewaschen können nicht eingehalten werden. Risikogruppen, etwa ältere Menschen und Menschen mit Vorerkrankungen, können sich zum Schutz nicht selbst isolieren. Es droht eine rasante Ausbreitung des Virus. Um die Ausbreitung von Covid-19 zu verhindern, hat die griechische Regierung eine teilweise Ausgangssperre für Moria Hotspots verhängt.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat am 16. April 2020 die Überstellung von acht vulnerablen Schutzsuchende aus Moria in eine menschenwürdige Unterbringung mit sichergestellter medizinischer Behandlung angeordnet. Die Entscheidung macht deutlich, dass ein Leben in den Elendslagern gegen die Verpflichtungen aus der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verstößt. Im konkreten Fall stand die Unterbringung in Moria nicht im Einklang mit Artikel 3 der EMRK.


Anmerkungen:
[1] https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/rls_papers/Papers_2-20_Schutzsuchende.pdf
[2] https://erik-marquardt.eu/wp-content/uploads/2020/04/2020-03-06-Gutachten-L%C3%A4nderkompetenzen-humanit%C3%A4re-Aufnahme-Griechenland_-group-logo.pdf

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Quelle:
Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V.
Röpkestr. 12, 30173 Hannover
Telefon: 0511/98 24 60 30, Fax: 0511/98 24 60 31
Mo-Fr: 10.00 bis 12.30, Di+Do: 14.00 bis 16.00
E-Mail: nds@nds-fluerat.org
Internet: www.nds-fluerat.org


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Mai 2020

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